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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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als irgend möglich etwas Anderes zu treiben, als Ackerbau und alle seine
Bedürfnisse an Manufacturwaaren, von der Wiege bis zum Sarge, von aus¬
wärts zu beziehe". Nein, nein , der Norden weih vollkommen wohl, was
er vor hat, wenn er in diesen Krieg mit dem Entschluß geht, ihn. koste es
was es wolle, zum glücklichen Ende zu führen. --

Wir haben hier etwas vollkommen Klares, Deutliches und Verständliches
vor uns. Der Norden oder seine Wortführer und Sachwalter befürchten, daß
die Secession des Südens, einmal vollbracht und anerkannt, eine allgemeine
Auflösung zur Folge haben, daß der Bundesstnat mit seinen dreiunddreißig
Gliedern in eine Unzahl kleiner und schwacher Theilchen ohne irgend welchen
Zusammenhang, irgend welche Staatsklugheit, irgend welche Widerstandskraft
gegen das Ausland und voll gegenseitiger Feindseligkeit zerfahren, daß er in
dieser Zerfahrenheit ein ebenso klägliches und unwürdiges Schauspiel darbieten
werde als die spanischen Republiken, ja daß man diese noch in der Ausdeh¬
nung seiner Thorheiten und der Stärke und Zähigkeit seines Hasses überbieten
werde.

Es ist bereits bemerkt, daß die Amerikaner sich mit solchen Schreckge-
spinnsten kein großes Compliment machen. Es muß aber auch gesagt wer¬
den, daß wir diese Phantasien nicht für naturgemäß, sondern für Hallucina¬
tionen eines kranken Schlußvermögens halten. Denn was wird damit be¬
hauptet? Daß ein Volk, seit fast einem Jahrhundert zur Selbstregierung
erzogen und von seinen Großvätern her Erbe der geprüftesten und erfolgreich¬
sten Pläne, der stärksten Bollwerke verfassungsmäßiger Freiheit, ein Volk,
welches sich der gesammten Welt stets als Muster politischer Weisheit. Vor¬
sicht und Energie hingestellt hat, und welches von vielen als ein solches an¬
gesehen wurde, das allein oder doch erfolgreicher als alle andern das
schwierige Problem, die Freiheit mit der Ordnung zu versöhnen, gelöst habe,
daß, sagen wir, ein solches Wundervolk derjenigen intellectuellen und mora¬
lischen Eigenschaften, welche die Menschen befähigen, sich zu beherrschen und
zu leiten, so vollkommen banr und ledig ist, daß es unter dem Einfluß der
ersten ernsten Schwierigkeit, der es begegnet, ganz ebenso, ja noch mehr
strauchelt und zusammenbricht, als Racen. welche plötzlich das Joch des er¬
bärmlichsten, herumergekommensten und bigottesten Despotismus der modernen
Zeit abschüttelten. Daß die Landsleute Washingtons, die Zöglinge Frank-
lin's, die Abkömmlinge der strammen, nüchternen, ehrenfester Puritaner sich
nicht besser zu betragen, nicht besser zu wirthschaften verstehen, als klägliche
Spanier, weichliche Kreolen und mexikanisches aus Neger- und Indianerblut
zusammengeflossenes Gesindel. Daß mit einem Wort all' die vielgepriesene
Ueberlegenheit und Erhabenheit des "freien und erleuchteten Bürgers" der
neuen Welt ein lügenhaftes Schaugericht gewesen ist, und da" besagter freier


als irgend möglich etwas Anderes zu treiben, als Ackerbau und alle seine
Bedürfnisse an Manufacturwaaren, von der Wiege bis zum Sarge, von aus¬
wärts zu beziehe». Nein, nein , der Norden weih vollkommen wohl, was
er vor hat, wenn er in diesen Krieg mit dem Entschluß geht, ihn. koste es
was es wolle, zum glücklichen Ende zu führen. —

Wir haben hier etwas vollkommen Klares, Deutliches und Verständliches
vor uns. Der Norden oder seine Wortführer und Sachwalter befürchten, daß
die Secession des Südens, einmal vollbracht und anerkannt, eine allgemeine
Auflösung zur Folge haben, daß der Bundesstnat mit seinen dreiunddreißig
Gliedern in eine Unzahl kleiner und schwacher Theilchen ohne irgend welchen
Zusammenhang, irgend welche Staatsklugheit, irgend welche Widerstandskraft
gegen das Ausland und voll gegenseitiger Feindseligkeit zerfahren, daß er in
dieser Zerfahrenheit ein ebenso klägliches und unwürdiges Schauspiel darbieten
werde als die spanischen Republiken, ja daß man diese noch in der Ausdeh¬
nung seiner Thorheiten und der Stärke und Zähigkeit seines Hasses überbieten
werde.

Es ist bereits bemerkt, daß die Amerikaner sich mit solchen Schreckge-
spinnsten kein großes Compliment machen. Es muß aber auch gesagt wer¬
den, daß wir diese Phantasien nicht für naturgemäß, sondern für Hallucina¬
tionen eines kranken Schlußvermögens halten. Denn was wird damit be¬
hauptet? Daß ein Volk, seit fast einem Jahrhundert zur Selbstregierung
erzogen und von seinen Großvätern her Erbe der geprüftesten und erfolgreich¬
sten Pläne, der stärksten Bollwerke verfassungsmäßiger Freiheit, ein Volk,
welches sich der gesammten Welt stets als Muster politischer Weisheit. Vor¬
sicht und Energie hingestellt hat, und welches von vielen als ein solches an¬
gesehen wurde, das allein oder doch erfolgreicher als alle andern das
schwierige Problem, die Freiheit mit der Ordnung zu versöhnen, gelöst habe,
daß, sagen wir, ein solches Wundervolk derjenigen intellectuellen und mora¬
lischen Eigenschaften, welche die Menschen befähigen, sich zu beherrschen und
zu leiten, so vollkommen banr und ledig ist, daß es unter dem Einfluß der
ersten ernsten Schwierigkeit, der es begegnet, ganz ebenso, ja noch mehr
strauchelt und zusammenbricht, als Racen. welche plötzlich das Joch des er¬
bärmlichsten, herumergekommensten und bigottesten Despotismus der modernen
Zeit abschüttelten. Daß die Landsleute Washingtons, die Zöglinge Frank-
lin's, die Abkömmlinge der strammen, nüchternen, ehrenfester Puritaner sich
nicht besser zu betragen, nicht besser zu wirthschaften verstehen, als klägliche
Spanier, weichliche Kreolen und mexikanisches aus Neger- und Indianerblut
zusammengeflossenes Gesindel. Daß mit einem Wort all' die vielgepriesene
Ueberlegenheit und Erhabenheit des „freien und erleuchteten Bürgers" der
neuen Welt ein lügenhaftes Schaugericht gewesen ist, und da» besagter freier


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/140>, abgerufen am 23.07.2024.