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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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nen uns gar nicht vorstellen können: so werden also z. B. Wetterverände¬
rungen, günstige oder ungünstige Aussichten für Jagd und Fischfang, Reise.
Ackerbau und Viehzucht von ihnen aus Zeichen des Thierlebens vorausgesehen
worden sein, die uns freilich nichts bedeuten. Bedenkt man nun, daß ihr
Leben, ihr Wohl und Wehe in diesen Beschäftigungen beschlossen war. so be-
greift sich, daß Zeichen, welche für eine solche Verrichtung Gedeihen oder Mi߬
lingen verkündeten, bald schon an sich als Omma von Glück und Unglück be¬
trachtet wurden.

Ja, man kann noch einen Schritt weiter gehen und einräumen, daß ge¬
wisse Ereignisse wie ohne symbolischen so ohne natürlichen Grund den Cha¬
rakter von Omma wenigstens für bestimmte Kreise angenommen haben nach
dem bekannten Trugschluß: xost. Koe, orgo xi'vptör Koe. Wenn sich wiederholt
bei einem Individuum oder in einer Familie Unglück ereignet hat, so oft das
Individuum eine bestimmte Stadt betreten, einem bestimmten Nachbarn be¬
gegnet, ein bestimmtes Kleid getragen hat. so wird für dies Individuum, für
diese Familie die betreffende Stadt ein Ungiücksort, der Nachbar ein Unglücks¬
mann, das Kleid ein Unglücksgewand: zahlreiche Beispiele aus Familientra¬
ditionen sind allbekannt; ich wähle einige weniger bekannte: so oft die Herrn
von Woringen in Soest einreiten, stirbt das jüngste Glied ihres Hauses; so
oft die Raubgrafen "von Marbach jenseits des Neckar jagen, erlahmt ihnen
ein Roß; so oft ein Fürst von Schwarzburg einen blauen Mantel trägt, hat
er Glück in der Liebe. Und dergleichen. In solchen Fällen liegen gewiß sehr
oft zufällige Wiederholungen, durch Famiiientiaditionen ausgeschmückt, zu
Grunde und sind symbolische oder auf Naturbeobachtungen gestützte Erklärungen
unberechtigt und unnöthig.

Weiter aber darf man nicht gehen; mit Nichten darf man jener banalen
Weisheit, des Achselzuckens Concessionen machen, welche da allen Aberglauben
als unerklärlich, weil sinnlos, weil einer logischen Grundlage ermangelnd, be¬
zeichnet! Im Gegentheil ohne Grund schafft das menschliche Vorstellungsver¬
mögen gar kein Gebilde: eine causa. suNcienö, wie man sich vor hundert
Jahren ausgedrückt hätte, muß immer vorhanden sein zur Erzeugung eines
Denkproducts, und wo ein Aberglaube, eine Sitte, eine Uebung auch lediglich
Spiel der ästhetischen Phantasie ist, auch da hat diese Phantasie nicht ohne An¬
haltepunkte geschaffen: und die Aufgabe der Mythologen wird nicht sein, den
Unsinn seiner Objecte zu proclamiren, sondern mit Liebe und Hingebung ih¬
D. ren Sinn zu ergründen.




nen uns gar nicht vorstellen können: so werden also z. B. Wetterverände¬
rungen, günstige oder ungünstige Aussichten für Jagd und Fischfang, Reise.
Ackerbau und Viehzucht von ihnen aus Zeichen des Thierlebens vorausgesehen
worden sein, die uns freilich nichts bedeuten. Bedenkt man nun, daß ihr
Leben, ihr Wohl und Wehe in diesen Beschäftigungen beschlossen war. so be-
greift sich, daß Zeichen, welche für eine solche Verrichtung Gedeihen oder Mi߬
lingen verkündeten, bald schon an sich als Omma von Glück und Unglück be¬
trachtet wurden.

Ja, man kann noch einen Schritt weiter gehen und einräumen, daß ge¬
wisse Ereignisse wie ohne symbolischen so ohne natürlichen Grund den Cha¬
rakter von Omma wenigstens für bestimmte Kreise angenommen haben nach
dem bekannten Trugschluß: xost. Koe, orgo xi'vptör Koe. Wenn sich wiederholt
bei einem Individuum oder in einer Familie Unglück ereignet hat, so oft das
Individuum eine bestimmte Stadt betreten, einem bestimmten Nachbarn be¬
gegnet, ein bestimmtes Kleid getragen hat. so wird für dies Individuum, für
diese Familie die betreffende Stadt ein Ungiücksort, der Nachbar ein Unglücks¬
mann, das Kleid ein Unglücksgewand: zahlreiche Beispiele aus Familientra¬
ditionen sind allbekannt; ich wähle einige weniger bekannte: so oft die Herrn
von Woringen in Soest einreiten, stirbt das jüngste Glied ihres Hauses; so
oft die Raubgrafen »von Marbach jenseits des Neckar jagen, erlahmt ihnen
ein Roß; so oft ein Fürst von Schwarzburg einen blauen Mantel trägt, hat
er Glück in der Liebe. Und dergleichen. In solchen Fällen liegen gewiß sehr
oft zufällige Wiederholungen, durch Famiiientiaditionen ausgeschmückt, zu
Grunde und sind symbolische oder auf Naturbeobachtungen gestützte Erklärungen
unberechtigt und unnöthig.

Weiter aber darf man nicht gehen; mit Nichten darf man jener banalen
Weisheit, des Achselzuckens Concessionen machen, welche da allen Aberglauben
als unerklärlich, weil sinnlos, weil einer logischen Grundlage ermangelnd, be¬
zeichnet! Im Gegentheil ohne Grund schafft das menschliche Vorstellungsver¬
mögen gar kein Gebilde: eine causa. suNcienö, wie man sich vor hundert
Jahren ausgedrückt hätte, muß immer vorhanden sein zur Erzeugung eines
Denkproducts, und wo ein Aberglaube, eine Sitte, eine Uebung auch lediglich
Spiel der ästhetischen Phantasie ist, auch da hat diese Phantasie nicht ohne An¬
haltepunkte geschaffen: und die Aufgabe der Mythologen wird nicht sein, den
Unsinn seiner Objecte zu proclamiren, sondern mit Liebe und Hingebung ih¬
D. ren Sinn zu ergründen.




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[0122] nen uns gar nicht vorstellen können: so werden also z. B. Wetterverände¬ rungen, günstige oder ungünstige Aussichten für Jagd und Fischfang, Reise. Ackerbau und Viehzucht von ihnen aus Zeichen des Thierlebens vorausgesehen worden sein, die uns freilich nichts bedeuten. Bedenkt man nun, daß ihr Leben, ihr Wohl und Wehe in diesen Beschäftigungen beschlossen war. so be- greift sich, daß Zeichen, welche für eine solche Verrichtung Gedeihen oder Mi߬ lingen verkündeten, bald schon an sich als Omma von Glück und Unglück be¬ trachtet wurden. Ja, man kann noch einen Schritt weiter gehen und einräumen, daß ge¬ wisse Ereignisse wie ohne symbolischen so ohne natürlichen Grund den Cha¬ rakter von Omma wenigstens für bestimmte Kreise angenommen haben nach dem bekannten Trugschluß: xost. Koe, orgo xi'vptör Koe. Wenn sich wiederholt bei einem Individuum oder in einer Familie Unglück ereignet hat, so oft das Individuum eine bestimmte Stadt betreten, einem bestimmten Nachbarn be¬ gegnet, ein bestimmtes Kleid getragen hat. so wird für dies Individuum, für diese Familie die betreffende Stadt ein Ungiücksort, der Nachbar ein Unglücks¬ mann, das Kleid ein Unglücksgewand: zahlreiche Beispiele aus Familientra¬ ditionen sind allbekannt; ich wähle einige weniger bekannte: so oft die Herrn von Woringen in Soest einreiten, stirbt das jüngste Glied ihres Hauses; so oft die Raubgrafen »von Marbach jenseits des Neckar jagen, erlahmt ihnen ein Roß; so oft ein Fürst von Schwarzburg einen blauen Mantel trägt, hat er Glück in der Liebe. Und dergleichen. In solchen Fällen liegen gewiß sehr oft zufällige Wiederholungen, durch Famiiientiaditionen ausgeschmückt, zu Grunde und sind symbolische oder auf Naturbeobachtungen gestützte Erklärungen unberechtigt und unnöthig. Weiter aber darf man nicht gehen; mit Nichten darf man jener banalen Weisheit, des Achselzuckens Concessionen machen, welche da allen Aberglauben als unerklärlich, weil sinnlos, weil einer logischen Grundlage ermangelnd, be¬ zeichnet! Im Gegentheil ohne Grund schafft das menschliche Vorstellungsver¬ mögen gar kein Gebilde: eine causa. suNcienö, wie man sich vor hundert Jahren ausgedrückt hätte, muß immer vorhanden sein zur Erzeugung eines Denkproducts, und wo ein Aberglaube, eine Sitte, eine Uebung auch lediglich Spiel der ästhetischen Phantasie ist, auch da hat diese Phantasie nicht ohne An¬ haltepunkte geschaffen: und die Aufgabe der Mythologen wird nicht sein, den Unsinn seiner Objecte zu proclamiren, sondern mit Liebe und Hingebung ih¬ D. ren Sinn zu ergründen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/122>, abgerufen am 23.07.2024.