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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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der Ferne herbeigezogen, wo die richtige ganz nahe lag. So bei der Frei¬
lassung eines Knechts durch den Dcnarins (ins-numissio per äemai-inen). welche
darin besteht, daß dem freilassenden Herrn von einem andern Freien eine
Münze, ein äermrius, aus der offnen Hand geschlagen wird: hier ist die all¬
gemeine Deutung die, daß der Knecht so frei und ledig wie der Denar aus
der Hand des Herrn entspringe, eine Symbolik, die jeden mit dem Geist dieser
Dinge einigermaßen Bertrauten sehr, befremdlich anmuthen wird. Symbolik
ist wohl im, Spiel, aber eine ganz andere. Es ist nämlich die marmmissio
per äeng.rinn nichts Anderes als ein Scheinvcrtauf des Knechts durch den
bisherige" Herrn an den andern Freien als Scheinkäufer, der dann erst die
Freilassung vornehmen soll, ganz wie im römischen Recht bei der fa.milia.iz
sentio und der miillumissio eines sun8. Das Band zwischen Herrn und Knecht
ist ein so enges, das; es nur durch Verkauf gelockert werden kann (zugleich
wird dabei ein Zeuge gewonnen), zum Zeichen aber, daß der Kauf eben doch
nur ein Scheinkauf, verzichtet der Verkäufer auf das prstium. er läßt es sich
dereiinquirend ans der Hand schlagen.

Wenden wir uns von den Symbolen des Rechts zu den Symbolen des
Aberglaubens, so sind auf diesem Gebiet vor Allem die beiden großen Gruppen
des activen und passiven Aberglaubens zu unterscheiden. Bei dem activen
Aberglauben sucht der Mensch durch eigne Thätigkeit entweder ein drohendes
Uebel abzuwenden oder ein schon hercingebrochnes Uebel zu beseitigen oder
ein gewünschtes Glück herbeizuführen oder endlich einen bestehenden Glücks¬
zustand dauernd zu erhalten; aber auch das ist schon activer Aberglaube,
wenn zur Erforschung der Zukunft diensame Handlungen absichtlich vorge¬
nommen werden. In diese letzte Kategorie des activen Aberglaubens gehören
also alle Arten von Augurien, Auspielen. Sortilegien u. a.; zu der ersten Ab¬
theilung zählen alle die Sprüche, Geberden, Ceremonien, mit welchen Krank¬
heiten geheilt oder fern gehalten, Hcigelschiag oder Wetterstrahl verscheucht.
Gedeihe" der Saat, gute Erntetage herbeigeführt werden, und hier ist das
Walten der symbolischen Vorstellungen so mächtig, daß man sich hat verleiten
lassen, die Symbolik geradezu auf dies Gebiet, auf den activen Aberglauben,
zu beschränken. Aber ich bin der Ueberzeugung, daß in der Untersuchung der
Symbolik auch für das Gebiet des passiven Aberglaubens der Schlüssel
zur richtigen Deutung einer großen Menge von räthselhaften und bisher
unerklärten Mythologemen liegt. Der passive Aberglaube ist identisch mit
dem Kreis der Omma im weitesten Sinn d. h. aller Vorgänge, welche
dem Menschen, ohne daß er durch seine Thätigkeit, durch seine Absicht sie
wach gerufen, ja manchmal auch sehr gegen seinen Willen, die Zukunft ent¬
hüllen, ihn warnen, mahnen, bedrohen oder auch ermuthigen und zuversicht¬
lich machen. Sehr viele dieser Omma haben ihre Erklärung in symbolische


der Ferne herbeigezogen, wo die richtige ganz nahe lag. So bei der Frei¬
lassung eines Knechts durch den Dcnarins (ins-numissio per äemai-inen). welche
darin besteht, daß dem freilassenden Herrn von einem andern Freien eine
Münze, ein äermrius, aus der offnen Hand geschlagen wird: hier ist die all¬
gemeine Deutung die, daß der Knecht so frei und ledig wie der Denar aus
der Hand des Herrn entspringe, eine Symbolik, die jeden mit dem Geist dieser
Dinge einigermaßen Bertrauten sehr, befremdlich anmuthen wird. Symbolik
ist wohl im, Spiel, aber eine ganz andere. Es ist nämlich die marmmissio
per äeng.rinn nichts Anderes als ein Scheinvcrtauf des Knechts durch den
bisherige» Herrn an den andern Freien als Scheinkäufer, der dann erst die
Freilassung vornehmen soll, ganz wie im römischen Recht bei der fa.milia.iz
sentio und der miillumissio eines sun8. Das Band zwischen Herrn und Knecht
ist ein so enges, das; es nur durch Verkauf gelockert werden kann (zugleich
wird dabei ein Zeuge gewonnen), zum Zeichen aber, daß der Kauf eben doch
nur ein Scheinkauf, verzichtet der Verkäufer auf das prstium. er läßt es sich
dereiinquirend ans der Hand schlagen.

Wenden wir uns von den Symbolen des Rechts zu den Symbolen des
Aberglaubens, so sind auf diesem Gebiet vor Allem die beiden großen Gruppen
des activen und passiven Aberglaubens zu unterscheiden. Bei dem activen
Aberglauben sucht der Mensch durch eigne Thätigkeit entweder ein drohendes
Uebel abzuwenden oder ein schon hercingebrochnes Uebel zu beseitigen oder
ein gewünschtes Glück herbeizuführen oder endlich einen bestehenden Glücks¬
zustand dauernd zu erhalten; aber auch das ist schon activer Aberglaube,
wenn zur Erforschung der Zukunft diensame Handlungen absichtlich vorge¬
nommen werden. In diese letzte Kategorie des activen Aberglaubens gehören
also alle Arten von Augurien, Auspielen. Sortilegien u. a.; zu der ersten Ab¬
theilung zählen alle die Sprüche, Geberden, Ceremonien, mit welchen Krank¬
heiten geheilt oder fern gehalten, Hcigelschiag oder Wetterstrahl verscheucht.
Gedeihe» der Saat, gute Erntetage herbeigeführt werden, und hier ist das
Walten der symbolischen Vorstellungen so mächtig, daß man sich hat verleiten
lassen, die Symbolik geradezu auf dies Gebiet, auf den activen Aberglauben,
zu beschränken. Aber ich bin der Ueberzeugung, daß in der Untersuchung der
Symbolik auch für das Gebiet des passiven Aberglaubens der Schlüssel
zur richtigen Deutung einer großen Menge von räthselhaften und bisher
unerklärten Mythologemen liegt. Der passive Aberglaube ist identisch mit
dem Kreis der Omma im weitesten Sinn d. h. aller Vorgänge, welche
dem Menschen, ohne daß er durch seine Thätigkeit, durch seine Absicht sie
wach gerufen, ja manchmal auch sehr gegen seinen Willen, die Zukunft ent¬
hüllen, ihn warnen, mahnen, bedrohen oder auch ermuthigen und zuversicht¬
lich machen. Sehr viele dieser Omma haben ihre Erklärung in symbolische


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[0116] der Ferne herbeigezogen, wo die richtige ganz nahe lag. So bei der Frei¬ lassung eines Knechts durch den Dcnarins (ins-numissio per äemai-inen). welche darin besteht, daß dem freilassenden Herrn von einem andern Freien eine Münze, ein äermrius, aus der offnen Hand geschlagen wird: hier ist die all¬ gemeine Deutung die, daß der Knecht so frei und ledig wie der Denar aus der Hand des Herrn entspringe, eine Symbolik, die jeden mit dem Geist dieser Dinge einigermaßen Bertrauten sehr, befremdlich anmuthen wird. Symbolik ist wohl im, Spiel, aber eine ganz andere. Es ist nämlich die marmmissio per äeng.rinn nichts Anderes als ein Scheinvcrtauf des Knechts durch den bisherige» Herrn an den andern Freien als Scheinkäufer, der dann erst die Freilassung vornehmen soll, ganz wie im römischen Recht bei der fa.milia.iz sentio und der miillumissio eines sun8. Das Band zwischen Herrn und Knecht ist ein so enges, das; es nur durch Verkauf gelockert werden kann (zugleich wird dabei ein Zeuge gewonnen), zum Zeichen aber, daß der Kauf eben doch nur ein Scheinkauf, verzichtet der Verkäufer auf das prstium. er läßt es sich dereiinquirend ans der Hand schlagen. Wenden wir uns von den Symbolen des Rechts zu den Symbolen des Aberglaubens, so sind auf diesem Gebiet vor Allem die beiden großen Gruppen des activen und passiven Aberglaubens zu unterscheiden. Bei dem activen Aberglauben sucht der Mensch durch eigne Thätigkeit entweder ein drohendes Uebel abzuwenden oder ein schon hercingebrochnes Uebel zu beseitigen oder ein gewünschtes Glück herbeizuführen oder endlich einen bestehenden Glücks¬ zustand dauernd zu erhalten; aber auch das ist schon activer Aberglaube, wenn zur Erforschung der Zukunft diensame Handlungen absichtlich vorge¬ nommen werden. In diese letzte Kategorie des activen Aberglaubens gehören also alle Arten von Augurien, Auspielen. Sortilegien u. a.; zu der ersten Ab¬ theilung zählen alle die Sprüche, Geberden, Ceremonien, mit welchen Krank¬ heiten geheilt oder fern gehalten, Hcigelschiag oder Wetterstrahl verscheucht. Gedeihe» der Saat, gute Erntetage herbeigeführt werden, und hier ist das Walten der symbolischen Vorstellungen so mächtig, daß man sich hat verleiten lassen, die Symbolik geradezu auf dies Gebiet, auf den activen Aberglauben, zu beschränken. Aber ich bin der Ueberzeugung, daß in der Untersuchung der Symbolik auch für das Gebiet des passiven Aberglaubens der Schlüssel zur richtigen Deutung einer großen Menge von räthselhaften und bisher unerklärten Mythologemen liegt. Der passive Aberglaube ist identisch mit dem Kreis der Omma im weitesten Sinn d. h. aller Vorgänge, welche dem Menschen, ohne daß er durch seine Thätigkeit, durch seine Absicht sie wach gerufen, ja manchmal auch sehr gegen seinen Willen, die Zukunft ent¬ hüllen, ihn warnen, mahnen, bedrohen oder auch ermuthigen und zuversicht¬ lich machen. Sehr viele dieser Omma haben ihre Erklärung in symbolische

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/116>, abgerufen am 23.07.2024.