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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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hat. so fühlen wir sofort/ daß hier ein symbolischer Sinn zu Grunde liegt,
aber wir wissen nicht sofort) welcher. Da mögen uns denn den Weg zur
richtigen Deutung der dunkeln und schwierigen mythologischen Symbole die
Symbole der Rechtsalterthümer bahnen; denn diese sind in den meisten Füllen
aus dem juristische Zweck des Geschäfts leichter zu deuten. Bei diesen Rechts¬
symbolen ergibt sich aberl die interessante Wahrnehmung des Uebergangs des
Symbols in die bloße formale Handlung. Es zeigt sich hier, daß der mensch¬
liche Geist und Wille, um erkennbar zu sein, immer an äußere Formen der
Sprache, der Bewegung, der Handlung gebunden ist. und es ist ein feiner,
kaum merklicher Uebergang von der Form zum Symbol, Kein Me"sah wird
den Rechtsgedanken symbolisch nennen, daß zur Ergreifung und Darstellung
des Besitzes eben eine thatsächliche Beziehung zu der zu occupuenden Sache
gehört: wenn Mir der Schenker das geschenkte Buch in die Hund gibt, so ist
daran gewiß nichts Symbolisches. Auch darin nicht, wenn der Verkäufer den
Käufer eines Gutes überall auf demselben herumführt. und ihm dadurch
Haus und Hof und Wald und Wiese übergibt. Aber es ist schon entschiedn"
Ansatz zrtt Symbolik, wenn dem Käufer oder der einheirathenden Ehefrau die
Schlüssel des Hauses überreicht werden, oder wenn die Wittwe auf das
Grab.ihres in Concurs verstorbnen Gatten die Schlüssel des Ehehauses nie¬
derlegt. In vielen Fällen nöthigt eben die Unbeweglichkeit oder Quantität
des Objects zu einer Stellvertretung des Ganzen durch eine" Theil, wo mög¬
lich einen recht charakteristischen Theil, und eine große Menge von symbolischen
Beziehungen findet ihre Erklärung durch solche Stellvertretung, durch ein
Mr8 Pro t.ot.0. Wenn dingliche Rechte an einem Haus durch einen spähn
aus den Thürpfosten, an einem Wald oder Obstgarten durch einen Ast. an
Acker und Wiese durch eine Erd- oder Rasenscholle, an einem Weinberg durch
einen Rebschößling übertragen werden, so ist diese einfachste Symbolik auf
den Gedanken "der Theil fürs Ganze" zurückzuführen. Schon viel schwieriger
ist .die Deutung, wenn das Zeichen gewählt wurde nicht wegen seines Theil-
Verhältnisses zu dem Bezeichneten, sondern wegen irgend einer der zahllosen
andern möglichen Beziehungen der Aehnlichkeit in irgend einem Punkt. Zum
Beispiel das germanische Ting wird gehegt, indem rothe Seidenfäden um den
Kreis der Versammelten gespannt werden. Warum rothe? Man hat an
Donar gedacht, dem die rothe Farbe heilig, und ihm nun aufs Gerathewohl
der"! Lorsitz der Gerichtsversammlung beigelegt, sowenig dies zu dem jähzor-
nig-en Gewittergott paßt. Wenn man aber nun findet, daß die rothen Fäden
nur bei den Gerichten mit Blutbann vorkommen, bei denen ohne Blutbann
nicht, so werden wir diese simple Farbensymbolik verstehen, ohne den Donner¬
gott mit juristischer Präsidentschaft zu incommodiren.

Wie in diesem Fall hat man auch sonst häufig falsche Deutungen aus


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hat. so fühlen wir sofort/ daß hier ein symbolischer Sinn zu Grunde liegt,
aber wir wissen nicht sofort) welcher. Da mögen uns denn den Weg zur
richtigen Deutung der dunkeln und schwierigen mythologischen Symbole die
Symbole der Rechtsalterthümer bahnen; denn diese sind in den meisten Füllen
aus dem juristische Zweck des Geschäfts leichter zu deuten. Bei diesen Rechts¬
symbolen ergibt sich aberl die interessante Wahrnehmung des Uebergangs des
Symbols in die bloße formale Handlung. Es zeigt sich hier, daß der mensch¬
liche Geist und Wille, um erkennbar zu sein, immer an äußere Formen der
Sprache, der Bewegung, der Handlung gebunden ist. und es ist ein feiner,
kaum merklicher Uebergang von der Form zum Symbol, Kein Me»sah wird
den Rechtsgedanken symbolisch nennen, daß zur Ergreifung und Darstellung
des Besitzes eben eine thatsächliche Beziehung zu der zu occupuenden Sache
gehört: wenn Mir der Schenker das geschenkte Buch in die Hund gibt, so ist
daran gewiß nichts Symbolisches. Auch darin nicht, wenn der Verkäufer den
Käufer eines Gutes überall auf demselben herumführt. und ihm dadurch
Haus und Hof und Wald und Wiese übergibt. Aber es ist schon entschiedn«
Ansatz zrtt Symbolik, wenn dem Käufer oder der einheirathenden Ehefrau die
Schlüssel des Hauses überreicht werden, oder wenn die Wittwe auf das
Grab.ihres in Concurs verstorbnen Gatten die Schlüssel des Ehehauses nie¬
derlegt. In vielen Fällen nöthigt eben die Unbeweglichkeit oder Quantität
des Objects zu einer Stellvertretung des Ganzen durch eine» Theil, wo mög¬
lich einen recht charakteristischen Theil, und eine große Menge von symbolischen
Beziehungen findet ihre Erklärung durch solche Stellvertretung, durch ein
Mr8 Pro t.ot.0. Wenn dingliche Rechte an einem Haus durch einen spähn
aus den Thürpfosten, an einem Wald oder Obstgarten durch einen Ast. an
Acker und Wiese durch eine Erd- oder Rasenscholle, an einem Weinberg durch
einen Rebschößling übertragen werden, so ist diese einfachste Symbolik auf
den Gedanken „der Theil fürs Ganze" zurückzuführen. Schon viel schwieriger
ist .die Deutung, wenn das Zeichen gewählt wurde nicht wegen seines Theil-
Verhältnisses zu dem Bezeichneten, sondern wegen irgend einer der zahllosen
andern möglichen Beziehungen der Aehnlichkeit in irgend einem Punkt. Zum
Beispiel das germanische Ting wird gehegt, indem rothe Seidenfäden um den
Kreis der Versammelten gespannt werden. Warum rothe? Man hat an
Donar gedacht, dem die rothe Farbe heilig, und ihm nun aufs Gerathewohl
der»! Lorsitz der Gerichtsversammlung beigelegt, sowenig dies zu dem jähzor-
nig-en Gewittergott paßt. Wenn man aber nun findet, daß die rothen Fäden
nur bei den Gerichten mit Blutbann vorkommen, bei denen ohne Blutbann
nicht, so werden wir diese simple Farbensymbolik verstehen, ohne den Donner¬
gott mit juristischer Präsidentschaft zu incommodiren.

Wie in diesem Fall hat man auch sonst häufig falsche Deutungen aus


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/115>, abgerufen am 23.07.2024.