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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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des Geldwerthes mit in Anschlag bringt, den Unterhaltungskosten eines Ka¬
vallerieregiments in jetziger Zeit beinahe gleichkommen mag. Wiewohl der
ätherische Staat durch seinen Handel und seine Industrie schon früh auf das
Seewejen hingewiesen war und bald den Schwerpunkt seiner ganzen Macht
in die Flotte legte, so lehrt doch die Geschichte, mit welchem Enthusiasmus
und weicher Tapferkeit die athenischen Milizen sich stets geschlagen haben, und
selbst das Schlachtfeld von Charonea, über dem die Sonne der griechischen
Freiheit unterging, bezeugt, daß die athenischen Bürger jener gesunkenen Zeit
fürs Vaterland zu fechten und zu sterben verstanden. Freilich läßt es sich
nicht leugnen, das, die Verfassung des Staats selbst in manchen Stücken einer
strengen, auf unbedingte Subordination gebauten Disciplin hinderlich war.
Vorzüglich störte die Mehrzahl von zehn Feldherrn (Strategen), die jährlich
vom Volke gewählt wurden und die in den Perserkriegen sogar täglich den
Oberbefehl unter sich wechseln ließen, die militärische Einheit der Führung.
Und wen" auch später die Generale selten sämmtlich in den Krieg gesandt
wurden, wenn auch zuweilen ein bewährter Kriegsmann, der gar nicht zum
Kollegium der Strategen gehörte, mit dem Obercommando auf längere Zeit
betraut wurde, so ist doch das Bedenken gegen die Zweckmäßigkeit der Wahl
nicht nur der Generale, sondern auch der Obersten und Stabsoffiziere durch
Volksabstimmung gerechtfertigt genug, und was half den Feldherrn die un¬
umschränkteste Vollmacht, wenn sie nach beendigter Amtsführung zur Rechen¬
schaft vor die Volksgerichte gezogen und selbst mit dem Tode bestraft wer¬
den konnten? Timotheus und Iphikrates z. B. wurden im Bundesgenossen¬
krieg von ihrem College" Chares, dem sie sich im Kriegsrathe hinsichtlich
eines zu liefernde" Treffens widersetzt hatten, vor dem Volke angeklagt, der
Feldherrnwürde entsetzt und zu bedeutender Geldbuße verurtheilt. Auch ihr
Zeitgenosse Cephisodotus wurde abgesetzt, um 7500 Thlr. gestraft und bei¬
nahe zum Tode verurtheilt, weil er einen ungünstigen Vertrag geschlossen
hatte. Am verüchiigisten aber ist das Schicksal jener sechs Generale, die im
Jahre 406 nach einem großen Sachlage in der Nähe von Lesbos den Gift¬
becher leeren mußten, weil sie nach der Schlacht durch einen Sturm verhin¬
dert gewesen waren, die Leichen und Schiffstrümmc" zu sammeln. Demosthe-
nes rügte diese Unsitte mit treffenden Worten: "Es ist jetzt schimpflicher Weise
dahin gekommen, daß jeder eurer Feldherrn zwei- oder dreimal vor euch auf
den Tod angeklagt wird, gegen die Feinde aber keiner von ihnen auch nur
einmal auf den Tod zu kämpfen wagt, sondern den Tod der Menfchenräuber und
Meiderdiebe dem rühmlichen vorzieht; denn nur der Uebelthäter soll verurtheilt
sterben, der Feldherr aber im Kampfe gegen die Feinde." Außerdem war aber
auch im athenischen Bürger das Gefühl der politischen Gleichberechtigung zu
stark, als dah er sich leicht in blinder Unterwürfigkeit der strengen Ordnung der


des Geldwerthes mit in Anschlag bringt, den Unterhaltungskosten eines Ka¬
vallerieregiments in jetziger Zeit beinahe gleichkommen mag. Wiewohl der
ätherische Staat durch seinen Handel und seine Industrie schon früh auf das
Seewejen hingewiesen war und bald den Schwerpunkt seiner ganzen Macht
in die Flotte legte, so lehrt doch die Geschichte, mit welchem Enthusiasmus
und weicher Tapferkeit die athenischen Milizen sich stets geschlagen haben, und
selbst das Schlachtfeld von Charonea, über dem die Sonne der griechischen
Freiheit unterging, bezeugt, daß die athenischen Bürger jener gesunkenen Zeit
fürs Vaterland zu fechten und zu sterben verstanden. Freilich läßt es sich
nicht leugnen, das, die Verfassung des Staats selbst in manchen Stücken einer
strengen, auf unbedingte Subordination gebauten Disciplin hinderlich war.
Vorzüglich störte die Mehrzahl von zehn Feldherrn (Strategen), die jährlich
vom Volke gewählt wurden und die in den Perserkriegen sogar täglich den
Oberbefehl unter sich wechseln ließen, die militärische Einheit der Führung.
Und wen» auch später die Generale selten sämmtlich in den Krieg gesandt
wurden, wenn auch zuweilen ein bewährter Kriegsmann, der gar nicht zum
Kollegium der Strategen gehörte, mit dem Obercommando auf längere Zeit
betraut wurde, so ist doch das Bedenken gegen die Zweckmäßigkeit der Wahl
nicht nur der Generale, sondern auch der Obersten und Stabsoffiziere durch
Volksabstimmung gerechtfertigt genug, und was half den Feldherrn die un¬
umschränkteste Vollmacht, wenn sie nach beendigter Amtsführung zur Rechen¬
schaft vor die Volksgerichte gezogen und selbst mit dem Tode bestraft wer¬
den konnten? Timotheus und Iphikrates z. B. wurden im Bundesgenossen¬
krieg von ihrem College» Chares, dem sie sich im Kriegsrathe hinsichtlich
eines zu liefernde» Treffens widersetzt hatten, vor dem Volke angeklagt, der
Feldherrnwürde entsetzt und zu bedeutender Geldbuße verurtheilt. Auch ihr
Zeitgenosse Cephisodotus wurde abgesetzt, um 7500 Thlr. gestraft und bei¬
nahe zum Tode verurtheilt, weil er einen ungünstigen Vertrag geschlossen
hatte. Am verüchiigisten aber ist das Schicksal jener sechs Generale, die im
Jahre 406 nach einem großen Sachlage in der Nähe von Lesbos den Gift¬
becher leeren mußten, weil sie nach der Schlacht durch einen Sturm verhin¬
dert gewesen waren, die Leichen und Schiffstrümmc» zu sammeln. Demosthe-
nes rügte diese Unsitte mit treffenden Worten: „Es ist jetzt schimpflicher Weise
dahin gekommen, daß jeder eurer Feldherrn zwei- oder dreimal vor euch auf
den Tod angeklagt wird, gegen die Feinde aber keiner von ihnen auch nur
einmal auf den Tod zu kämpfen wagt, sondern den Tod der Menfchenräuber und
Meiderdiebe dem rühmlichen vorzieht; denn nur der Uebelthäter soll verurtheilt
sterben, der Feldherr aber im Kampfe gegen die Feinde." Außerdem war aber
auch im athenischen Bürger das Gefühl der politischen Gleichberechtigung zu
stark, als dah er sich leicht in blinder Unterwürfigkeit der strengen Ordnung der


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[0103] des Geldwerthes mit in Anschlag bringt, den Unterhaltungskosten eines Ka¬ vallerieregiments in jetziger Zeit beinahe gleichkommen mag. Wiewohl der ätherische Staat durch seinen Handel und seine Industrie schon früh auf das Seewejen hingewiesen war und bald den Schwerpunkt seiner ganzen Macht in die Flotte legte, so lehrt doch die Geschichte, mit welchem Enthusiasmus und weicher Tapferkeit die athenischen Milizen sich stets geschlagen haben, und selbst das Schlachtfeld von Charonea, über dem die Sonne der griechischen Freiheit unterging, bezeugt, daß die athenischen Bürger jener gesunkenen Zeit fürs Vaterland zu fechten und zu sterben verstanden. Freilich läßt es sich nicht leugnen, das, die Verfassung des Staats selbst in manchen Stücken einer strengen, auf unbedingte Subordination gebauten Disciplin hinderlich war. Vorzüglich störte die Mehrzahl von zehn Feldherrn (Strategen), die jährlich vom Volke gewählt wurden und die in den Perserkriegen sogar täglich den Oberbefehl unter sich wechseln ließen, die militärische Einheit der Führung. Und wen» auch später die Generale selten sämmtlich in den Krieg gesandt wurden, wenn auch zuweilen ein bewährter Kriegsmann, der gar nicht zum Kollegium der Strategen gehörte, mit dem Obercommando auf längere Zeit betraut wurde, so ist doch das Bedenken gegen die Zweckmäßigkeit der Wahl nicht nur der Generale, sondern auch der Obersten und Stabsoffiziere durch Volksabstimmung gerechtfertigt genug, und was half den Feldherrn die un¬ umschränkteste Vollmacht, wenn sie nach beendigter Amtsführung zur Rechen¬ schaft vor die Volksgerichte gezogen und selbst mit dem Tode bestraft wer¬ den konnten? Timotheus und Iphikrates z. B. wurden im Bundesgenossen¬ krieg von ihrem College» Chares, dem sie sich im Kriegsrathe hinsichtlich eines zu liefernde» Treffens widersetzt hatten, vor dem Volke angeklagt, der Feldherrnwürde entsetzt und zu bedeutender Geldbuße verurtheilt. Auch ihr Zeitgenosse Cephisodotus wurde abgesetzt, um 7500 Thlr. gestraft und bei¬ nahe zum Tode verurtheilt, weil er einen ungünstigen Vertrag geschlossen hatte. Am verüchiigisten aber ist das Schicksal jener sechs Generale, die im Jahre 406 nach einem großen Sachlage in der Nähe von Lesbos den Gift¬ becher leeren mußten, weil sie nach der Schlacht durch einen Sturm verhin¬ dert gewesen waren, die Leichen und Schiffstrümmc» zu sammeln. Demosthe- nes rügte diese Unsitte mit treffenden Worten: „Es ist jetzt schimpflicher Weise dahin gekommen, daß jeder eurer Feldherrn zwei- oder dreimal vor euch auf den Tod angeklagt wird, gegen die Feinde aber keiner von ihnen auch nur einmal auf den Tod zu kämpfen wagt, sondern den Tod der Menfchenräuber und Meiderdiebe dem rühmlichen vorzieht; denn nur der Uebelthäter soll verurtheilt sterben, der Feldherr aber im Kampfe gegen die Feinde." Außerdem war aber auch im athenischen Bürger das Gefühl der politischen Gleichberechtigung zu stark, als dah er sich leicht in blinder Unterwürfigkeit der strengen Ordnung der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/103>, abgerufen am 23.07.2024.