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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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als er sich für einen Sohn des Myrmidonen Polykton ausgibt, daß ihn
unter seinen sieben Brüdern das Loos getroffen habe, dem Achilles nach Troja
zu folgen. Doch muß man beinahe glauben, daß man sich auch von der
Verpflichtung loskaufen konnte, wenn man an einer anderen Stelle der Jliade
liest, daß ein reicher Sikyonier dem Agamemnon eine Stute geschenkt habe,
um nicht an der Heerfahrt Theil nehmen zu müssen. Plutarch freilich sieht
darin blos einen Beweis für die Klugheit des Anführers einem Feigling
gegenüber. -- In der historischen Zeit, nachdem die Vergewaltigung vieler
Staaten durch übermächtige Tyrannen überwunden war. findet man überall
gleiche Bestandtheile der Kriegsmacht vor: das Heer war die Nation und die
Nation das Heer. Stehende Heere in Friedenszeiten, die in unseren Tagen
bei den künstlichst organisirten Steuersystemen die Staaten aussaugen, wür¬
den nicht blos die Finanzkrüste der griechischen Republiken überstiegen haben,
sondern auch als leicht zur Tyrannis führende und deshalb verfassungsgefähr¬
liche Einrichtung angesehen worden sein. Auch wurde die heimische Bevölke¬
rung, mit Ausnahme der zu jeder Zeit gleichsam im Feldlager lebenden Spar¬
taner, durch ihre bestimmten täglichen Beschäftigungen abgehalten, eine längere
Zeit sich dem Kriege zu widmen: sie betrachtete den Kriegsdienst nicht als'
Hauptsache und war gewohnt, be,i Einbruch der kälteren Jahreszeit vom Feld-
Herrn nach Hause entlassen zu werden. Ein Heer aber aus Fremden oder
gar Sklaven zu bilden, das verabscheuten in der guten Zeit alle Hellenen
ohne Ausnahme; und wenn die Noth unausweichlich zu diesem Auskunfts¬
mittel drängte, so enthob man dieselben nach Beendigung des Krieges ihres
verachteten Standes, sowie z. B. die Spartaner im peloponnesischen Kriege
viele Heloten, die Athener nach den Schlachten bei den Arginusen und bei
Charonea den mitausgezogenen Sklaven die Freiheit schenkten. Diese Aus¬
schließung aller Nichtbürger vom Waffendienste wird durch die Stellung des
Bürgers zum Staate gerechtfertigt. Bei dem innigen Zusammenhange des
Heerwesens mit dem gesammten Staatsorganismus war der Kriegsdienst
einestheils wohl eine Pflicht des freien Bürgers, der keineswegs wieder
Miethling um Geld jund Lohn sein Leben für Andere wagte und deren
Hab und Gut zu schützen sich verpflichtete, sondkru die Bewahrung und Ver¬
theidigung der heiligsten Güter selbstbewußt übernahm, anderntheils aber
auch ein Recht, das Jeder als eine Ehre für sich beanspruchte. Vom Nicht-
bürger und Unfreien setzte man voraus, daß er ein geringeres Interesse am
Staate habe, ja daß er sich deshalb wohl gar gegen des Staates Vortheil
gebrauchen lassen könne, und vermied es daher, ihm die Waffen in die Hände
zu geben. Sogar die Gewerbtreibenden waren in manchen Staaten, wie
auch in Athen, zum regelmäßigen Dienste nicht verbunden, da sie unmöglich
für ihre Ausrüstung und Verpflegung sorgen konnten, und außerdem wegen


als er sich für einen Sohn des Myrmidonen Polykton ausgibt, daß ihn
unter seinen sieben Brüdern das Loos getroffen habe, dem Achilles nach Troja
zu folgen. Doch muß man beinahe glauben, daß man sich auch von der
Verpflichtung loskaufen konnte, wenn man an einer anderen Stelle der Jliade
liest, daß ein reicher Sikyonier dem Agamemnon eine Stute geschenkt habe,
um nicht an der Heerfahrt Theil nehmen zu müssen. Plutarch freilich sieht
darin blos einen Beweis für die Klugheit des Anführers einem Feigling
gegenüber. — In der historischen Zeit, nachdem die Vergewaltigung vieler
Staaten durch übermächtige Tyrannen überwunden war. findet man überall
gleiche Bestandtheile der Kriegsmacht vor: das Heer war die Nation und die
Nation das Heer. Stehende Heere in Friedenszeiten, die in unseren Tagen
bei den künstlichst organisirten Steuersystemen die Staaten aussaugen, wür¬
den nicht blos die Finanzkrüste der griechischen Republiken überstiegen haben,
sondern auch als leicht zur Tyrannis führende und deshalb verfassungsgefähr¬
liche Einrichtung angesehen worden sein. Auch wurde die heimische Bevölke¬
rung, mit Ausnahme der zu jeder Zeit gleichsam im Feldlager lebenden Spar¬
taner, durch ihre bestimmten täglichen Beschäftigungen abgehalten, eine längere
Zeit sich dem Kriege zu widmen: sie betrachtete den Kriegsdienst nicht als'
Hauptsache und war gewohnt, be,i Einbruch der kälteren Jahreszeit vom Feld-
Herrn nach Hause entlassen zu werden. Ein Heer aber aus Fremden oder
gar Sklaven zu bilden, das verabscheuten in der guten Zeit alle Hellenen
ohne Ausnahme; und wenn die Noth unausweichlich zu diesem Auskunfts¬
mittel drängte, so enthob man dieselben nach Beendigung des Krieges ihres
verachteten Standes, sowie z. B. die Spartaner im peloponnesischen Kriege
viele Heloten, die Athener nach den Schlachten bei den Arginusen und bei
Charonea den mitausgezogenen Sklaven die Freiheit schenkten. Diese Aus¬
schließung aller Nichtbürger vom Waffendienste wird durch die Stellung des
Bürgers zum Staate gerechtfertigt. Bei dem innigen Zusammenhange des
Heerwesens mit dem gesammten Staatsorganismus war der Kriegsdienst
einestheils wohl eine Pflicht des freien Bürgers, der keineswegs wieder
Miethling um Geld jund Lohn sein Leben für Andere wagte und deren
Hab und Gut zu schützen sich verpflichtete, sondkru die Bewahrung und Ver¬
theidigung der heiligsten Güter selbstbewußt übernahm, anderntheils aber
auch ein Recht, das Jeder als eine Ehre für sich beanspruchte. Vom Nicht-
bürger und Unfreien setzte man voraus, daß er ein geringeres Interesse am
Staate habe, ja daß er sich deshalb wohl gar gegen des Staates Vortheil
gebrauchen lassen könne, und vermied es daher, ihm die Waffen in die Hände
zu geben. Sogar die Gewerbtreibenden waren in manchen Staaten, wie
auch in Athen, zum regelmäßigen Dienste nicht verbunden, da sie unmöglich
für ihre Ausrüstung und Verpflegung sorgen konnten, und außerdem wegen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/100>, abgerufen am 28.12.2024.