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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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schen England und Amerika, so wie der Tod eines kühlen Freundes und nicht
zu täuschenden Gegners den Kaiser wieder in die Stellung, welche ihm besonders
angenehm sein mag, in den Beginn einer allgemeinen politischen Unsicherheit,
welche seiner Freude an großen Combinationen neuen Spielraum gewährt.
Wieder ist er in der Lage, eine Anzahl fertiger Pläne aus dem geheimen Fach
seiner Gedanken herauszuziehen und prüfend zu durchblättern. Es war einen
Augenblick lockend, mit England gegen die Unionsstaaten zusammen zu gehen
und als Schiedsrichter der Erde auch in dem vierten Welttheil zu beruhigen
und zu reguliren; es erschien zuletzt lockender, das wahrscheinliche Engagement
Englands zu benutzen und in Europa mit freier Hand zu schalten. Er
konnte den zweiten Schlag in Italien ausführen, in diesem Falle wurde seine
Aufgabe, Preußen und Deutschland von Oestreich fern zu halten und durch
Concessionen beim Handelsvertrage nachbarliche Geneigtheit zu erweisen, oder
er konnte gar das unfertige Aussehen, welches grade jetzt Preußen darbietet,
dazu benutzen, um der deutschen Frage und einer Grenzregulirung am Rhein
nachzusinnen.

Allgemein ist die Empfindung, daß ein Krieg zwischen England und der
amerikanischen Union in der gegenwärtigen Weltlage ein Unglück sür Europa
wäre. Aber auch eine unpolitische und zweideutige That Englands. Wenn
die plumpe Taktlosigkeit amerikanischer Blätter und Behörden, wenn die Rück¬
sicht auf englische Handels- und Fabrikinteressen schon in dem vergangenen
Sommer das englische Volk den Separatisten geneigter machte, als seine Stel¬
lung zu der Sclavenfrage anständiger Weise erlaubte, so durfte man diese
Inconsequenz als Folge einer vorübergehenden Verstimmung betrachten, welche
den Völkern ebenso das Urtheil verwirrt, wie den Individuen. Wenn aber
die Regierung Englands die Trent-Affaire ausbeuten könnte, über einen alten
Verwandten, dem jetzt die Hände gebunden sind, herzufallen, so würde solcher
Krieg das strengste Urtheil herausfordern. Es ist männlich. einem Starken
gegenüber in dem nationalen Ehrenpunkt eifrig und strenge zu sein, vor einem
geschwächten Gegner, der bereits mit einem anderen Feinde ringt, ist große
Nachsicht und Geduld nicht Schwache, sondern Loyalität. Wir durften, so
lange der Prinz-Gemahl lebte, überzeugt sein, daß hinter dem officiellen Drängen
sich die besonnenste Auffassung des Streitpunktes geltend machen würde; jetzt
in den ersten Wochen nach seinem Tode muß man von Herzen wünschen, daß
die Traditionen seines unbefangenen Urtheils sich in der Regierung gegen
Wind und Wetten der Tagesstimmung erhalten.

Freilich, auch dem Kaiser Napoleon sind, soweit aus der Ferne eine Ansicht
erlaubt ist, die letzten Jahre nicht ohne Einwirkung über das Haupt gezogen.
Er ist vorsichtiger geworden, dre Siege und die Beute des italienischen
Krieges haben ihn in Frankreich fester gestellt, er hat Erfolge zu conserviren


schen England und Amerika, so wie der Tod eines kühlen Freundes und nicht
zu täuschenden Gegners den Kaiser wieder in die Stellung, welche ihm besonders
angenehm sein mag, in den Beginn einer allgemeinen politischen Unsicherheit,
welche seiner Freude an großen Combinationen neuen Spielraum gewährt.
Wieder ist er in der Lage, eine Anzahl fertiger Pläne aus dem geheimen Fach
seiner Gedanken herauszuziehen und prüfend zu durchblättern. Es war einen
Augenblick lockend, mit England gegen die Unionsstaaten zusammen zu gehen
und als Schiedsrichter der Erde auch in dem vierten Welttheil zu beruhigen
und zu reguliren; es erschien zuletzt lockender, das wahrscheinliche Engagement
Englands zu benutzen und in Europa mit freier Hand zu schalten. Er
konnte den zweiten Schlag in Italien ausführen, in diesem Falle wurde seine
Aufgabe, Preußen und Deutschland von Oestreich fern zu halten und durch
Concessionen beim Handelsvertrage nachbarliche Geneigtheit zu erweisen, oder
er konnte gar das unfertige Aussehen, welches grade jetzt Preußen darbietet,
dazu benutzen, um der deutschen Frage und einer Grenzregulirung am Rhein
nachzusinnen.

Allgemein ist die Empfindung, daß ein Krieg zwischen England und der
amerikanischen Union in der gegenwärtigen Weltlage ein Unglück sür Europa
wäre. Aber auch eine unpolitische und zweideutige That Englands. Wenn
die plumpe Taktlosigkeit amerikanischer Blätter und Behörden, wenn die Rück¬
sicht auf englische Handels- und Fabrikinteressen schon in dem vergangenen
Sommer das englische Volk den Separatisten geneigter machte, als seine Stel¬
lung zu der Sclavenfrage anständiger Weise erlaubte, so durfte man diese
Inconsequenz als Folge einer vorübergehenden Verstimmung betrachten, welche
den Völkern ebenso das Urtheil verwirrt, wie den Individuen. Wenn aber
die Regierung Englands die Trent-Affaire ausbeuten könnte, über einen alten
Verwandten, dem jetzt die Hände gebunden sind, herzufallen, so würde solcher
Krieg das strengste Urtheil herausfordern. Es ist männlich. einem Starken
gegenüber in dem nationalen Ehrenpunkt eifrig und strenge zu sein, vor einem
geschwächten Gegner, der bereits mit einem anderen Feinde ringt, ist große
Nachsicht und Geduld nicht Schwache, sondern Loyalität. Wir durften, so
lange der Prinz-Gemahl lebte, überzeugt sein, daß hinter dem officiellen Drängen
sich die besonnenste Auffassung des Streitpunktes geltend machen würde; jetzt
in den ersten Wochen nach seinem Tode muß man von Herzen wünschen, daß
die Traditionen seines unbefangenen Urtheils sich in der Regierung gegen
Wind und Wetten der Tagesstimmung erhalten.

Freilich, auch dem Kaiser Napoleon sind, soweit aus der Ferne eine Ansicht
erlaubt ist, die letzten Jahre nicht ohne Einwirkung über das Haupt gezogen.
Er ist vorsichtiger geworden, dre Siege und die Beute des italienischen
Krieges haben ihn in Frankreich fester gestellt, er hat Erfolge zu conserviren


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/10>, abgerufen am 23.07.2024.