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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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vinzielle Beschränktheit nur auf den Verkehr mit ihresgleichen angewiesen sind,
tyrannisirt hat. Demungeachtet ist anzunehmen, daß auch in der Zukunft ein
solcher Einfluß sich wieder geltend machen wird, um so mehr, je lebhafter in den
polnischen Edelleuten das Gefühl wird, daß sie durch das Ueberhandnehmen
der Deutschen gedrängt und isolirt werden.

Trotz solcher Hindernisse schreitet die Germanisirung in der Provinz all¬
jährlich fort. Es wird den polnischen Gutsbesitzern und Bauern sehr schwer,
zu sparen und durch stetige Arbeit ihr Leben in Ordnung zu halten. Schon
ist die Mehrzahl der großen Gütercomplexe in deutschen Händen, von den
kleineren Rittergütern sind einige hundert so mit Schulden belastet, daß ihre
Behauptung den Besitzern unmöglich werden wird, unaufhörlich gehen die¬
selben in deutsche Hände über. Aber auch die nothwendige Subhastation der
bäuerischen Stellen findet im Großherzogthum in einem Umfange statt,
der erschrecken darf. So wird das Schicksal auch vieler Dorfgemeinden sein,
durch deutsche Käufer umgeformt zu werden.

Die Stellung der Regierung zu dieser langsamen aber unaufhaltsamen
Wandlung einer polnischen Landschaft in eine deutsche ist nicht zu aller Zeit
consequent, ja nicht zu aller Zeit Preußens würdig gewesen. Die Verwal¬
tungsbeamten waren oft geneigt, durch die Virtuosität der Polen im systema¬
tischen Aergern gereizt, mit gleicher Münze zu bezahlen. Sie haben das in
der Regel ungeschickt gemacht, durch kleinliche Polizeiwirthschaft, welche nur
erbitterte, ohne zu imponiren. Die höchste Staatsleitung selbst hat nicht immer
den Grundsatz festgehalten, gegen die Polen gütig und menschlich zu sein, aber
innerhalb der gesetzlichen Schranken unerbittlich mit der Germanisirung vor¬
zugehen. Es hat eine unselige Zeit gegeben, wo man in einer umherflackern¬
den Courtoisie sich gefiel, oder in dem noch unglücklicheren Gedanken, ein
originales polnisches Element mit seinen interessanten Eigenthümlichkeiten in
Preußen groß zu ziehen. Das hat sich gerächt. Aber auch in der Periode,
in welcher man die Interessen Preußens verständiger handhabte, ist von der
Staatsregierung Vieles versäumt worden. Man hat unter Friedrich Wilhelm
dem Dritten Millionen darauf verwendet, dem verschuldeten Adel der alten Pro¬
vinzen Geschenke oder Darlehen zu niedrigen Zinsen zu machen, man hat da¬
durch im besten Falle eine Anzahl schwacher Familien conservirt, die für die
Landcscultur wie alle andern höchsten Interessen des Staates keinen Werth
hatten, wol gar die Fortschritte des Staates aufhielten. Hätte man die Hälfte
dieser Summe auf den Ankauf polnischer Güter verwendet, wir würden jetzt
nicht mehr nöthig haben, die Proteste einiger unzufriedenen Polen in dem
Preußischen Abgeordnetenhause anzuhören. Es war vor 30, noch vor 20 Jah¬
ren möglich, durch ein Capital von 10 Millionen die gesammte Provinz so
zu germanisiren, daß die Arbeit jetzt gethan Wäre; und der Regierung ist die-


Grenzbotm IV. 1361. 12

vinzielle Beschränktheit nur auf den Verkehr mit ihresgleichen angewiesen sind,
tyrannisirt hat. Demungeachtet ist anzunehmen, daß auch in der Zukunft ein
solcher Einfluß sich wieder geltend machen wird, um so mehr, je lebhafter in den
polnischen Edelleuten das Gefühl wird, daß sie durch das Ueberhandnehmen
der Deutschen gedrängt und isolirt werden.

Trotz solcher Hindernisse schreitet die Germanisirung in der Provinz all¬
jährlich fort. Es wird den polnischen Gutsbesitzern und Bauern sehr schwer,
zu sparen und durch stetige Arbeit ihr Leben in Ordnung zu halten. Schon
ist die Mehrzahl der großen Gütercomplexe in deutschen Händen, von den
kleineren Rittergütern sind einige hundert so mit Schulden belastet, daß ihre
Behauptung den Besitzern unmöglich werden wird, unaufhörlich gehen die¬
selben in deutsche Hände über. Aber auch die nothwendige Subhastation der
bäuerischen Stellen findet im Großherzogthum in einem Umfange statt,
der erschrecken darf. So wird das Schicksal auch vieler Dorfgemeinden sein,
durch deutsche Käufer umgeformt zu werden.

Die Stellung der Regierung zu dieser langsamen aber unaufhaltsamen
Wandlung einer polnischen Landschaft in eine deutsche ist nicht zu aller Zeit
consequent, ja nicht zu aller Zeit Preußens würdig gewesen. Die Verwal¬
tungsbeamten waren oft geneigt, durch die Virtuosität der Polen im systema¬
tischen Aergern gereizt, mit gleicher Münze zu bezahlen. Sie haben das in
der Regel ungeschickt gemacht, durch kleinliche Polizeiwirthschaft, welche nur
erbitterte, ohne zu imponiren. Die höchste Staatsleitung selbst hat nicht immer
den Grundsatz festgehalten, gegen die Polen gütig und menschlich zu sein, aber
innerhalb der gesetzlichen Schranken unerbittlich mit der Germanisirung vor¬
zugehen. Es hat eine unselige Zeit gegeben, wo man in einer umherflackern¬
den Courtoisie sich gefiel, oder in dem noch unglücklicheren Gedanken, ein
originales polnisches Element mit seinen interessanten Eigenthümlichkeiten in
Preußen groß zu ziehen. Das hat sich gerächt. Aber auch in der Periode,
in welcher man die Interessen Preußens verständiger handhabte, ist von der
Staatsregierung Vieles versäumt worden. Man hat unter Friedrich Wilhelm
dem Dritten Millionen darauf verwendet, dem verschuldeten Adel der alten Pro¬
vinzen Geschenke oder Darlehen zu niedrigen Zinsen zu machen, man hat da¬
durch im besten Falle eine Anzahl schwacher Familien conservirt, die für die
Landcscultur wie alle andern höchsten Interessen des Staates keinen Werth
hatten, wol gar die Fortschritte des Staates aufhielten. Hätte man die Hälfte
dieser Summe auf den Ankauf polnischer Güter verwendet, wir würden jetzt
nicht mehr nöthig haben, die Proteste einiger unzufriedenen Polen in dem
Preußischen Abgeordnetenhause anzuhören. Es war vor 30, noch vor 20 Jah¬
ren möglich, durch ein Capital von 10 Millionen die gesammte Provinz so
zu germanisiren, daß die Arbeit jetzt gethan Wäre; und der Regierung ist die-


Grenzbotm IV. 1361. 12
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[0099] vinzielle Beschränktheit nur auf den Verkehr mit ihresgleichen angewiesen sind, tyrannisirt hat. Demungeachtet ist anzunehmen, daß auch in der Zukunft ein solcher Einfluß sich wieder geltend machen wird, um so mehr, je lebhafter in den polnischen Edelleuten das Gefühl wird, daß sie durch das Ueberhandnehmen der Deutschen gedrängt und isolirt werden. Trotz solcher Hindernisse schreitet die Germanisirung in der Provinz all¬ jährlich fort. Es wird den polnischen Gutsbesitzern und Bauern sehr schwer, zu sparen und durch stetige Arbeit ihr Leben in Ordnung zu halten. Schon ist die Mehrzahl der großen Gütercomplexe in deutschen Händen, von den kleineren Rittergütern sind einige hundert so mit Schulden belastet, daß ihre Behauptung den Besitzern unmöglich werden wird, unaufhörlich gehen die¬ selben in deutsche Hände über. Aber auch die nothwendige Subhastation der bäuerischen Stellen findet im Großherzogthum in einem Umfange statt, der erschrecken darf. So wird das Schicksal auch vieler Dorfgemeinden sein, durch deutsche Käufer umgeformt zu werden. Die Stellung der Regierung zu dieser langsamen aber unaufhaltsamen Wandlung einer polnischen Landschaft in eine deutsche ist nicht zu aller Zeit consequent, ja nicht zu aller Zeit Preußens würdig gewesen. Die Verwal¬ tungsbeamten waren oft geneigt, durch die Virtuosität der Polen im systema¬ tischen Aergern gereizt, mit gleicher Münze zu bezahlen. Sie haben das in der Regel ungeschickt gemacht, durch kleinliche Polizeiwirthschaft, welche nur erbitterte, ohne zu imponiren. Die höchste Staatsleitung selbst hat nicht immer den Grundsatz festgehalten, gegen die Polen gütig und menschlich zu sein, aber innerhalb der gesetzlichen Schranken unerbittlich mit der Germanisirung vor¬ zugehen. Es hat eine unselige Zeit gegeben, wo man in einer umherflackern¬ den Courtoisie sich gefiel, oder in dem noch unglücklicheren Gedanken, ein originales polnisches Element mit seinen interessanten Eigenthümlichkeiten in Preußen groß zu ziehen. Das hat sich gerächt. Aber auch in der Periode, in welcher man die Interessen Preußens verständiger handhabte, ist von der Staatsregierung Vieles versäumt worden. Man hat unter Friedrich Wilhelm dem Dritten Millionen darauf verwendet, dem verschuldeten Adel der alten Pro¬ vinzen Geschenke oder Darlehen zu niedrigen Zinsen zu machen, man hat da¬ durch im besten Falle eine Anzahl schwacher Familien conservirt, die für die Landcscultur wie alle andern höchsten Interessen des Staates keinen Werth hatten, wol gar die Fortschritte des Staates aufhielten. Hätte man die Hälfte dieser Summe auf den Ankauf polnischer Güter verwendet, wir würden jetzt nicht mehr nöthig haben, die Proteste einiger unzufriedenen Polen in dem Preußischen Abgeordnetenhause anzuhören. Es war vor 30, noch vor 20 Jah¬ ren möglich, durch ein Capital von 10 Millionen die gesammte Provinz so zu germanisiren, daß die Arbeit jetzt gethan Wäre; und der Regierung ist die- Grenzbotm IV. 1361. 12

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/99>, abgerufen am 23.07.2024.