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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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Galizien die Lage derselben zu einer beneidenswerther machen. Ein Theil
der ansehnlicheren polnischen Gutsbesitzer hat seine Güter ganz auf deutsche
Weise eingerichtet und kann wol den Vergleich mit seinen deutschen Nachbarn
aushalten. In den Bauern, welche längst freie Ackerbesitzer geworden sind,
ist die Idee eines Polenreichs nichts weniger als populär, die dunkeln Er¬
innerungen, welche das gegenwärtige Geschlecht an alte Zustände hat, sind
eng verbunden mit den Erinnerungen an Schlage, Mißhandlungen und alles
Leiden einer unwürdigen Sklaverei, welche sie zu ertragen hatten. Aber beide,
Gutsherrn und Bauern, sind durch ein Band verbunden, welches von Zeit
zu Zeit auch den Landmann von Preußen abzieht, durch ihre Kirche. Pol¬
nisch und Katholisch ist in der Empfindung des Landvolks gleichbedeutend.
Die polnischen Geistlichen sind bei den Gährungen, welche in den letzten fünf¬
zig Jahren dort entstanden, in großer Anzahl die Agitatoren gewesen. Der
polnische Bauer kehrt von seinen Soldatenjahren als guter Preuße in das
Dorf zurück. Es ist ihm dort eine neue Welt aufgeschlossen, er hat ein wenig
Deutsch gelernt, in den Lehrstunden der Compagnie und durch den Verkehr
in einer deutschen Garnison sind eine Menge Vorstellungen in die arme un¬
wissende Seele gefallen, w"lebe ihn um vieles kräftiger und freier machen.
Aber das Mädchen, welches er heirathet, war in dem Bann ihres Dorfs zu¬
rückgeblieben, in völliger Abhängigkeit von ihrem Geistlichen, ohne Kenntniß
der deutschen Sprache, leider oft mit den unordentlichen Gewohnheiten der
polnischen Wirthschaft. So sinkt der junge Bauer mit seiner Familie leicht
wieder in den alten Schlendrian zurück. Kommt also die Zeit, wo Edelleute
und Geistliche der Versuchung verfallen, eine polnische Bewegung anzuführen,
dann sieht die Mehrzahl der polnischen Landleute im Anfange mit preußischen
Augen auf die unheimliche Rührigkeit, bis zu den Tagen, wo sie den Dienst
und Segen ihrer Kirche bedürfen. Dann aber verfallen sie der Zucht ihres
Seelsorgers. Bis jetzt hat der Geistliche ihnen sehr häusig den Zulaß zu
den Sacramenten verweigert, wenn sie zum Hofe des deutschen -- ketzerischen
-- Herrn hielten. Die Folge war, daß sie sich scheu und unsicher von den
Deutschen zurückzogen und nach wenigen Wochen in die Hände der polnischen
Agitatoren fielen. Viele unterlagen dieser Verlockung, aber nicht Alle. So¬
gar in der bedenklichsten Zeit des Jahres 1848 ist ein namhafter Theil der
Landleute, zuweilen ganze Dorfschaften fest bei der preußischen Regierung ge¬
blieben, in den Kreisen, in denen die Polen am leidenschaftlichsten aufgeregt
waren.

Auch die polnischen Gutsbesitzer in Posen gehören in der Mehrzahl
keineswegs der exaltirten polnischen Partei an, im Gegentheil, es ist bis jetzt
bei den Aufregungen immer eine verhältnißmäßig kleine Minorität gewesen,
welche die einfachen leicht erregten Männer, die durch ihre Sprache und pro-


Galizien die Lage derselben zu einer beneidenswerther machen. Ein Theil
der ansehnlicheren polnischen Gutsbesitzer hat seine Güter ganz auf deutsche
Weise eingerichtet und kann wol den Vergleich mit seinen deutschen Nachbarn
aushalten. In den Bauern, welche längst freie Ackerbesitzer geworden sind,
ist die Idee eines Polenreichs nichts weniger als populär, die dunkeln Er¬
innerungen, welche das gegenwärtige Geschlecht an alte Zustände hat, sind
eng verbunden mit den Erinnerungen an Schlage, Mißhandlungen und alles
Leiden einer unwürdigen Sklaverei, welche sie zu ertragen hatten. Aber beide,
Gutsherrn und Bauern, sind durch ein Band verbunden, welches von Zeit
zu Zeit auch den Landmann von Preußen abzieht, durch ihre Kirche. Pol¬
nisch und Katholisch ist in der Empfindung des Landvolks gleichbedeutend.
Die polnischen Geistlichen sind bei den Gährungen, welche in den letzten fünf¬
zig Jahren dort entstanden, in großer Anzahl die Agitatoren gewesen. Der
polnische Bauer kehrt von seinen Soldatenjahren als guter Preuße in das
Dorf zurück. Es ist ihm dort eine neue Welt aufgeschlossen, er hat ein wenig
Deutsch gelernt, in den Lehrstunden der Compagnie und durch den Verkehr
in einer deutschen Garnison sind eine Menge Vorstellungen in die arme un¬
wissende Seele gefallen, w»lebe ihn um vieles kräftiger und freier machen.
Aber das Mädchen, welches er heirathet, war in dem Bann ihres Dorfs zu¬
rückgeblieben, in völliger Abhängigkeit von ihrem Geistlichen, ohne Kenntniß
der deutschen Sprache, leider oft mit den unordentlichen Gewohnheiten der
polnischen Wirthschaft. So sinkt der junge Bauer mit seiner Familie leicht
wieder in den alten Schlendrian zurück. Kommt also die Zeit, wo Edelleute
und Geistliche der Versuchung verfallen, eine polnische Bewegung anzuführen,
dann sieht die Mehrzahl der polnischen Landleute im Anfange mit preußischen
Augen auf die unheimliche Rührigkeit, bis zu den Tagen, wo sie den Dienst
und Segen ihrer Kirche bedürfen. Dann aber verfallen sie der Zucht ihres
Seelsorgers. Bis jetzt hat der Geistliche ihnen sehr häusig den Zulaß zu
den Sacramenten verweigert, wenn sie zum Hofe des deutschen — ketzerischen
— Herrn hielten. Die Folge war, daß sie sich scheu und unsicher von den
Deutschen zurückzogen und nach wenigen Wochen in die Hände der polnischen
Agitatoren fielen. Viele unterlagen dieser Verlockung, aber nicht Alle. So¬
gar in der bedenklichsten Zeit des Jahres 1848 ist ein namhafter Theil der
Landleute, zuweilen ganze Dorfschaften fest bei der preußischen Regierung ge¬
blieben, in den Kreisen, in denen die Polen am leidenschaftlichsten aufgeregt
waren.

Auch die polnischen Gutsbesitzer in Posen gehören in der Mehrzahl
keineswegs der exaltirten polnischen Partei an, im Gegentheil, es ist bis jetzt
bei den Aufregungen immer eine verhältnißmäßig kleine Minorität gewesen,
welche die einfachen leicht erregten Männer, die durch ihre Sprache und pro-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/98>, abgerufen am 23.07.2024.