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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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Sitzes für die Verbesserung, für Administration und Cultur dieser Länder ge¬
than hat, sein Ueberschuß an Intelligenz, Menschenkraft und Capital WM
lange nicht groß genug, dies Slavenland wirklich nutzbar zu machen. Die
Integrität der deutschen Beamten, welche in großer Zahl hineingesandt wur¬
den, kam bei den Versuchungen, welche die barbarischen Zustände nahe legten,
immer wieder in Gefahr; die Kolonisation, welche nicht mehr durch die All^
umspannende Kraft Friedrichs des Zweiten geleitet wurde, war durchaus un¬
genügend,'obgleich auch in dem Theile Südpreußens, welcher später nicht an
Preußen zurückfiel, Spuren derselben noch jetzt erkennbar sind. Im besten
Falle wäre die Kraft des Staates auf Jahrhunderte so ausschließlich durch
diese Provinzen in Anspruch genommen worden, daß dies die Bedeutung, welche
Preußen für Deutschland haben soll, wesentlich verringert hätte. Der Erwerb
in dieser Ausdehnung kam um ein Jahrhundert zu spät oder zu früh. So
war es vorläufig kein Unglück, daß nach der Restitution des Staates im Jahr
1814 und 15 nur der kleinere Theil von Südpreußen als Großherzogthum
Posen wieder mit dem Staatskörper vereinigt wurde, ein Theil, welcher noth¬
dürftig, aber durchaus nicht genügend die langgedehnten offenen Grenzen
Schlesiens und Ostpreußens verbindet, und dem Mittelpunkt der Monarchie
Berlin immerhin unzureichende Deckung gibt.

Es war die Aufgabe Preußens, dieses Terrain, sowie die wenigen pol¬
nischen Kreise Westpreußens mit dem vollen Ausgebot seiner Kraft zu germa-
nisiren. Jetzt nach fast fünfzig Jahren eines im Ganzen ruhigen Besitzes,
der allerdings dreimal durch polnische Erhebungen nicht in Frage gestellt,
aber aufgeregt wurde, darf der Preuße zwar ohne Demüthigung, aber auch
ohne besonderen Stolz auf die Fortschritte sehen, welche das deutsche Leben
daselbst gemacht. Die Provinz ist in einem halben Jahrhundert erst etwa
zur Hälfte germanisirt worden. Allerdings bietet die erste Zeit, in welcher
ein neues Leben über altem sich festsetzt, immer die größten Schwierigkeiten
dar. Was durch den preußischen Beamtenstand geschehen konnte, ist redlich
gethan worden, geordnete Rechtspflege und Verwaltung, politische Hebung
des Bauern, ein Aufblühen der Städte. Auch der Ackerbau ist durch deutsche
Arbeitskraft, deutsche Oekonomen, Maschinen und Fabriken auf eine Höhe ge¬
bracht, welche nur wenig dem Culturstand Schlesiens und Ostpreußens nach¬
steht. Die größere Hälfte der Kreise ist so mit deutschem Leben gefüllt, daß
die deutschen stimmfähigen Bürger die entschiedene Majorität bilden, auch in
solchen, wo das polnische Element noch das stärkere ist, stehen die Deutschen
als eine mit jedem Jahre wachsende Minorität. Die Polen selbst, Gutsherrn
und Bauern, -- denn die kleinen Städte und Marktflecken, welche noch vo"
wiegend polnische Bevölkerung haben, sind unbedeutend -- haben Fortschritte
gemacht, welche wenigstens im Vergleich zum russischen Königreich Polen und


Sitzes für die Verbesserung, für Administration und Cultur dieser Länder ge¬
than hat, sein Ueberschuß an Intelligenz, Menschenkraft und Capital WM
lange nicht groß genug, dies Slavenland wirklich nutzbar zu machen. Die
Integrität der deutschen Beamten, welche in großer Zahl hineingesandt wur¬
den, kam bei den Versuchungen, welche die barbarischen Zustände nahe legten,
immer wieder in Gefahr; die Kolonisation, welche nicht mehr durch die All^
umspannende Kraft Friedrichs des Zweiten geleitet wurde, war durchaus un¬
genügend,'obgleich auch in dem Theile Südpreußens, welcher später nicht an
Preußen zurückfiel, Spuren derselben noch jetzt erkennbar sind. Im besten
Falle wäre die Kraft des Staates auf Jahrhunderte so ausschließlich durch
diese Provinzen in Anspruch genommen worden, daß dies die Bedeutung, welche
Preußen für Deutschland haben soll, wesentlich verringert hätte. Der Erwerb
in dieser Ausdehnung kam um ein Jahrhundert zu spät oder zu früh. So
war es vorläufig kein Unglück, daß nach der Restitution des Staates im Jahr
1814 und 15 nur der kleinere Theil von Südpreußen als Großherzogthum
Posen wieder mit dem Staatskörper vereinigt wurde, ein Theil, welcher noth¬
dürftig, aber durchaus nicht genügend die langgedehnten offenen Grenzen
Schlesiens und Ostpreußens verbindet, und dem Mittelpunkt der Monarchie
Berlin immerhin unzureichende Deckung gibt.

Es war die Aufgabe Preußens, dieses Terrain, sowie die wenigen pol¬
nischen Kreise Westpreußens mit dem vollen Ausgebot seiner Kraft zu germa-
nisiren. Jetzt nach fast fünfzig Jahren eines im Ganzen ruhigen Besitzes,
der allerdings dreimal durch polnische Erhebungen nicht in Frage gestellt,
aber aufgeregt wurde, darf der Preuße zwar ohne Demüthigung, aber auch
ohne besonderen Stolz auf die Fortschritte sehen, welche das deutsche Leben
daselbst gemacht. Die Provinz ist in einem halben Jahrhundert erst etwa
zur Hälfte germanisirt worden. Allerdings bietet die erste Zeit, in welcher
ein neues Leben über altem sich festsetzt, immer die größten Schwierigkeiten
dar. Was durch den preußischen Beamtenstand geschehen konnte, ist redlich
gethan worden, geordnete Rechtspflege und Verwaltung, politische Hebung
des Bauern, ein Aufblühen der Städte. Auch der Ackerbau ist durch deutsche
Arbeitskraft, deutsche Oekonomen, Maschinen und Fabriken auf eine Höhe ge¬
bracht, welche nur wenig dem Culturstand Schlesiens und Ostpreußens nach¬
steht. Die größere Hälfte der Kreise ist so mit deutschem Leben gefüllt, daß
die deutschen stimmfähigen Bürger die entschiedene Majorität bilden, auch in
solchen, wo das polnische Element noch das stärkere ist, stehen die Deutschen
als eine mit jedem Jahre wachsende Minorität. Die Polen selbst, Gutsherrn
und Bauern, — denn die kleinen Städte und Marktflecken, welche noch vo»
wiegend polnische Bevölkerung haben, sind unbedeutend — haben Fortschritte
gemacht, welche wenigstens im Vergleich zum russischen Königreich Polen und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/97>, abgerufen am 23.07.2024.