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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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wo dem Deutschen die Achtung vor fremdem Volksrecht so hoch stand, daß er
darüber sein eigenes Recht vergaß, wo der Respect vor fremden Ansprüchen
so lebendig war. das man das eigene wohlberechtigte Fordern nur zu sehr
vernachlässigte. In dieser kranken Zeit hat man bei uns auch die Gefühle
der Polen, poetisch verwerthet und genossen, und der treue deutsche Bürger
war im Theater und durch den Leierkasten so häufig genöthigt worden, an
die Schlacht bei Dubienka zu denken und zu bewundern, wie Kosciuszko
?mis rolomacz rief, daß er zuletzt nicht abgeneigt war,, sich selbst als ein räu¬
berisches, völkerverwüstendes Scheusal zu betrachten, jeden Polen aber, der im
Chnusseegraben seinen Rausch ausschlief, als ein Opfer der Deutschen und einen
Märtyrer. Das ist allerdings anders geworden. Aber obwohl man die ver¬
gangene Sentimentalität der Deutschen recht leicht aus vielen politischen Zu¬
ständen unserer Vergangenheit erklären kann, es war doch den Polen gegenüber
etwas besonders Unschickliches darin. Man durfte von den Deutschen als
Nachbarn der Polen erwarten, daß sie nicht so schnell in Phrasen vom Unter¬
gange eines Volksthums sich befriedigen, sondern die alten und neuen Zustünde
des getheilten Volks ein wenig betrachten würden. Es hätte nie einem
Deutschen Geheimniß bleiben sollen, daß die Republik Polen nicht durch die
fremden Theilungen untergegangen ist, sondern durch die abscheuliche Nichts¬
würdigkeit Derer, welche zur Zeit des Unterganges die polnische Nation re-
präsentirten. Von allen faulen und verrotteten Zuständen, die je in Europa
die Politik beunruhigt, den Egoismus der Nachbarn erregt haben, waren die
von Polen die trostlosesten. Allerdings wird die Theilung selbst dadurch noch
nicht zu einer löblichen That.

Die Russen und Oestreicher mögen, wenn sie können, ihre Vertheidigung
selbst übernehmen. Wir deutschen Preußen waren selten in der Lage, etwas
zu thun, was so nothwendig und so sehr im höchsten Interesse Deutschlands
war, als die Besitznahme der slavischen Grenzländer an Ostpreußen, Pommern
und Brandenburg. Es war eine Operation, die wir weder unter dem Druck
eines weichen Mitgefühls, noch mit der Freude, eine Heldenarbeit zu thun,
vollzogen haben. Neben dem Widerwillen, den der Leichenduft der abgestor¬
benen polnischen Republik erregte, war den Preußen damals die herrschende
Empfindung, daß sie thaten, was sie mußten, wenn sie nicht sich selbst ausgeben
wollten.

Allerdings im Höchsten Interesse Deutschlands! Für Erhaltung unseres
eigenen Gebietes und zur Befestigung eines theuren deutschen Erwerbes, an
dem ein großer Theil unserer Bedeutung in Europa hängt, für unsere Herr¬
schaft an den Ostseeküsten. Wir sind nicht in der glücklichen Lage, daß Preußen
eine Insel mit festgemauerten Felswällen ist wie England, und Polen eine
bequeme Nachbarinsel, wie Irland. Die hügellose Landebene des östlichen


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wo dem Deutschen die Achtung vor fremdem Volksrecht so hoch stand, daß er
darüber sein eigenes Recht vergaß, wo der Respect vor fremden Ansprüchen
so lebendig war. das man das eigene wohlberechtigte Fordern nur zu sehr
vernachlässigte. In dieser kranken Zeit hat man bei uns auch die Gefühle
der Polen, poetisch verwerthet und genossen, und der treue deutsche Bürger
war im Theater und durch den Leierkasten so häufig genöthigt worden, an
die Schlacht bei Dubienka zu denken und zu bewundern, wie Kosciuszko
?mis rolomacz rief, daß er zuletzt nicht abgeneigt war,, sich selbst als ein räu¬
berisches, völkerverwüstendes Scheusal zu betrachten, jeden Polen aber, der im
Chnusseegraben seinen Rausch ausschlief, als ein Opfer der Deutschen und einen
Märtyrer. Das ist allerdings anders geworden. Aber obwohl man die ver¬
gangene Sentimentalität der Deutschen recht leicht aus vielen politischen Zu¬
ständen unserer Vergangenheit erklären kann, es war doch den Polen gegenüber
etwas besonders Unschickliches darin. Man durfte von den Deutschen als
Nachbarn der Polen erwarten, daß sie nicht so schnell in Phrasen vom Unter¬
gange eines Volksthums sich befriedigen, sondern die alten und neuen Zustünde
des getheilten Volks ein wenig betrachten würden. Es hätte nie einem
Deutschen Geheimniß bleiben sollen, daß die Republik Polen nicht durch die
fremden Theilungen untergegangen ist, sondern durch die abscheuliche Nichts¬
würdigkeit Derer, welche zur Zeit des Unterganges die polnische Nation re-
präsentirten. Von allen faulen und verrotteten Zuständen, die je in Europa
die Politik beunruhigt, den Egoismus der Nachbarn erregt haben, waren die
von Polen die trostlosesten. Allerdings wird die Theilung selbst dadurch noch
nicht zu einer löblichen That.

Die Russen und Oestreicher mögen, wenn sie können, ihre Vertheidigung
selbst übernehmen. Wir deutschen Preußen waren selten in der Lage, etwas
zu thun, was so nothwendig und so sehr im höchsten Interesse Deutschlands
war, als die Besitznahme der slavischen Grenzländer an Ostpreußen, Pommern
und Brandenburg. Es war eine Operation, die wir weder unter dem Druck
eines weichen Mitgefühls, noch mit der Freude, eine Heldenarbeit zu thun,
vollzogen haben. Neben dem Widerwillen, den der Leichenduft der abgestor¬
benen polnischen Republik erregte, war den Preußen damals die herrschende
Empfindung, daß sie thaten, was sie mußten, wenn sie nicht sich selbst ausgeben
wollten.

Allerdings im Höchsten Interesse Deutschlands! Für Erhaltung unseres
eigenen Gebietes und zur Befestigung eines theuren deutschen Erwerbes, an
dem ein großer Theil unserer Bedeutung in Europa hängt, für unsere Herr¬
schaft an den Ostseeküsten. Wir sind nicht in der glücklichen Lage, daß Preußen
eine Insel mit festgemauerten Felswällen ist wie England, und Polen eine
bequeme Nachbarinsel, wie Irland. Die hügellose Landebene des östlichen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/93>, abgerufen am 23.07.2024.