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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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Nichts lag näher. Der gesetzliche Landtag durfte, sich während der Dauer
des Neichsralhs nicht versammeln, das Land war also in seiner wichtigsten
Angelegenheit und unter den bedrohlichsten Umständen nicht vertreten, es war
tyrannisirt durch den Rcichsratl). Daneben hatte der vielfach verkannte und
um das Heil der Seelen besorgte Klerus bei heimlichen Zusammenkünften,
die nur mit den "Verläßlichsten" beschickt wurden, endlich einmal auch freie
Hand im Spiele, während es bei den öffentlichen und gesetzlichen Landtags-
wahlen doch einige Opposition, manches unausweichliche Compromiß gab.
Die Schweigsamkeit über das gottgefällige Werk ging so weit, daß an manchen
Orten nicht nur Beamte, sondern selbst Mitglieder des Gemeuidcausschusses
keine Kenntniß davon erlangten. Auch an "erlaubten" Mitteln den Eifer an¬
zuregen fehlte es nicht. Im Unterinnthal verbreitete man, es seien schon
Bevollmächtigte des Gustav-Adolph-Vereins zu Innsbruck, um den Tirolern
zum Trotz die Einleitungen zum Baue eines lutherischen Tempels zu treffen.
Im Pusterthal Uef ein Schreiben um, das Furchtsame, die ihre Theil¬
nahme an den Wahlen verweigern sollten, mit dem Verlust des Seelen¬
heils bedrohte. Die Ausstellung der Vollmachten für die Abgeordneten ent¬
sprach diesem schüchternen Treiben vollkommen, es war wol kaum eine
darunter, die in giltiger Gemeindeversammlung und von der un Gesetz vor¬
geschriebenen Anzahl von Ausschüssen unterfertigt war. Alle Abgeordneten
waren mit Geldmitteln reichlich versehen; denn sie sollten ja in die Kaiser-
stadt und die Ehre des Landes wahren. Ueber die Thatsache, daß sie
aus Bestellung, des katholischen Vereins nämlich, nach Innsbruck kamen,
war ihnen dieses Stillschweigen aufgebunden. So kam es denn, daß die
ländlichen "Deputirten" aus die Frage, wer sie denn berufen, verlegen stotterten,
sie seien "eigentlich" gar nicht bestellt, nur ein günstiger Zufall hätte sie nach
Innsbruck geführt, ja die Frömmsten glaubten ihr Eintreffen einer höheren
Fügung zuschreiben zu müssen. Im Ganzen fanden sich am 30. Juni zu
Innsbruck im Gasthof zum "goldenen Stern", der die Parlamentshalle her¬
lieh, 47 Glaubcnseinhcitler zusammen. Herrenkleidung trugen davon nur
drei, Anton Graf v. Brandes, der Sohn jenes ehemaligen Gouverneurs von
Tirol, der wegen seiner zarten Vorliebe für die Jesuiten seines Amtes ent¬
hoben wurde, Anton Freiherr v. Dipauli, der Oberschützen- und Bürgermeister
des Marktes Kältern, dessen Uebertritt zu den Stockjunkern und Kapnzen-
trägcrn sich von der unsanften Behandlung eines Tischlermeisters im Jahre
1848 herschrieb, I)r. Karl Cathrein endlich, Advocat in Imst. der ohne
Taggelder und fremde Aufträge nur vorsichtshalber aus Speculation für die
Zukunft beikam. Der Nest bestand aus Bauern in des Wortes eigenthüm¬
lichster Bedeutung oder solchen, die damit auf gleicher Stufe der Bildung stan¬
den. So viel blieb bei den meisten aber trotz der Scheu vor den ewigen


Nichts lag näher. Der gesetzliche Landtag durfte, sich während der Dauer
des Neichsralhs nicht versammeln, das Land war also in seiner wichtigsten
Angelegenheit und unter den bedrohlichsten Umständen nicht vertreten, es war
tyrannisirt durch den Rcichsratl). Daneben hatte der vielfach verkannte und
um das Heil der Seelen besorgte Klerus bei heimlichen Zusammenkünften,
die nur mit den „Verläßlichsten" beschickt wurden, endlich einmal auch freie
Hand im Spiele, während es bei den öffentlichen und gesetzlichen Landtags-
wahlen doch einige Opposition, manches unausweichliche Compromiß gab.
Die Schweigsamkeit über das gottgefällige Werk ging so weit, daß an manchen
Orten nicht nur Beamte, sondern selbst Mitglieder des Gemeuidcausschusses
keine Kenntniß davon erlangten. Auch an „erlaubten" Mitteln den Eifer an¬
zuregen fehlte es nicht. Im Unterinnthal verbreitete man, es seien schon
Bevollmächtigte des Gustav-Adolph-Vereins zu Innsbruck, um den Tirolern
zum Trotz die Einleitungen zum Baue eines lutherischen Tempels zu treffen.
Im Pusterthal Uef ein Schreiben um, das Furchtsame, die ihre Theil¬
nahme an den Wahlen verweigern sollten, mit dem Verlust des Seelen¬
heils bedrohte. Die Ausstellung der Vollmachten für die Abgeordneten ent¬
sprach diesem schüchternen Treiben vollkommen, es war wol kaum eine
darunter, die in giltiger Gemeindeversammlung und von der un Gesetz vor¬
geschriebenen Anzahl von Ausschüssen unterfertigt war. Alle Abgeordneten
waren mit Geldmitteln reichlich versehen; denn sie sollten ja in die Kaiser-
stadt und die Ehre des Landes wahren. Ueber die Thatsache, daß sie
aus Bestellung, des katholischen Vereins nämlich, nach Innsbruck kamen,
war ihnen dieses Stillschweigen aufgebunden. So kam es denn, daß die
ländlichen „Deputirten" aus die Frage, wer sie denn berufen, verlegen stotterten,
sie seien „eigentlich" gar nicht bestellt, nur ein günstiger Zufall hätte sie nach
Innsbruck geführt, ja die Frömmsten glaubten ihr Eintreffen einer höheren
Fügung zuschreiben zu müssen. Im Ganzen fanden sich am 30. Juni zu
Innsbruck im Gasthof zum „goldenen Stern", der die Parlamentshalle her¬
lieh, 47 Glaubcnseinhcitler zusammen. Herrenkleidung trugen davon nur
drei, Anton Graf v. Brandes, der Sohn jenes ehemaligen Gouverneurs von
Tirol, der wegen seiner zarten Vorliebe für die Jesuiten seines Amtes ent¬
hoben wurde, Anton Freiherr v. Dipauli, der Oberschützen- und Bürgermeister
des Marktes Kältern, dessen Uebertritt zu den Stockjunkern und Kapnzen-
trägcrn sich von der unsanften Behandlung eines Tischlermeisters im Jahre
1848 herschrieb, I)r. Karl Cathrein endlich, Advocat in Imst. der ohne
Taggelder und fremde Aufträge nur vorsichtshalber aus Speculation für die
Zukunft beikam. Der Nest bestand aus Bauern in des Wortes eigenthüm¬
lichster Bedeutung oder solchen, die damit auf gleicher Stufe der Bildung stan¬
den. So viel blieb bei den meisten aber trotz der Scheu vor den ewigen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/65>, abgerufen am 29.12.2024.