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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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Hülfe zur Beseitigung des Vertrags mit Rom und zur Ordnung des Verhält¬
nisses zwischen Kirche und Staat auf dem Wege der Gesetzgebung, Manche
Reformen im Innern, Organisation der Justiz und Theilnahme der Bürger
an der Bezirksverwaltung, freie Bewegung in Gewerbe und Handel, früher
vorbereitet, werden jetzt ihrer Vollendung entgegengeführt.

Aber was helfenden Einzelstaate gute Gesetze und ein zufriedenes Volk, wenn
er jedem Angriffe von außen schutzlos preisgegeben ist, weil das Ganze desorga-
nisirt und deshalb außer Stande ist, sich und seine Glieder zu schützen! Die
deutsche Frage trat in den Vordergrund und Herr von Roggenbach in das Ministe¬
rium. Er ließ nicht die Gegner seiner Politik an den einflußreichsten Stellen
in dem Ministerium und bei den Gesandtschaften, wie dies in Preußen nun
schon drei Jahre geschieht, sondern umgab sich mit tüchtigen befreundeten
Kräften. Er gab seine deutsche Politik offen dem Urtheile des Landes hin,
und das Land antwortete durch dreimalige Erwählung des Ministers zum
Abgeordneten, beide Kammern sagten ihm in ihren Adressen einmüthige
Unterstützung zu.

Ans der Geschichte des Verfassungslebens in Baden kann man Verschie¬
denes lernen. Einmal, daß eine Regierung bei gutem Gewissen eine liberale
Kammer nicht zu scheuen hat. Zweitens, daß eine Regierung auf schlechten
Wegen durch eine Kanuncrauflösung nicht stärker wird. Drittens, daß eine
Fortschrittspartei, wenn sie am Militärbudget rücksichtslos streicht, dem Lande
großen Schaden thun kann. Viertens endlich, daß ein Regent, welcher
schlechte Minister los werden und zu einer bessern Politik übergehen will,
bei dem Volke und den Ständen, wenn er sich rechtzeitig und uicht zu spät
an dieselben wendet, Männer und Mittel findet, die ihm helfen. --

Doch nicht eben um dies zu sagen, haben wir das Verfassungsleben in Baden
flüchtig skizzirt, sondern um die Berechtigung des Verfassers der an der Spitze
genannten Schrift, über die deutsche Frage in Baden das Wort zu ergreisen,
den ferner Stehenden deutlich zu machen. An allen angedeuteten Vorgängen
des öffentlichen Lebens hat Karl Welcker einen lebhaften, hervorragenden An¬
theil genommen, das erste und das letzte Jahrzehnt außerhalb, die mittleren
zwanzig Jahre innerhalb der Kaminer. In Bonn mit E. M. Arndt von
dem Minister Kamptz als Demagog abgesetzt, folgte K. Th. Welcker dem Rufe
an die Universität Freiburg. Im Jahre 1831 in die Kammer gewählt, kün¬
digte er seinen beiden Feinden, die er bisher in Büchern und Zeitschriften
bekämpft hatte, auf dem redefreien parlamentarischen Felde in damals be¬
rühmt gewordenen Motionen den Krieg an. Die beiden Feinde waren die
Censur und der Bundestag. Der eine, die Censur, erlag seinen Streichen
gleich im ersten Landtag, aber der andere, der Bundestag, richtete sie wieder
auf und erwies sich für Welcker wie für die Regierung zu stark. Rotteck und


Hülfe zur Beseitigung des Vertrags mit Rom und zur Ordnung des Verhält¬
nisses zwischen Kirche und Staat auf dem Wege der Gesetzgebung, Manche
Reformen im Innern, Organisation der Justiz und Theilnahme der Bürger
an der Bezirksverwaltung, freie Bewegung in Gewerbe und Handel, früher
vorbereitet, werden jetzt ihrer Vollendung entgegengeführt.

Aber was helfenden Einzelstaate gute Gesetze und ein zufriedenes Volk, wenn
er jedem Angriffe von außen schutzlos preisgegeben ist, weil das Ganze desorga-
nisirt und deshalb außer Stande ist, sich und seine Glieder zu schützen! Die
deutsche Frage trat in den Vordergrund und Herr von Roggenbach in das Ministe¬
rium. Er ließ nicht die Gegner seiner Politik an den einflußreichsten Stellen
in dem Ministerium und bei den Gesandtschaften, wie dies in Preußen nun
schon drei Jahre geschieht, sondern umgab sich mit tüchtigen befreundeten
Kräften. Er gab seine deutsche Politik offen dem Urtheile des Landes hin,
und das Land antwortete durch dreimalige Erwählung des Ministers zum
Abgeordneten, beide Kammern sagten ihm in ihren Adressen einmüthige
Unterstützung zu.

Ans der Geschichte des Verfassungslebens in Baden kann man Verschie¬
denes lernen. Einmal, daß eine Regierung bei gutem Gewissen eine liberale
Kammer nicht zu scheuen hat. Zweitens, daß eine Regierung auf schlechten
Wegen durch eine Kanuncrauflösung nicht stärker wird. Drittens, daß eine
Fortschrittspartei, wenn sie am Militärbudget rücksichtslos streicht, dem Lande
großen Schaden thun kann. Viertens endlich, daß ein Regent, welcher
schlechte Minister los werden und zu einer bessern Politik übergehen will,
bei dem Volke und den Ständen, wenn er sich rechtzeitig und uicht zu spät
an dieselben wendet, Männer und Mittel findet, die ihm helfen. —

Doch nicht eben um dies zu sagen, haben wir das Verfassungsleben in Baden
flüchtig skizzirt, sondern um die Berechtigung des Verfassers der an der Spitze
genannten Schrift, über die deutsche Frage in Baden das Wort zu ergreisen,
den ferner Stehenden deutlich zu machen. An allen angedeuteten Vorgängen
des öffentlichen Lebens hat Karl Welcker einen lebhaften, hervorragenden An¬
theil genommen, das erste und das letzte Jahrzehnt außerhalb, die mittleren
zwanzig Jahre innerhalb der Kaminer. In Bonn mit E. M. Arndt von
dem Minister Kamptz als Demagog abgesetzt, folgte K. Th. Welcker dem Rufe
an die Universität Freiburg. Im Jahre 1831 in die Kammer gewählt, kün¬
digte er seinen beiden Feinden, die er bisher in Büchern und Zeitschriften
bekämpft hatte, auf dem redefreien parlamentarischen Felde in damals be¬
rühmt gewordenen Motionen den Krieg an. Die beiden Feinde waren die
Censur und der Bundestag. Der eine, die Censur, erlag seinen Streichen
gleich im ersten Landtag, aber der andere, der Bundestag, richtete sie wieder
auf und erwies sich für Welcker wie für die Regierung zu stark. Rotteck und


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[0513] Hülfe zur Beseitigung des Vertrags mit Rom und zur Ordnung des Verhält¬ nisses zwischen Kirche und Staat auf dem Wege der Gesetzgebung, Manche Reformen im Innern, Organisation der Justiz und Theilnahme der Bürger an der Bezirksverwaltung, freie Bewegung in Gewerbe und Handel, früher vorbereitet, werden jetzt ihrer Vollendung entgegengeführt. Aber was helfenden Einzelstaate gute Gesetze und ein zufriedenes Volk, wenn er jedem Angriffe von außen schutzlos preisgegeben ist, weil das Ganze desorga- nisirt und deshalb außer Stande ist, sich und seine Glieder zu schützen! Die deutsche Frage trat in den Vordergrund und Herr von Roggenbach in das Ministe¬ rium. Er ließ nicht die Gegner seiner Politik an den einflußreichsten Stellen in dem Ministerium und bei den Gesandtschaften, wie dies in Preußen nun schon drei Jahre geschieht, sondern umgab sich mit tüchtigen befreundeten Kräften. Er gab seine deutsche Politik offen dem Urtheile des Landes hin, und das Land antwortete durch dreimalige Erwählung des Ministers zum Abgeordneten, beide Kammern sagten ihm in ihren Adressen einmüthige Unterstützung zu. Ans der Geschichte des Verfassungslebens in Baden kann man Verschie¬ denes lernen. Einmal, daß eine Regierung bei gutem Gewissen eine liberale Kammer nicht zu scheuen hat. Zweitens, daß eine Regierung auf schlechten Wegen durch eine Kanuncrauflösung nicht stärker wird. Drittens, daß eine Fortschrittspartei, wenn sie am Militärbudget rücksichtslos streicht, dem Lande großen Schaden thun kann. Viertens endlich, daß ein Regent, welcher schlechte Minister los werden und zu einer bessern Politik übergehen will, bei dem Volke und den Ständen, wenn er sich rechtzeitig und uicht zu spät an dieselben wendet, Männer und Mittel findet, die ihm helfen. — Doch nicht eben um dies zu sagen, haben wir das Verfassungsleben in Baden flüchtig skizzirt, sondern um die Berechtigung des Verfassers der an der Spitze genannten Schrift, über die deutsche Frage in Baden das Wort zu ergreisen, den ferner Stehenden deutlich zu machen. An allen angedeuteten Vorgängen des öffentlichen Lebens hat Karl Welcker einen lebhaften, hervorragenden An¬ theil genommen, das erste und das letzte Jahrzehnt außerhalb, die mittleren zwanzig Jahre innerhalb der Kaminer. In Bonn mit E. M. Arndt von dem Minister Kamptz als Demagog abgesetzt, folgte K. Th. Welcker dem Rufe an die Universität Freiburg. Im Jahre 1831 in die Kammer gewählt, kün¬ digte er seinen beiden Feinden, die er bisher in Büchern und Zeitschriften bekämpft hatte, auf dem redefreien parlamentarischen Felde in damals be¬ rühmt gewordenen Motionen den Krieg an. Die beiden Feinde waren die Censur und der Bundestag. Der eine, die Censur, erlag seinen Streichen gleich im ersten Landtag, aber der andere, der Bundestag, richtete sie wieder auf und erwies sich für Welcker wie für die Regierung zu stark. Rotteck und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/513>, abgerufen am 29.12.2024.