Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Aber die inneren volksthümlichen Beziehungen und Sympathien zu
Deutschland blieben.

schwedisch-Pommern litt und seufzte wie die übrigen Gauen Deutschlands
unter dem eisernen Tritte des fremden Eroberers während der schweren sieben
Jahre von 1806 bis 1813. Die wiederholte Besetzung der Provinz durch die
Franzosen unter Mortier 1807 und Brune 1808, zuletzt 1812 unter Morand
hatten das Mark des Ländchens ausgesogen; es war verarmt und unterjocht;
auch die Klage verstummte, doch der Weheruf der ergrimmten Herzen nicht.
In den jüngeren Gemüthern, zumal in dem meinigen, glimmte der Funke der
Entrüstung unter der Asche. Insbesondere waren es die abenteuerlichen Züge
des edlen Spaniers Marquis de la Romana, der kühnen Deutschen Ferdinand
von Schill und Herzogs Wilhelm von Braunschweig, der heldenmüthige Kampf
der Tiroler unter Hofer und Speckbacher in den Jahren 1808 und 1809,
welche, nur verstohlen besprochen, darum aber durch die Einbildungskraft desto
mehr verherrlicht, wie den Unabhängigkeitstrieb im Volke, so die Unterneh¬
mungslust des thatendurstiger Jünglings wach hielten und vielleicht in noch
höherem Maaße nährten, als Arndt's und Jahn's verpönte Schriften, "Geist
der Zeit" und "Deutsches Volksthum" dies vermochten, Schriften, deren Inhalt,
gleichsam durch Tradition fortgepflanzt, heimlich ihre Geistessenker in die junge
Seele trieben, um dort Wurzel zu schlagen.

Wie zuckte frohlockend das Herz des 15jährigen Knaben, als er von Hören¬
sagen vernahm, daß die stolzen spanischen Dragoner mit ihren schwarzen an-
dalusischen Hengsten, die kecken Cazadores von Villa - Viciosa, die Jnfanterie-
regimenter von Guadalaxara und Zamora, welche alle fast drei Wochen im
Sommer 1803 auf dem väterlichen Gute einquartiert gewesen waren, über
das cimbrische Blachfeld in ihre südliche Heimath entkommen waren und ihren
Ingrimm gegen die französischen Unterdrücker daheim in offenem Kampfe ans¬
tießen.

Und als später im Frühling 1809 versprengte Schill'sche Reiter vor den
verfolgenden dänischen und holländischen Schaaren Rast, Erholung und Versteck
unter dem gastlichen Dache des väterlichen Hauses suchten und fanden, wie
entbrannte das Herz des Knaben im Mitgefühle der drohenden Gefahr, als
er die bedrängten Reiter auf eine Hinterpforte des Pferdestalles aufmerksam
machen konnte, durch welche sie, vom verfolgenden Feinde überrascht, in's Freie
gelangen mochten. Solche Momente sind entscheidend für Willens- und Lebens¬
richtung -- doch blieben sie nicht vereinzelt.

Im Sommer 1312, im offenen Frieden, der zwischen Frankreich und Schwe¬
den 1810 geschlossen worden war, überzogen die Franzosen auf's Neue das
Land, machten die schwedischen Offiziere der Besatzung Stralsunds, unter denen
sich zwei meiner Brüder befanden, zu Kriegsgefangenen und führten sie nach


Aber die inneren volksthümlichen Beziehungen und Sympathien zu
Deutschland blieben.

schwedisch-Pommern litt und seufzte wie die übrigen Gauen Deutschlands
unter dem eisernen Tritte des fremden Eroberers während der schweren sieben
Jahre von 1806 bis 1813. Die wiederholte Besetzung der Provinz durch die
Franzosen unter Mortier 1807 und Brune 1808, zuletzt 1812 unter Morand
hatten das Mark des Ländchens ausgesogen; es war verarmt und unterjocht;
auch die Klage verstummte, doch der Weheruf der ergrimmten Herzen nicht.
In den jüngeren Gemüthern, zumal in dem meinigen, glimmte der Funke der
Entrüstung unter der Asche. Insbesondere waren es die abenteuerlichen Züge
des edlen Spaniers Marquis de la Romana, der kühnen Deutschen Ferdinand
von Schill und Herzogs Wilhelm von Braunschweig, der heldenmüthige Kampf
der Tiroler unter Hofer und Speckbacher in den Jahren 1808 und 1809,
welche, nur verstohlen besprochen, darum aber durch die Einbildungskraft desto
mehr verherrlicht, wie den Unabhängigkeitstrieb im Volke, so die Unterneh¬
mungslust des thatendurstiger Jünglings wach hielten und vielleicht in noch
höherem Maaße nährten, als Arndt's und Jahn's verpönte Schriften, „Geist
der Zeit" und „Deutsches Volksthum" dies vermochten, Schriften, deren Inhalt,
gleichsam durch Tradition fortgepflanzt, heimlich ihre Geistessenker in die junge
Seele trieben, um dort Wurzel zu schlagen.

Wie zuckte frohlockend das Herz des 15jährigen Knaben, als er von Hören¬
sagen vernahm, daß die stolzen spanischen Dragoner mit ihren schwarzen an-
dalusischen Hengsten, die kecken Cazadores von Villa - Viciosa, die Jnfanterie-
regimenter von Guadalaxara und Zamora, welche alle fast drei Wochen im
Sommer 1803 auf dem väterlichen Gute einquartiert gewesen waren, über
das cimbrische Blachfeld in ihre südliche Heimath entkommen waren und ihren
Ingrimm gegen die französischen Unterdrücker daheim in offenem Kampfe ans¬
tießen.

Und als später im Frühling 1809 versprengte Schill'sche Reiter vor den
verfolgenden dänischen und holländischen Schaaren Rast, Erholung und Versteck
unter dem gastlichen Dache des väterlichen Hauses suchten und fanden, wie
entbrannte das Herz des Knaben im Mitgefühle der drohenden Gefahr, als
er die bedrängten Reiter auf eine Hinterpforte des Pferdestalles aufmerksam
machen konnte, durch welche sie, vom verfolgenden Feinde überrascht, in's Freie
gelangen mochten. Solche Momente sind entscheidend für Willens- und Lebens¬
richtung — doch blieben sie nicht vereinzelt.

Im Sommer 1312, im offenen Frieden, der zwischen Frankreich und Schwe¬
den 1810 geschlossen worden war, überzogen die Franzosen auf's Neue das
Land, machten die schwedischen Offiziere der Besatzung Stralsunds, unter denen
sich zwei meiner Brüder befanden, zu Kriegsgefangenen und führten sie nach


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0492" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/113000"/>
          <p xml:id="ID_1520"> Aber die inneren volksthümlichen Beziehungen und Sympathien zu<lb/>
Deutschland blieben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1521"> schwedisch-Pommern litt und seufzte wie die übrigen Gauen Deutschlands<lb/>
unter dem eisernen Tritte des fremden Eroberers während der schweren sieben<lb/>
Jahre von 1806 bis 1813. Die wiederholte Besetzung der Provinz durch die<lb/>
Franzosen unter Mortier 1807 und Brune 1808, zuletzt 1812 unter Morand<lb/>
hatten das Mark des Ländchens ausgesogen; es war verarmt und unterjocht;<lb/>
auch die Klage verstummte, doch der Weheruf der ergrimmten Herzen nicht.<lb/>
In den jüngeren Gemüthern, zumal in dem meinigen, glimmte der Funke der<lb/>
Entrüstung unter der Asche. Insbesondere waren es die abenteuerlichen Züge<lb/>
des edlen Spaniers Marquis de la Romana, der kühnen Deutschen Ferdinand<lb/>
von Schill und Herzogs Wilhelm von Braunschweig, der heldenmüthige Kampf<lb/>
der Tiroler unter Hofer und Speckbacher in den Jahren 1808 und 1809,<lb/>
welche, nur verstohlen besprochen, darum aber durch die Einbildungskraft desto<lb/>
mehr verherrlicht, wie den Unabhängigkeitstrieb im Volke, so die Unterneh¬<lb/>
mungslust des thatendurstiger Jünglings wach hielten und vielleicht in noch<lb/>
höherem Maaße nährten, als Arndt's und Jahn's verpönte Schriften, &#x201E;Geist<lb/>
der Zeit" und &#x201E;Deutsches Volksthum" dies vermochten, Schriften, deren Inhalt,<lb/>
gleichsam durch Tradition fortgepflanzt, heimlich ihre Geistessenker in die junge<lb/>
Seele trieben, um dort Wurzel zu schlagen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1522"> Wie zuckte frohlockend das Herz des 15jährigen Knaben, als er von Hören¬<lb/>
sagen vernahm, daß die stolzen spanischen Dragoner mit ihren schwarzen an-<lb/>
dalusischen Hengsten, die kecken Cazadores von Villa - Viciosa, die Jnfanterie-<lb/>
regimenter von Guadalaxara und Zamora, welche alle fast drei Wochen im<lb/>
Sommer 1803 auf dem väterlichen Gute einquartiert gewesen waren, über<lb/>
das cimbrische Blachfeld in ihre südliche Heimath entkommen waren und ihren<lb/>
Ingrimm gegen die französischen Unterdrücker daheim in offenem Kampfe ans¬<lb/>
tießen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1523"> Und als später im Frühling 1809 versprengte Schill'sche Reiter vor den<lb/>
verfolgenden dänischen und holländischen Schaaren Rast, Erholung und Versteck<lb/>
unter dem gastlichen Dache des väterlichen Hauses suchten und fanden, wie<lb/>
entbrannte das Herz des Knaben im Mitgefühle der drohenden Gefahr, als<lb/>
er die bedrängten Reiter auf eine Hinterpforte des Pferdestalles aufmerksam<lb/>
machen konnte, durch welche sie, vom verfolgenden Feinde überrascht, in's Freie<lb/>
gelangen mochten. Solche Momente sind entscheidend für Willens- und Lebens¬<lb/>
richtung &#x2014; doch blieben sie nicht vereinzelt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1524" next="#ID_1525"> Im Sommer 1312, im offenen Frieden, der zwischen Frankreich und Schwe¬<lb/>
den 1810 geschlossen worden war, überzogen die Franzosen auf's Neue das<lb/>
Land, machten die schwedischen Offiziere der Besatzung Stralsunds, unter denen<lb/>
sich zwei meiner Brüder befanden, zu Kriegsgefangenen und führten sie nach</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0492] Aber die inneren volksthümlichen Beziehungen und Sympathien zu Deutschland blieben. schwedisch-Pommern litt und seufzte wie die übrigen Gauen Deutschlands unter dem eisernen Tritte des fremden Eroberers während der schweren sieben Jahre von 1806 bis 1813. Die wiederholte Besetzung der Provinz durch die Franzosen unter Mortier 1807 und Brune 1808, zuletzt 1812 unter Morand hatten das Mark des Ländchens ausgesogen; es war verarmt und unterjocht; auch die Klage verstummte, doch der Weheruf der ergrimmten Herzen nicht. In den jüngeren Gemüthern, zumal in dem meinigen, glimmte der Funke der Entrüstung unter der Asche. Insbesondere waren es die abenteuerlichen Züge des edlen Spaniers Marquis de la Romana, der kühnen Deutschen Ferdinand von Schill und Herzogs Wilhelm von Braunschweig, der heldenmüthige Kampf der Tiroler unter Hofer und Speckbacher in den Jahren 1808 und 1809, welche, nur verstohlen besprochen, darum aber durch die Einbildungskraft desto mehr verherrlicht, wie den Unabhängigkeitstrieb im Volke, so die Unterneh¬ mungslust des thatendurstiger Jünglings wach hielten und vielleicht in noch höherem Maaße nährten, als Arndt's und Jahn's verpönte Schriften, „Geist der Zeit" und „Deutsches Volksthum" dies vermochten, Schriften, deren Inhalt, gleichsam durch Tradition fortgepflanzt, heimlich ihre Geistessenker in die junge Seele trieben, um dort Wurzel zu schlagen. Wie zuckte frohlockend das Herz des 15jährigen Knaben, als er von Hören¬ sagen vernahm, daß die stolzen spanischen Dragoner mit ihren schwarzen an- dalusischen Hengsten, die kecken Cazadores von Villa - Viciosa, die Jnfanterie- regimenter von Guadalaxara und Zamora, welche alle fast drei Wochen im Sommer 1803 auf dem väterlichen Gute einquartiert gewesen waren, über das cimbrische Blachfeld in ihre südliche Heimath entkommen waren und ihren Ingrimm gegen die französischen Unterdrücker daheim in offenem Kampfe ans¬ tießen. Und als später im Frühling 1809 versprengte Schill'sche Reiter vor den verfolgenden dänischen und holländischen Schaaren Rast, Erholung und Versteck unter dem gastlichen Dache des väterlichen Hauses suchten und fanden, wie entbrannte das Herz des Knaben im Mitgefühle der drohenden Gefahr, als er die bedrängten Reiter auf eine Hinterpforte des Pferdestalles aufmerksam machen konnte, durch welche sie, vom verfolgenden Feinde überrascht, in's Freie gelangen mochten. Solche Momente sind entscheidend für Willens- und Lebens¬ richtung — doch blieben sie nicht vereinzelt. Im Sommer 1312, im offenen Frieden, der zwischen Frankreich und Schwe¬ den 1810 geschlossen worden war, überzogen die Franzosen auf's Neue das Land, machten die schwedischen Offiziere der Besatzung Stralsunds, unter denen sich zwei meiner Brüder befanden, zu Kriegsgefangenen und führten sie nach

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/492
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/492>, abgerufen am 23.07.2024.