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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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Genuß unter den westlichen Völkern allgemein. Die alten Reisenden in den
ersten Jahrhunderten nach der Entdeckung Amerika's trafen allenthalben
Austernfreunde an. Alvaro Nunez erzählt von den Indianern Floridas, daß
sie drei Monate des Jahres von nichts als Austern lebten -- die Glücklichen!
Jobson, der Entdecker von Gcimboa. sah 1620 am Fluß Sofeta Austern auf
Bäumen wachsen, eine Thatsache, die von spätern Seefahrern insofern bestä¬
tigt wild, als sie melden, daß es solche Bäume und Sträucher waren, welche
von der Fluch des Meeres überschwemmt wurden. Die Bewohner jener
Gegend waren große Liebhaber dieses eigenthümlichen Obstes.

Auch im Innern Afrikas scheint rs in alter Zeit Austernfreunde gegeben
zu dabey, wie wir aus einer Notiz, Capitän Lights schließen möchten. Der¬
selbe sagt in seiner Reise durch Aegypten und Nubien: "Zu Galabschi wird
der Nil von verschiedenen Klippen und Inseln in Arme geschieden, und hier
hatten wir Gelegenheit an den Granitmassen dieser Stromschnellen Austerschalen
zu bemerken, die denen in Petrefactensammlungen ähnlich waren, und deren
Vorhandensein wir uns durch die Vermuthung erklärten, daß er alter Zeit
irgend eine Verbindung zwischen dem Nil und dem Ocean stattgefunden habe."
-- Irgend eine Verbindung? -- Ohne Zweifel! es war eine commerzielle
Verbindung, eine Verbindung durch Austernkaravanen. durch Gesellschaften von
Kaufleuten, solchen, wie sie Josephs Brüder in der Wüste trafen. Das Volk
von Galabschi aber war aller Wahrscheinlichkeit nach eine Gemeinde glück¬
licher Austernfreunde.

Wir schließen mit einem Blick auf eine große Entdeckung, die allem An¬
schein nach in der Geschichte der Auster eine völlig neue Epoche beginnt.
Trüben Betrachtungen über die jedes Jahr auffälliger werdende Abnahme der
Austern im Kanal entsprang vor einiger Zeit im Kopfe des französischen Aka¬
demikers und Austernfreundes Coste der Gedanke, künstliche Austernbänke an-
zulegen und das Meer ebenso in Cultur zu nehmen, wie das Land. 1858
forderte und erhielt er vom Staat die Mittel zur Ausführung seiner Pläne,
und der schönste Erfolg krönte seine menschenfreundlichen Bemühungen. Im
März des genannten Jahres ließ er bei Cancale und andern Orten drei
Millionen Austern sammeln und dieselben auf Booten, die durch einen Staats-
dampfer bugsirt wurden, nach der Bucht von Se. Brieux bringen, damit sie
dort in den nächsten Monaten ihre Brut entließen. Der Ort war zur An¬
legung einer solchen Colonie vortrefflich geeignet. Er hat festen Grund aus
Muschel- und Korallensand, und eine starke, sich an Klippen brechende Strö¬
mung bewirkt, daß das Wasser hier bedeutend viel Luft in sich aufnimmt,
ein für das Gedeihen der jungen Thiere sehr werthvoller Umstand. Da die¬
selbe Strömung aber zugleich die Austernbrut zu entführen drohte, jo mußte
dafür gesorgt werden, daß sie feste Körper vorfände, an denen sie sich ansetzen


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Genuß unter den westlichen Völkern allgemein. Die alten Reisenden in den
ersten Jahrhunderten nach der Entdeckung Amerika's trafen allenthalben
Austernfreunde an. Alvaro Nunez erzählt von den Indianern Floridas, daß
sie drei Monate des Jahres von nichts als Austern lebten — die Glücklichen!
Jobson, der Entdecker von Gcimboa. sah 1620 am Fluß Sofeta Austern auf
Bäumen wachsen, eine Thatsache, die von spätern Seefahrern insofern bestä¬
tigt wild, als sie melden, daß es solche Bäume und Sträucher waren, welche
von der Fluch des Meeres überschwemmt wurden. Die Bewohner jener
Gegend waren große Liebhaber dieses eigenthümlichen Obstes.

Auch im Innern Afrikas scheint rs in alter Zeit Austernfreunde gegeben
zu dabey, wie wir aus einer Notiz, Capitän Lights schließen möchten. Der¬
selbe sagt in seiner Reise durch Aegypten und Nubien: „Zu Galabschi wird
der Nil von verschiedenen Klippen und Inseln in Arme geschieden, und hier
hatten wir Gelegenheit an den Granitmassen dieser Stromschnellen Austerschalen
zu bemerken, die denen in Petrefactensammlungen ähnlich waren, und deren
Vorhandensein wir uns durch die Vermuthung erklärten, daß er alter Zeit
irgend eine Verbindung zwischen dem Nil und dem Ocean stattgefunden habe."
— Irgend eine Verbindung? — Ohne Zweifel! es war eine commerzielle
Verbindung, eine Verbindung durch Austernkaravanen. durch Gesellschaften von
Kaufleuten, solchen, wie sie Josephs Brüder in der Wüste trafen. Das Volk
von Galabschi aber war aller Wahrscheinlichkeit nach eine Gemeinde glück¬
licher Austernfreunde.

Wir schließen mit einem Blick auf eine große Entdeckung, die allem An¬
schein nach in der Geschichte der Auster eine völlig neue Epoche beginnt.
Trüben Betrachtungen über die jedes Jahr auffälliger werdende Abnahme der
Austern im Kanal entsprang vor einiger Zeit im Kopfe des französischen Aka¬
demikers und Austernfreundes Coste der Gedanke, künstliche Austernbänke an-
zulegen und das Meer ebenso in Cultur zu nehmen, wie das Land. 1858
forderte und erhielt er vom Staat die Mittel zur Ausführung seiner Pläne,
und der schönste Erfolg krönte seine menschenfreundlichen Bemühungen. Im
März des genannten Jahres ließ er bei Cancale und andern Orten drei
Millionen Austern sammeln und dieselben auf Booten, die durch einen Staats-
dampfer bugsirt wurden, nach der Bucht von Se. Brieux bringen, damit sie
dort in den nächsten Monaten ihre Brut entließen. Der Ort war zur An¬
legung einer solchen Colonie vortrefflich geeignet. Er hat festen Grund aus
Muschel- und Korallensand, und eine starke, sich an Klippen brechende Strö¬
mung bewirkt, daß das Wasser hier bedeutend viel Luft in sich aufnimmt,
ein für das Gedeihen der jungen Thiere sehr werthvoller Umstand. Da die¬
selbe Strömung aber zugleich die Austernbrut zu entführen drohte, jo mußte
dafür gesorgt werden, daß sie feste Körper vorfände, an denen sie sich ansetzen


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[0477] Genuß unter den westlichen Völkern allgemein. Die alten Reisenden in den ersten Jahrhunderten nach der Entdeckung Amerika's trafen allenthalben Austernfreunde an. Alvaro Nunez erzählt von den Indianern Floridas, daß sie drei Monate des Jahres von nichts als Austern lebten — die Glücklichen! Jobson, der Entdecker von Gcimboa. sah 1620 am Fluß Sofeta Austern auf Bäumen wachsen, eine Thatsache, die von spätern Seefahrern insofern bestä¬ tigt wild, als sie melden, daß es solche Bäume und Sträucher waren, welche von der Fluch des Meeres überschwemmt wurden. Die Bewohner jener Gegend waren große Liebhaber dieses eigenthümlichen Obstes. Auch im Innern Afrikas scheint rs in alter Zeit Austernfreunde gegeben zu dabey, wie wir aus einer Notiz, Capitän Lights schließen möchten. Der¬ selbe sagt in seiner Reise durch Aegypten und Nubien: „Zu Galabschi wird der Nil von verschiedenen Klippen und Inseln in Arme geschieden, und hier hatten wir Gelegenheit an den Granitmassen dieser Stromschnellen Austerschalen zu bemerken, die denen in Petrefactensammlungen ähnlich waren, und deren Vorhandensein wir uns durch die Vermuthung erklärten, daß er alter Zeit irgend eine Verbindung zwischen dem Nil und dem Ocean stattgefunden habe." — Irgend eine Verbindung? — Ohne Zweifel! es war eine commerzielle Verbindung, eine Verbindung durch Austernkaravanen. durch Gesellschaften von Kaufleuten, solchen, wie sie Josephs Brüder in der Wüste trafen. Das Volk von Galabschi aber war aller Wahrscheinlichkeit nach eine Gemeinde glück¬ licher Austernfreunde. Wir schließen mit einem Blick auf eine große Entdeckung, die allem An¬ schein nach in der Geschichte der Auster eine völlig neue Epoche beginnt. Trüben Betrachtungen über die jedes Jahr auffälliger werdende Abnahme der Austern im Kanal entsprang vor einiger Zeit im Kopfe des französischen Aka¬ demikers und Austernfreundes Coste der Gedanke, künstliche Austernbänke an- zulegen und das Meer ebenso in Cultur zu nehmen, wie das Land. 1858 forderte und erhielt er vom Staat die Mittel zur Ausführung seiner Pläne, und der schönste Erfolg krönte seine menschenfreundlichen Bemühungen. Im März des genannten Jahres ließ er bei Cancale und andern Orten drei Millionen Austern sammeln und dieselben auf Booten, die durch einen Staats- dampfer bugsirt wurden, nach der Bucht von Se. Brieux bringen, damit sie dort in den nächsten Monaten ihre Brut entließen. Der Ort war zur An¬ legung einer solchen Colonie vortrefflich geeignet. Er hat festen Grund aus Muschel- und Korallensand, und eine starke, sich an Klippen brechende Strö¬ mung bewirkt, daß das Wasser hier bedeutend viel Luft in sich aufnimmt, ein für das Gedeihen der jungen Thiere sehr werthvoller Umstand. Da die¬ selbe Strömung aber zugleich die Austernbrut zu entführen drohte, jo mußte dafür gesorgt werden, daß sie feste Körper vorfände, an denen sie sich ansetzen 59"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/477>, abgerufen am 23.07.2024.