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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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wird. Wie der Vielfraß im Purpur dies ermöglichte, hat die Geschichte auch
verzeichnet. Doch gehört eine genaue Beschreibung der Art, wie er, nachdem
der Magen gefüllt war, Platz für neue Zufuhr schaffte, nach heutigen Be¬
griffen nicht in gute Gesellschaft. Es genüge die Erinnerung, daß selbst Cä¬
sar dieser Methode huldigte, ja daß sogar das schöne Geschlecht des kaiser¬
lichen Rom dieselbe nicht immer für unästhetisch hielt.

Ein anderer sehr fleißiger Austernverzehrer war Seneca, der so bewun¬
dernswürdig die Reize der Armuth pries und einen so ungeheuren Reichthum
hinterließ -- Seneca, der Weise und Maßvolle, aß jede Woche mehre Hun¬
derte von Austern. "O Auster, so werth den Leuten von gutem Geschmack!"
ruft er aus, "du erregst nur den Appetit statt ihn zu sättigen, und nie ver¬
ursachst du Ueberladung, nicht einmal wenn man dich bis zum Exceß ver¬
schlungen; denn du bist leicht zu verdauen, und der Magen gibt dich mit
Leichtigkeit zurück." Cicero verhielt sich kühler, er gestand, daß er eine starke
Neigung zu Austern habe, fügte aber hinzu, daß er sie ohne Schwierigkeit
missen könnte, ein Zug von Philisterhaftigkeit, der sehr wohl zu andern
Aeußerungen des großen Redners und kleinen Menschen stimmt. Wie ganz
anders Horaz. der in jeder Zeile beinahe seine Vorliebe für unsre Freundin
verräth und sie mit ebensoviel Gusto verspeist, als er sie Andern anpreist.
Wie sorgsam verzeichnet er, von wem er sie sich verschafft, und wie lobt er
den berühmten Gourmand, der auf den ersten Biß anzugeben wußte, ob eine
Auster von Circe oder aus dem Lucriner See oder sonst woher stammte!

Auch Trajan war ein starker Liebhaber von Austern, und er ging darin
so weit, daß Apicius Coelius ihm sein Lieblingsgericht auch im Sommer
schaffen, ja, ihm dasselbe bis ins Partherland nachschicken mußte. Im All¬
gemeinen aber scheint man die Auster im alten Rom vorzüglich deshalb gern
gegessen zu haben, weil sie ein seh" theueres Gericht war. Daß man aller¬
lei Unterschiede zu machen wußte, geht aus dem ältern Plinius hervor, doch
gibt dieser der britischen Auster, die damals bereits entdeckt war. noch nicht
den verdienten Vorzug vor allen andern Sorten. Die betreffende Stelle
nämlich lautet: "Die Auster von Cyzicum, die aus der Meerenge von Calli-
polis kommt, ist die schönste von allen und größer als die, welche im See
Lucrinus gezüchtet wird, süßer als die von Britannien, angenehmer dem
Gaumen als die edulische und die von Leptis. voller als die lucensische. zar¬
ter als die istrische und endlich weißer als die Auster von Circeji." Die eng¬
lische Auster gewann erst später die Anerkennung, die sie verdiente, und", sie
ward vergessen, als das römische Reich sich auflöste.

Ob die ältern Könige und Kaiser des Mittelalters die Auster zu wür¬
digen verstanden, ist uns unbekannt. Gegen das Ende dieser dunkeln, aber
in gastronomischen Dingen nichts weniger als uncultivirten Periode, war ihr


wird. Wie der Vielfraß im Purpur dies ermöglichte, hat die Geschichte auch
verzeichnet. Doch gehört eine genaue Beschreibung der Art, wie er, nachdem
der Magen gefüllt war, Platz für neue Zufuhr schaffte, nach heutigen Be¬
griffen nicht in gute Gesellschaft. Es genüge die Erinnerung, daß selbst Cä¬
sar dieser Methode huldigte, ja daß sogar das schöne Geschlecht des kaiser¬
lichen Rom dieselbe nicht immer für unästhetisch hielt.

Ein anderer sehr fleißiger Austernverzehrer war Seneca, der so bewun¬
dernswürdig die Reize der Armuth pries und einen so ungeheuren Reichthum
hinterließ — Seneca, der Weise und Maßvolle, aß jede Woche mehre Hun¬
derte von Austern. „O Auster, so werth den Leuten von gutem Geschmack!"
ruft er aus, „du erregst nur den Appetit statt ihn zu sättigen, und nie ver¬
ursachst du Ueberladung, nicht einmal wenn man dich bis zum Exceß ver¬
schlungen; denn du bist leicht zu verdauen, und der Magen gibt dich mit
Leichtigkeit zurück." Cicero verhielt sich kühler, er gestand, daß er eine starke
Neigung zu Austern habe, fügte aber hinzu, daß er sie ohne Schwierigkeit
missen könnte, ein Zug von Philisterhaftigkeit, der sehr wohl zu andern
Aeußerungen des großen Redners und kleinen Menschen stimmt. Wie ganz
anders Horaz. der in jeder Zeile beinahe seine Vorliebe für unsre Freundin
verräth und sie mit ebensoviel Gusto verspeist, als er sie Andern anpreist.
Wie sorgsam verzeichnet er, von wem er sie sich verschafft, und wie lobt er
den berühmten Gourmand, der auf den ersten Biß anzugeben wußte, ob eine
Auster von Circe oder aus dem Lucriner See oder sonst woher stammte!

Auch Trajan war ein starker Liebhaber von Austern, und er ging darin
so weit, daß Apicius Coelius ihm sein Lieblingsgericht auch im Sommer
schaffen, ja, ihm dasselbe bis ins Partherland nachschicken mußte. Im All¬
gemeinen aber scheint man die Auster im alten Rom vorzüglich deshalb gern
gegessen zu haben, weil sie ein seh» theueres Gericht war. Daß man aller¬
lei Unterschiede zu machen wußte, geht aus dem ältern Plinius hervor, doch
gibt dieser der britischen Auster, die damals bereits entdeckt war. noch nicht
den verdienten Vorzug vor allen andern Sorten. Die betreffende Stelle
nämlich lautet: „Die Auster von Cyzicum, die aus der Meerenge von Calli-
polis kommt, ist die schönste von allen und größer als die, welche im See
Lucrinus gezüchtet wird, süßer als die von Britannien, angenehmer dem
Gaumen als die edulische und die von Leptis. voller als die lucensische. zar¬
ter als die istrische und endlich weißer als die Auster von Circeji." Die eng¬
lische Auster gewann erst später die Anerkennung, die sie verdiente, und», sie
ward vergessen, als das römische Reich sich auflöste.

Ob die ältern Könige und Kaiser des Mittelalters die Auster zu wür¬
digen verstanden, ist uns unbekannt. Gegen das Ende dieser dunkeln, aber
in gastronomischen Dingen nichts weniger als uncultivirten Periode, war ihr


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/476>, abgerufen am 23.07.2024.