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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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angelangt, unter nicht ganz ungünstigen Verhältnissen noch eine volle Woche
und länger am Leben bleiben kann. Im Winter vorigen Jahres gingen
Austern von Ostende sogar bis Moskau und Odessa, und obwol sie bis zu
ersterer Stadt siebzehn, bis zu letzterer elf Tage unterwegs waren, kamen sie
doch wohlerhalten an. Schwerlich könnte eine andere Gattung Austern aus
solche Entfernungen verschickt werden, ohne zu verderben. Der erste Versuch,
sie von Ostende nach Berlin zu versenden, wurde im Herbst 1847 nach Er¬
öffnung der Cöln-Mindener Bahn gewagt, und der Erfolg war höchst befrie¬
digend für den Unternehmer und segensreich auch für das Publicum; denn
während mau früher vier bis fünf, ja acht Thaler für das Hundert bezahlt
hatte, konnte man dieselbe Quantität jetzt für anderthalb bis zwei Thaler
haben.

Die Ostender Auster ist klein, ersetzt aber durch Fülle und Zartheit was
ihr an Größe abgeht. Sie ist, gegen die gewöhnliche Auster gehalten, was
ein junges wohlgepflegtcs Hühnchen gegen eine alte Henne ist. Hätten die
alten Römer Kenntniß von ihr besessen, so würden sie ihr Lob in Versen
und Prosa verkündet und sie bei Weitem den viel zu viel gepriesenen Austern
des Mittelmeeres vorgezogen haben.

Die einzige Austernsorte, welche den Zöglingen der Ostender Parks aus
dem Festland den Rang streitig macht, sind die Whitstabler. Dieselben sind
gleichfalls Natives vom Kanal, gewöhnlich größer als jene, aber ungleich,
da sie nicht soriirt werden. Ebenfalls fett und voll, haben sie doch nicht die
Zartheit von jenen und überdies den Fehler, daß sie sich weniger lange halten.
Die Ursache davon scheint aber nur darin zu liegen, daß man sie von Whit-
stable erst nach London schickt, wo sie verpackt und mit der Eisenbahn und
dem Dampfschiff nach Hamburg geschafft werden. Sie kommen auf diese
Weise selten vor Verlauf einer Woche (vom Tage des Fangs an gerechnet)
nach den deutschen Binncnlandsstädten.

Sehr achtbar ist die holsteiner Auster, d. h. die echte, die indeß weit
mehr Schleswigerin ist, da sie ihre Hauptniederlassung an der Westküste
Zwischen Husum und Hoyer und den Inseln Föhr und Sylt hat und in den
Husumer Austernparks ihre höhere Bildung und Gesittung empfängt. Daß
man sie, die nördlich von der Eider ansäßig, allgemein und selbst unter
Diplomaten als holsteinische und somit als zu Deutschland gehörig bezeichnet,
ist eines von den noch nicht genug gewürdigten Beweismitteln für das gute
Recht Schleswig-Holsteins contra Dänemark. Die Schleswig-holsteinische
Auster, wie wir sie, jedenfalls mit ihrer Beistimmung, als patriotische Epi¬
kuräer jetzt nennen wollen, ist sehr gut und fein und hat nur einen Tadel an
sich, der darin besteht, daß sie keine so zahlreiche Familie bildet, wie ihre
Stammverwandten an der englischen und französischen Küste, und daß sie des-


angelangt, unter nicht ganz ungünstigen Verhältnissen noch eine volle Woche
und länger am Leben bleiben kann. Im Winter vorigen Jahres gingen
Austern von Ostende sogar bis Moskau und Odessa, und obwol sie bis zu
ersterer Stadt siebzehn, bis zu letzterer elf Tage unterwegs waren, kamen sie
doch wohlerhalten an. Schwerlich könnte eine andere Gattung Austern aus
solche Entfernungen verschickt werden, ohne zu verderben. Der erste Versuch,
sie von Ostende nach Berlin zu versenden, wurde im Herbst 1847 nach Er¬
öffnung der Cöln-Mindener Bahn gewagt, und der Erfolg war höchst befrie¬
digend für den Unternehmer und segensreich auch für das Publicum; denn
während mau früher vier bis fünf, ja acht Thaler für das Hundert bezahlt
hatte, konnte man dieselbe Quantität jetzt für anderthalb bis zwei Thaler
haben.

Die Ostender Auster ist klein, ersetzt aber durch Fülle und Zartheit was
ihr an Größe abgeht. Sie ist, gegen die gewöhnliche Auster gehalten, was
ein junges wohlgepflegtcs Hühnchen gegen eine alte Henne ist. Hätten die
alten Römer Kenntniß von ihr besessen, so würden sie ihr Lob in Versen
und Prosa verkündet und sie bei Weitem den viel zu viel gepriesenen Austern
des Mittelmeeres vorgezogen haben.

Die einzige Austernsorte, welche den Zöglingen der Ostender Parks aus
dem Festland den Rang streitig macht, sind die Whitstabler. Dieselben sind
gleichfalls Natives vom Kanal, gewöhnlich größer als jene, aber ungleich,
da sie nicht soriirt werden. Ebenfalls fett und voll, haben sie doch nicht die
Zartheit von jenen und überdies den Fehler, daß sie sich weniger lange halten.
Die Ursache davon scheint aber nur darin zu liegen, daß man sie von Whit-
stable erst nach London schickt, wo sie verpackt und mit der Eisenbahn und
dem Dampfschiff nach Hamburg geschafft werden. Sie kommen auf diese
Weise selten vor Verlauf einer Woche (vom Tage des Fangs an gerechnet)
nach den deutschen Binncnlandsstädten.

Sehr achtbar ist die holsteiner Auster, d. h. die echte, die indeß weit
mehr Schleswigerin ist, da sie ihre Hauptniederlassung an der Westküste
Zwischen Husum und Hoyer und den Inseln Föhr und Sylt hat und in den
Husumer Austernparks ihre höhere Bildung und Gesittung empfängt. Daß
man sie, die nördlich von der Eider ansäßig, allgemein und selbst unter
Diplomaten als holsteinische und somit als zu Deutschland gehörig bezeichnet,
ist eines von den noch nicht genug gewürdigten Beweismitteln für das gute
Recht Schleswig-Holsteins contra Dänemark. Die Schleswig-holsteinische
Auster, wie wir sie, jedenfalls mit ihrer Beistimmung, als patriotische Epi¬
kuräer jetzt nennen wollen, ist sehr gut und fein und hat nur einen Tadel an
sich, der darin besteht, daß sie keine so zahlreiche Familie bildet, wie ihre
Stammverwandten an der englischen und französischen Küste, und daß sie des-


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[0473] angelangt, unter nicht ganz ungünstigen Verhältnissen noch eine volle Woche und länger am Leben bleiben kann. Im Winter vorigen Jahres gingen Austern von Ostende sogar bis Moskau und Odessa, und obwol sie bis zu ersterer Stadt siebzehn, bis zu letzterer elf Tage unterwegs waren, kamen sie doch wohlerhalten an. Schwerlich könnte eine andere Gattung Austern aus solche Entfernungen verschickt werden, ohne zu verderben. Der erste Versuch, sie von Ostende nach Berlin zu versenden, wurde im Herbst 1847 nach Er¬ öffnung der Cöln-Mindener Bahn gewagt, und der Erfolg war höchst befrie¬ digend für den Unternehmer und segensreich auch für das Publicum; denn während mau früher vier bis fünf, ja acht Thaler für das Hundert bezahlt hatte, konnte man dieselbe Quantität jetzt für anderthalb bis zwei Thaler haben. Die Ostender Auster ist klein, ersetzt aber durch Fülle und Zartheit was ihr an Größe abgeht. Sie ist, gegen die gewöhnliche Auster gehalten, was ein junges wohlgepflegtcs Hühnchen gegen eine alte Henne ist. Hätten die alten Römer Kenntniß von ihr besessen, so würden sie ihr Lob in Versen und Prosa verkündet und sie bei Weitem den viel zu viel gepriesenen Austern des Mittelmeeres vorgezogen haben. Die einzige Austernsorte, welche den Zöglingen der Ostender Parks aus dem Festland den Rang streitig macht, sind die Whitstabler. Dieselben sind gleichfalls Natives vom Kanal, gewöhnlich größer als jene, aber ungleich, da sie nicht soriirt werden. Ebenfalls fett und voll, haben sie doch nicht die Zartheit von jenen und überdies den Fehler, daß sie sich weniger lange halten. Die Ursache davon scheint aber nur darin zu liegen, daß man sie von Whit- stable erst nach London schickt, wo sie verpackt und mit der Eisenbahn und dem Dampfschiff nach Hamburg geschafft werden. Sie kommen auf diese Weise selten vor Verlauf einer Woche (vom Tage des Fangs an gerechnet) nach den deutschen Binncnlandsstädten. Sehr achtbar ist die holsteiner Auster, d. h. die echte, die indeß weit mehr Schleswigerin ist, da sie ihre Hauptniederlassung an der Westküste Zwischen Husum und Hoyer und den Inseln Föhr und Sylt hat und in den Husumer Austernparks ihre höhere Bildung und Gesittung empfängt. Daß man sie, die nördlich von der Eider ansäßig, allgemein und selbst unter Diplomaten als holsteinische und somit als zu Deutschland gehörig bezeichnet, ist eines von den noch nicht genug gewürdigten Beweismitteln für das gute Recht Schleswig-Holsteins contra Dänemark. Die Schleswig-holsteinische Auster, wie wir sie, jedenfalls mit ihrer Beistimmung, als patriotische Epi¬ kuräer jetzt nennen wollen, ist sehr gut und fein und hat nur einen Tadel an sich, der darin besteht, daß sie keine so zahlreiche Familie bildet, wie ihre Stammverwandten an der englischen und französischen Küste, und daß sie des-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/473>, abgerufen am 23.07.2024.