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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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Eine helle Christnacht bedeutet ein gesegnetes Jahr, Schnee in derselben
eine gute Hopfenernte, reich gestirnter Himmel fleißiges Eierlegen der Hühner.
So oft von Mitternacht bis zum Sonnenaufgang des Christtags der Hahn
kräht, in so viel Wochen, von Weihnachten an gerechnet, wird man mit dem
Ackern beginnen können. Um sich über die Ernte des nächsten Jahres Ge¬
wißheit zu verschaffen, steckt man ein Messer in ein Brot, und ein anderes
in eine Semmel: rostet es zuerst in jenem, so wird der Roggen, rostet es eher
in dieser, so wird der Weizen theuer.

Zahlreich sind die Todesvorbedeutungen. In Warnsdorf heißt es. daß
man von dem, welcher im nächsten Jahr sterben solle, beim Lichtmnchen am
heiligen Abend keinen Schatten, in Komotau, daß man von demselben nur
einen kopflosen Schatten oder einen doppelten sehe. In Miltigau bei Eger
stirbt, wer beim Auseinanderschneiden des ersten Wcihnachtsapfels einen Frucht¬
kern verletzt oder wer, lusca er den Apfel der Quer durchschneidet, in dem
Kerngehäuse desselben statt eines Sterns ein Kreuz erblickt. In andern Ge¬
genden zeigt die erste geöffnete Weihnachtsnuß. wenn sie taub ist, das baldige
Lebensende dessen an, der sie bekommen. In Neuhaus gibt man in der
Dämmerstunde des Weihnachtsabends Acht, "ob das Leichenbret fällt". Es
soll dies ein Geräusch sein, als ob ein aufrecht angelehntes Bret auf ein der
Länge nach darunter liegendes fiele. In dem Hause, wo dies vernommen
wird, stirbt unfehlbar im nächsten Jahr eins von der Familie. Im Egerland
gibt es Leute, die während der Christmette die Häuser erkennen, aus welchen
im Verlauf des Jahres eine Leiche herausgetragen werden wird. Geht man
um Mitternacht auf einen Kreuzweg, so erblickt man die. welche während des
Jahres sterben sollen, wie sie mit den schon Verstorbenen in die Todtenmesse
gehen. Will man dieser Sehergabe ganz sicher sein, so sieht man durch das
Astloch eines Sargbrctes, welches in der Mittagsstunde aus einem Grabe ge¬
holt worden ist. Ferner kann man (in der Gegend von Budweis) unter den
in der Christmette versammelten Frauen die Hexen herausfinden, wenn man
sich zum Sitz einen selbstverfertigten Stuhl von neunerlei Holz mitnimmt.
Die Hexen kehren auch hier, wie anderwärts, z. B. in Schwaben, dem Altar
den Rücken zu. Außer den Zauberschwestcrn und den vom Tode Gezeichneten
sieht der vom Glück Begünstigte auch die Geister großer Verstorbener, Könige
und Helden, verschwundene Städte und Schlösser und allerlei andern Spuk.
Die Luft ist mit todten Seelen erfüllt, die mit "der Melusine" umherfliegen.
Letztere, in einigen Gegenden auch Halda (Holda) genannt und als weiße
Frau vorgestellt, soll namentlich die Führerin verstorbener Kinder sein. Im
Winde klagend und wimmernd, läßt sie sich beschwichtigen, wenn man ihr
Mehl und Salz zum Fenster hinausstreut. Im Budweiser Kreis erzählt das
Volk vou einem alten Mütterchen, welches zu Weihnachten mit einem Bündel


Eine helle Christnacht bedeutet ein gesegnetes Jahr, Schnee in derselben
eine gute Hopfenernte, reich gestirnter Himmel fleißiges Eierlegen der Hühner.
So oft von Mitternacht bis zum Sonnenaufgang des Christtags der Hahn
kräht, in so viel Wochen, von Weihnachten an gerechnet, wird man mit dem
Ackern beginnen können. Um sich über die Ernte des nächsten Jahres Ge¬
wißheit zu verschaffen, steckt man ein Messer in ein Brot, und ein anderes
in eine Semmel: rostet es zuerst in jenem, so wird der Roggen, rostet es eher
in dieser, so wird der Weizen theuer.

Zahlreich sind die Todesvorbedeutungen. In Warnsdorf heißt es. daß
man von dem, welcher im nächsten Jahr sterben solle, beim Lichtmnchen am
heiligen Abend keinen Schatten, in Komotau, daß man von demselben nur
einen kopflosen Schatten oder einen doppelten sehe. In Miltigau bei Eger
stirbt, wer beim Auseinanderschneiden des ersten Wcihnachtsapfels einen Frucht¬
kern verletzt oder wer, lusca er den Apfel der Quer durchschneidet, in dem
Kerngehäuse desselben statt eines Sterns ein Kreuz erblickt. In andern Ge¬
genden zeigt die erste geöffnete Weihnachtsnuß. wenn sie taub ist, das baldige
Lebensende dessen an, der sie bekommen. In Neuhaus gibt man in der
Dämmerstunde des Weihnachtsabends Acht, „ob das Leichenbret fällt". Es
soll dies ein Geräusch sein, als ob ein aufrecht angelehntes Bret auf ein der
Länge nach darunter liegendes fiele. In dem Hause, wo dies vernommen
wird, stirbt unfehlbar im nächsten Jahr eins von der Familie. Im Egerland
gibt es Leute, die während der Christmette die Häuser erkennen, aus welchen
im Verlauf des Jahres eine Leiche herausgetragen werden wird. Geht man
um Mitternacht auf einen Kreuzweg, so erblickt man die. welche während des
Jahres sterben sollen, wie sie mit den schon Verstorbenen in die Todtenmesse
gehen. Will man dieser Sehergabe ganz sicher sein, so sieht man durch das
Astloch eines Sargbrctes, welches in der Mittagsstunde aus einem Grabe ge¬
holt worden ist. Ferner kann man (in der Gegend von Budweis) unter den
in der Christmette versammelten Frauen die Hexen herausfinden, wenn man
sich zum Sitz einen selbstverfertigten Stuhl von neunerlei Holz mitnimmt.
Die Hexen kehren auch hier, wie anderwärts, z. B. in Schwaben, dem Altar
den Rücken zu. Außer den Zauberschwestcrn und den vom Tode Gezeichneten
sieht der vom Glück Begünstigte auch die Geister großer Verstorbener, Könige
und Helden, verschwundene Städte und Schlösser und allerlei andern Spuk.
Die Luft ist mit todten Seelen erfüllt, die mit „der Melusine" umherfliegen.
Letztere, in einigen Gegenden auch Halda (Holda) genannt und als weiße
Frau vorgestellt, soll namentlich die Führerin verstorbener Kinder sein. Im
Winde klagend und wimmernd, läßt sie sich beschwichtigen, wenn man ihr
Mehl und Salz zum Fenster hinausstreut. Im Budweiser Kreis erzählt das
Volk vou einem alten Mütterchen, welches zu Weihnachten mit einem Bündel


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[0462] Eine helle Christnacht bedeutet ein gesegnetes Jahr, Schnee in derselben eine gute Hopfenernte, reich gestirnter Himmel fleißiges Eierlegen der Hühner. So oft von Mitternacht bis zum Sonnenaufgang des Christtags der Hahn kräht, in so viel Wochen, von Weihnachten an gerechnet, wird man mit dem Ackern beginnen können. Um sich über die Ernte des nächsten Jahres Ge¬ wißheit zu verschaffen, steckt man ein Messer in ein Brot, und ein anderes in eine Semmel: rostet es zuerst in jenem, so wird der Roggen, rostet es eher in dieser, so wird der Weizen theuer. Zahlreich sind die Todesvorbedeutungen. In Warnsdorf heißt es. daß man von dem, welcher im nächsten Jahr sterben solle, beim Lichtmnchen am heiligen Abend keinen Schatten, in Komotau, daß man von demselben nur einen kopflosen Schatten oder einen doppelten sehe. In Miltigau bei Eger stirbt, wer beim Auseinanderschneiden des ersten Wcihnachtsapfels einen Frucht¬ kern verletzt oder wer, lusca er den Apfel der Quer durchschneidet, in dem Kerngehäuse desselben statt eines Sterns ein Kreuz erblickt. In andern Ge¬ genden zeigt die erste geöffnete Weihnachtsnuß. wenn sie taub ist, das baldige Lebensende dessen an, der sie bekommen. In Neuhaus gibt man in der Dämmerstunde des Weihnachtsabends Acht, „ob das Leichenbret fällt". Es soll dies ein Geräusch sein, als ob ein aufrecht angelehntes Bret auf ein der Länge nach darunter liegendes fiele. In dem Hause, wo dies vernommen wird, stirbt unfehlbar im nächsten Jahr eins von der Familie. Im Egerland gibt es Leute, die während der Christmette die Häuser erkennen, aus welchen im Verlauf des Jahres eine Leiche herausgetragen werden wird. Geht man um Mitternacht auf einen Kreuzweg, so erblickt man die. welche während des Jahres sterben sollen, wie sie mit den schon Verstorbenen in die Todtenmesse gehen. Will man dieser Sehergabe ganz sicher sein, so sieht man durch das Astloch eines Sargbrctes, welches in der Mittagsstunde aus einem Grabe ge¬ holt worden ist. Ferner kann man (in der Gegend von Budweis) unter den in der Christmette versammelten Frauen die Hexen herausfinden, wenn man sich zum Sitz einen selbstverfertigten Stuhl von neunerlei Holz mitnimmt. Die Hexen kehren auch hier, wie anderwärts, z. B. in Schwaben, dem Altar den Rücken zu. Außer den Zauberschwestcrn und den vom Tode Gezeichneten sieht der vom Glück Begünstigte auch die Geister großer Verstorbener, Könige und Helden, verschwundene Städte und Schlösser und allerlei andern Spuk. Die Luft ist mit todten Seelen erfüllt, die mit „der Melusine" umherfliegen. Letztere, in einigen Gegenden auch Halda (Holda) genannt und als weiße Frau vorgestellt, soll namentlich die Führerin verstorbener Kinder sein. Im Winde klagend und wimmernd, läßt sie sich beschwichtigen, wenn man ihr Mehl und Salz zum Fenster hinausstreut. Im Budweiser Kreis erzählt das Volk vou einem alten Mütterchen, welches zu Weihnachten mit einem Bündel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/462>, abgerufen am 23.07.2024.