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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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Gänserich und Hahn Brot, ein Stück Fisch und ein Schnittchen Knoblauch
vom Abendessen ,in den Hals zu stopfen. Hierauf hängen sie jedem dieser
Thiere einen kleinen Dornzweig an den Hals, und dann schreitet zuerst der
Mann mit dem Hunde dreimal um das Gehöft herum, was denselben in be-
sonderm Grad wachsam machen soll. Dann geht die Bäuerin zunächst mit
dem Gänserich, hiernach mit dem Enterich und zuletzt mit dem Hahn densel¬
ben Weg. "damit die Thiere sich gewöhnen, im Bereich des Hofes zu blei¬
ben." Zum Schluß werden der Hund und die drei Vögel in die Wohnstube
gebracht und hier rückwärts zum Fenster hinausgeworfen, was die mit dem
Vorherigen erzielten guten Eigenschaften verstärkt. Mit dem Hunde geschieht
dies in manchen Strichen dreimal, weil er "dann selbst den Teufel nicht
fürchtet;" auch schlagen ihm Altgläubige bei der Ceremonie bisweilen ins
Auge, was ihn vor dem Tollwerden bewahrt.

In Neuhaus erhalten die Kühe am Weihnachtsabend bessere Streu,
besseres Futter und in letzterem die Reste von den Kränzen, die am Frohn-
leichnamsfest gebraucht worden sind. In Komotau schüttet man in Jahren,
wo es viele Mäuse gibt, in jede der vier Ecken der Stube etwas von den
Erbsen, die um heiligen Abend auf den Tisch kommen, und bildet daraus
ein Kreutz, wodurch der weiteren Vermehrung jener Thiere Einhalt gethan
Wird. Anderwärts streut mau die Brosamen, welche vom Weihnachtsschmaus
auf dem Tischtuch liegen geblieben sind, in die Scheune und sagt dazu:
"Mäuschen, esset diese Brocken und lasset das Getreide in Ruhe." In Reichen-
berg gehört zu einem rechten und vollkommenen Weihnachtsschmaus Mohu-
milch. d. h. Semmelmilch mit Mohnkörnern, in andern Orten (wie im Voge¬
lart) Mehlbrei, wieder in andern ein Gericht Hirseklöse, welche letzteren
bewirken, daß man, das ganze Jahr über Glück hat. Zu ähnlichen Zwecken
muß in einigen Dörfern jeder Gast des Weihnachtsmahles ein Häufchen Geld
vor sich unter dem Tischtuch liegen haben, wieder anderswo steckt man unter
das Tischtuch einen angeschnittenen Laib Brot "für die himmlischen Gäste".
Daß der Schmaus ursprünglich religiöse Bedeutung hatte, beweist auch der
Aberglaube, nach welchem dem, der vor dem Niedersitzen mit bloßen Füßen
auf ein Beil tritt, das zu dem Behuf am Tische liegt, das Jahr über die
Füße nicht wehethun. Ferner ist die Regel hierher zu beziehen, nach welcher
Jemand, der sich verirrt hat, sich nur zu erinnern braucht, mit wem er am
heiligen Abend zu Tisch gesessen, um sofort den rechten Weg zu finden.
Dann gehört hierher der Gebrauch der Reichenberger Gegend, die Obstbäume
zu dem Essen einzuladen und ihnen nach Beendigung desselben die Ueberbleibsel
zu bringen, was sie reichlich zu tragen nöthigt. Aus den Fischgräten, wenn
sie sauber in einem weißen Tuch hingetragen worden sind, soll das Kraut
Rimbaba entstehen, welches zu einem gegen die Frais nützlichen Zauber dient.


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Gänserich und Hahn Brot, ein Stück Fisch und ein Schnittchen Knoblauch
vom Abendessen ,in den Hals zu stopfen. Hierauf hängen sie jedem dieser
Thiere einen kleinen Dornzweig an den Hals, und dann schreitet zuerst der
Mann mit dem Hunde dreimal um das Gehöft herum, was denselben in be-
sonderm Grad wachsam machen soll. Dann geht die Bäuerin zunächst mit
dem Gänserich, hiernach mit dem Enterich und zuletzt mit dem Hahn densel¬
ben Weg. „damit die Thiere sich gewöhnen, im Bereich des Hofes zu blei¬
ben." Zum Schluß werden der Hund und die drei Vögel in die Wohnstube
gebracht und hier rückwärts zum Fenster hinausgeworfen, was die mit dem
Vorherigen erzielten guten Eigenschaften verstärkt. Mit dem Hunde geschieht
dies in manchen Strichen dreimal, weil er „dann selbst den Teufel nicht
fürchtet;" auch schlagen ihm Altgläubige bei der Ceremonie bisweilen ins
Auge, was ihn vor dem Tollwerden bewahrt.

In Neuhaus erhalten die Kühe am Weihnachtsabend bessere Streu,
besseres Futter und in letzterem die Reste von den Kränzen, die am Frohn-
leichnamsfest gebraucht worden sind. In Komotau schüttet man in Jahren,
wo es viele Mäuse gibt, in jede der vier Ecken der Stube etwas von den
Erbsen, die um heiligen Abend auf den Tisch kommen, und bildet daraus
ein Kreutz, wodurch der weiteren Vermehrung jener Thiere Einhalt gethan
Wird. Anderwärts streut mau die Brosamen, welche vom Weihnachtsschmaus
auf dem Tischtuch liegen geblieben sind, in die Scheune und sagt dazu:
„Mäuschen, esset diese Brocken und lasset das Getreide in Ruhe." In Reichen-
berg gehört zu einem rechten und vollkommenen Weihnachtsschmaus Mohu-
milch. d. h. Semmelmilch mit Mohnkörnern, in andern Orten (wie im Voge¬
lart) Mehlbrei, wieder in andern ein Gericht Hirseklöse, welche letzteren
bewirken, daß man, das ganze Jahr über Glück hat. Zu ähnlichen Zwecken
muß in einigen Dörfern jeder Gast des Weihnachtsmahles ein Häufchen Geld
vor sich unter dem Tischtuch liegen haben, wieder anderswo steckt man unter
das Tischtuch einen angeschnittenen Laib Brot „für die himmlischen Gäste".
Daß der Schmaus ursprünglich religiöse Bedeutung hatte, beweist auch der
Aberglaube, nach welchem dem, der vor dem Niedersitzen mit bloßen Füßen
auf ein Beil tritt, das zu dem Behuf am Tische liegt, das Jahr über die
Füße nicht wehethun. Ferner ist die Regel hierher zu beziehen, nach welcher
Jemand, der sich verirrt hat, sich nur zu erinnern braucht, mit wem er am
heiligen Abend zu Tisch gesessen, um sofort den rechten Weg zu finden.
Dann gehört hierher der Gebrauch der Reichenberger Gegend, die Obstbäume
zu dem Essen einzuladen und ihnen nach Beendigung desselben die Ueberbleibsel
zu bringen, was sie reichlich zu tragen nöthigt. Aus den Fischgräten, wenn
sie sauber in einem weißen Tuch hingetragen worden sind, soll das Kraut
Rimbaba entstehen, welches zu einem gegen die Frais nützlichen Zauber dient.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/461>, abgerufen am 23.07.2024.