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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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und sofort wird Alles helfen geschafft. Pelz und Mantel angezogen, die Laterne
angezündet und in die Mitternachtsmesse gegangen, die überall mit großer
Feierlichkeit gehalten zu werden pflegt, und bei der man die sogenannten
Koledalieder singt, welche die Geburt Christi preisen. In manchen Orten
waren früher dabei vor dem Hochaltar Kuppen aufgestellt, um welche sich die
Figuren der heiligen Familie, Hirten. Herodes, Engel und die drei Könige
aus Mohrenland gruppirten. Da der Bolkswitz j.doch der biblischen Gesell
schaft bisweilen auch Persönlichkeiten sehr weltlicher Natur, z. B. Hanswurste
und Seiltänzer bcigab. die während des Hochamts Possen trieben, so wurden
die Krippen aus den Kirchen entfernt und in die Privathäuser verwiesen, wo
man sie noch jetzt mit ihrem Schmuck von Mos's. Blumen urit Zindel und
ihren zahlreichen Figuren häusig antrifft. Besonders prächtig Macht man sie
in der Gegend von Budweis. wo sie oft alle vier Ecken der Zimmer euv
nehmen, Hunderte von bunten Gestalten zählen und von Springbrunnen.
Mühlen, Bergwerken. Wallfahrtskapellen. Einsiedlerclausen u. et. üMgeben
sind. In Prag aber hat sich ein Rest des allen Krippenschäuspiels seinen
Platz in der Kirche erhalten, indem in der zwölften Stunde der Nachtwächter
in die Cajetanerkirche tritt und mit seinem Horn die Mitternacht verkündig-
und die um die am Altar ausgestellte Krippe versammelten Hirten aus Hör¬
nern und Pfeifen aus Birkenrinde die Melodie eines Koledalieds blasen, welches
von einem Dudelsack und verschiedenen Vogelstimmen, der Nachtigall, dem
Kukuk, der Wachtel und der Turteltaube begleitet wird.

Hier und da ist auch die nordische Wcihnachtstanne bekannt, und zwar
selbst unter den Czechen. In und bei Prag stellt man sie auf den weißge¬
deckten Ehrentisch, an dem gegessen wird, und es werden vor ihr von der
Familie knieend oder stehend Gebete gesprochen und Koledalieder gesungen.

Im Böhmerwald ist der Umzug des Christkindes, wie er den Kindern
beschrieben wird, nichts als der ins Kleine, Niedliche und AnMuthige um-
gewandelte Umzug des alten schauerlichen Todtengottes Wuotan, den wir in
den Mythen vom wüthenden Heer nachtönen hören. Es heißt hier nämlich, daß
mit der ersten Dämmerung des heiligen Abends Jesus als leuchtendes Kind
in einem kleinen von zwei weißen Pferden gezogenen Goldwagen durch die
Luft gefahren komme. Die Sonntagskinder sehen die Erscheinung, hören die
Pferde miteinander reden und vernehmen die schöne Musik, welche der Wagen
in Dahinrollen macht. Letzterer ist mit allerlei Näschereien für die guten und
mit Ruthen, Erbsen und trocknem Schwarzbrot für die unartigen Kinder
gefüllt.

Zahlreich sind die Zaubcrgebräuche, welche in den verschiedenen Gegen¬
den Böhmens sich an den heiligen Abend vor dem Christfest knüpfen. Im
Taborer Kreise pflegt der Hauswirth dem Hofhund, die Hausfrau dem Enterich,


und sofort wird Alles helfen geschafft. Pelz und Mantel angezogen, die Laterne
angezündet und in die Mitternachtsmesse gegangen, die überall mit großer
Feierlichkeit gehalten zu werden pflegt, und bei der man die sogenannten
Koledalieder singt, welche die Geburt Christi preisen. In manchen Orten
waren früher dabei vor dem Hochaltar Kuppen aufgestellt, um welche sich die
Figuren der heiligen Familie, Hirten. Herodes, Engel und die drei Könige
aus Mohrenland gruppirten. Da der Bolkswitz j.doch der biblischen Gesell
schaft bisweilen auch Persönlichkeiten sehr weltlicher Natur, z. B. Hanswurste
und Seiltänzer bcigab. die während des Hochamts Possen trieben, so wurden
die Krippen aus den Kirchen entfernt und in die Privathäuser verwiesen, wo
man sie noch jetzt mit ihrem Schmuck von Mos's. Blumen urit Zindel und
ihren zahlreichen Figuren häusig antrifft. Besonders prächtig Macht man sie
in der Gegend von Budweis. wo sie oft alle vier Ecken der Zimmer euv
nehmen, Hunderte von bunten Gestalten zählen und von Springbrunnen.
Mühlen, Bergwerken. Wallfahrtskapellen. Einsiedlerclausen u. et. üMgeben
sind. In Prag aber hat sich ein Rest des allen Krippenschäuspiels seinen
Platz in der Kirche erhalten, indem in der zwölften Stunde der Nachtwächter
in die Cajetanerkirche tritt und mit seinem Horn die Mitternacht verkündig-
und die um die am Altar ausgestellte Krippe versammelten Hirten aus Hör¬
nern und Pfeifen aus Birkenrinde die Melodie eines Koledalieds blasen, welches
von einem Dudelsack und verschiedenen Vogelstimmen, der Nachtigall, dem
Kukuk, der Wachtel und der Turteltaube begleitet wird.

Hier und da ist auch die nordische Wcihnachtstanne bekannt, und zwar
selbst unter den Czechen. In und bei Prag stellt man sie auf den weißge¬
deckten Ehrentisch, an dem gegessen wird, und es werden vor ihr von der
Familie knieend oder stehend Gebete gesprochen und Koledalieder gesungen.

Im Böhmerwald ist der Umzug des Christkindes, wie er den Kindern
beschrieben wird, nichts als der ins Kleine, Niedliche und AnMuthige um-
gewandelte Umzug des alten schauerlichen Todtengottes Wuotan, den wir in
den Mythen vom wüthenden Heer nachtönen hören. Es heißt hier nämlich, daß
mit der ersten Dämmerung des heiligen Abends Jesus als leuchtendes Kind
in einem kleinen von zwei weißen Pferden gezogenen Goldwagen durch die
Luft gefahren komme. Die Sonntagskinder sehen die Erscheinung, hören die
Pferde miteinander reden und vernehmen die schöne Musik, welche der Wagen
in Dahinrollen macht. Letzterer ist mit allerlei Näschereien für die guten und
mit Ruthen, Erbsen und trocknem Schwarzbrot für die unartigen Kinder
gefüllt.

Zahlreich sind die Zaubcrgebräuche, welche in den verschiedenen Gegen¬
den Böhmens sich an den heiligen Abend vor dem Christfest knüpfen. Im
Taborer Kreise pflegt der Hauswirth dem Hofhund, die Hausfrau dem Enterich,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/460>, abgerufen am 23.07.2024.