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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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jetzt betrachten hier und da Wähler und Gewählte die großen Erfolge ihrer
Fortschrittspartei mit einem gewissen Erstaunen. Leicht mag in das Volk die
Empfindung kommen, daß man im Eifer etwas weiter gegangen ist, als man
gehen wollte.

Zwar würde ein Rückschlag nach konservativer Seite bei der großen Zeit¬
strömung, welche für längere Zeit den Liberalen günstig zufließen wird,
keine Dauer haben; aber er vermag wol eine, wenn auch vorübergehende,
bedrohliche Störung in der friedlichen Entwickelung Preußens hervorzurufen;
und was uns noch höher gilt, er würde das Ansehen des preußischen Vol¬
kes in den Augen Europa's gefährlich bedrohen. Es ist anzunehmen, daß
diese Erwägungen nicht weniger, als die Lehren einer dreizehnjährigen Ver¬
gangenheit die Fortschrittspartei zu größter Besonnenheit veranlasse" werden.

Wir theilen deshalb auch durchaus nicht die Besorgnisse für den Bestand
des Ministeriums, welche bereits hier und da in der Presse unholden Aus¬
druck finden; ja, wir sind der Ueberzeugung, daß die neuen Wahlen ein Glück
für Preußen und eine Kräftigung der liberalen Elemente in der jetzigen Ne¬
gierung werden können, wenn die Minister Einiges dafür thun wollen, sich mit
d^n Vertretern der Nation im Abgeordnetenhaus" in ein geschicktes Verhältniß
zu setzen, welches diesen die Möglichkeit gibt, dem Ministerium eine Hülfe zu
werden.

Das geschieht aber nicht sowohl durch Vorlagen, welche lebhaften Forde¬
rungen Genüge thun, sondern ebenso sehr durch den achtungsvollen persönlichen
VeitVhr, welcher die Parteiführer in die letzten Gründe einweiht, wodurch das
Verhalten des Ministeriums und die Verweigerung des Wünschenswerthen
motivirt werden. Möge das Ministerium sich erinnern, wie die Schwierigkeiten
der Militärvorlage entstanden sind. Hütte dasselbe damals, wo der Plan der
Regierung noch nicht formulirt. noch keine Mißstimmung aufgeregt war. die
Vertreter der geneigten Parteien zu einer vertraulichen Berathung nach Ber¬
lin gerufen, dort seine Gründe auseinandergesetzt, die verschiedenen Einwen¬
dungen angehört und beachtet, wozu damals noch in jeder Hinsicht günstige
Zeit war, so hätte ihr die ganze Frage nicht die Schwierigkeiten bereitet,
welche bis jetzt unüberwunden sind. Von beiden Seiten wäre die Würdigung
der Motive unbefangener geworden, der Plan hätte einige Modifikationen
wol vertragen, auch in den höchsten Kreisen der Negierung wäre man damals
leichter auf populäre Aenderungen eingegangen, und es ist nicht unmöglich,
daß das Project gleich bei der ersten Vorlage bereitwillige Zustimmung ge¬
funden hätte. -- Der Verkehr mit den Deputirten in den Commissionen ist bei
der gegenwärtigen Entwickelung des preußischen Staatslebens nicht aus¬
reichend, die Annäherung herzustellen, welche zwischen einem Ministerium,
das sich auf die Majorität der Volksvertreter stützen soll, und den Kammern


jetzt betrachten hier und da Wähler und Gewählte die großen Erfolge ihrer
Fortschrittspartei mit einem gewissen Erstaunen. Leicht mag in das Volk die
Empfindung kommen, daß man im Eifer etwas weiter gegangen ist, als man
gehen wollte.

Zwar würde ein Rückschlag nach konservativer Seite bei der großen Zeit¬
strömung, welche für längere Zeit den Liberalen günstig zufließen wird,
keine Dauer haben; aber er vermag wol eine, wenn auch vorübergehende,
bedrohliche Störung in der friedlichen Entwickelung Preußens hervorzurufen;
und was uns noch höher gilt, er würde das Ansehen des preußischen Vol¬
kes in den Augen Europa's gefährlich bedrohen. Es ist anzunehmen, daß
diese Erwägungen nicht weniger, als die Lehren einer dreizehnjährigen Ver¬
gangenheit die Fortschrittspartei zu größter Besonnenheit veranlasse» werden.

Wir theilen deshalb auch durchaus nicht die Besorgnisse für den Bestand
des Ministeriums, welche bereits hier und da in der Presse unholden Aus¬
druck finden; ja, wir sind der Ueberzeugung, daß die neuen Wahlen ein Glück
für Preußen und eine Kräftigung der liberalen Elemente in der jetzigen Ne¬
gierung werden können, wenn die Minister Einiges dafür thun wollen, sich mit
d^n Vertretern der Nation im Abgeordnetenhaus« in ein geschicktes Verhältniß
zu setzen, welches diesen die Möglichkeit gibt, dem Ministerium eine Hülfe zu
werden.

Das geschieht aber nicht sowohl durch Vorlagen, welche lebhaften Forde¬
rungen Genüge thun, sondern ebenso sehr durch den achtungsvollen persönlichen
VeitVhr, welcher die Parteiführer in die letzten Gründe einweiht, wodurch das
Verhalten des Ministeriums und die Verweigerung des Wünschenswerthen
motivirt werden. Möge das Ministerium sich erinnern, wie die Schwierigkeiten
der Militärvorlage entstanden sind. Hütte dasselbe damals, wo der Plan der
Regierung noch nicht formulirt. noch keine Mißstimmung aufgeregt war. die
Vertreter der geneigten Parteien zu einer vertraulichen Berathung nach Ber¬
lin gerufen, dort seine Gründe auseinandergesetzt, die verschiedenen Einwen¬
dungen angehört und beachtet, wozu damals noch in jeder Hinsicht günstige
Zeit war, so hätte ihr die ganze Frage nicht die Schwierigkeiten bereitet,
welche bis jetzt unüberwunden sind. Von beiden Seiten wäre die Würdigung
der Motive unbefangener geworden, der Plan hätte einige Modifikationen
wol vertragen, auch in den höchsten Kreisen der Negierung wäre man damals
leichter auf populäre Aenderungen eingegangen, und es ist nicht unmöglich,
daß das Project gleich bei der ersten Vorlage bereitwillige Zustimmung ge¬
funden hätte. — Der Verkehr mit den Deputirten in den Commissionen ist bei
der gegenwärtigen Entwickelung des preußischen Staatslebens nicht aus¬
reichend, die Annäherung herzustellen, welche zwischen einem Ministerium,
das sich auf die Majorität der Volksvertreter stützen soll, und den Kammern


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[0454] jetzt betrachten hier und da Wähler und Gewählte die großen Erfolge ihrer Fortschrittspartei mit einem gewissen Erstaunen. Leicht mag in das Volk die Empfindung kommen, daß man im Eifer etwas weiter gegangen ist, als man gehen wollte. Zwar würde ein Rückschlag nach konservativer Seite bei der großen Zeit¬ strömung, welche für längere Zeit den Liberalen günstig zufließen wird, keine Dauer haben; aber er vermag wol eine, wenn auch vorübergehende, bedrohliche Störung in der friedlichen Entwickelung Preußens hervorzurufen; und was uns noch höher gilt, er würde das Ansehen des preußischen Vol¬ kes in den Augen Europa's gefährlich bedrohen. Es ist anzunehmen, daß diese Erwägungen nicht weniger, als die Lehren einer dreizehnjährigen Ver¬ gangenheit die Fortschrittspartei zu größter Besonnenheit veranlasse» werden. Wir theilen deshalb auch durchaus nicht die Besorgnisse für den Bestand des Ministeriums, welche bereits hier und da in der Presse unholden Aus¬ druck finden; ja, wir sind der Ueberzeugung, daß die neuen Wahlen ein Glück für Preußen und eine Kräftigung der liberalen Elemente in der jetzigen Ne¬ gierung werden können, wenn die Minister Einiges dafür thun wollen, sich mit d^n Vertretern der Nation im Abgeordnetenhaus« in ein geschicktes Verhältniß zu setzen, welches diesen die Möglichkeit gibt, dem Ministerium eine Hülfe zu werden. Das geschieht aber nicht sowohl durch Vorlagen, welche lebhaften Forde¬ rungen Genüge thun, sondern ebenso sehr durch den achtungsvollen persönlichen VeitVhr, welcher die Parteiführer in die letzten Gründe einweiht, wodurch das Verhalten des Ministeriums und die Verweigerung des Wünschenswerthen motivirt werden. Möge das Ministerium sich erinnern, wie die Schwierigkeiten der Militärvorlage entstanden sind. Hütte dasselbe damals, wo der Plan der Regierung noch nicht formulirt. noch keine Mißstimmung aufgeregt war. die Vertreter der geneigten Parteien zu einer vertraulichen Berathung nach Ber¬ lin gerufen, dort seine Gründe auseinandergesetzt, die verschiedenen Einwen¬ dungen angehört und beachtet, wozu damals noch in jeder Hinsicht günstige Zeit war, so hätte ihr die ganze Frage nicht die Schwierigkeiten bereitet, welche bis jetzt unüberwunden sind. Von beiden Seiten wäre die Würdigung der Motive unbefangener geworden, der Plan hätte einige Modifikationen wol vertragen, auch in den höchsten Kreisen der Negierung wäre man damals leichter auf populäre Aenderungen eingegangen, und es ist nicht unmöglich, daß das Project gleich bei der ersten Vorlage bereitwillige Zustimmung ge¬ funden hätte. — Der Verkehr mit den Deputirten in den Commissionen ist bei der gegenwärtigen Entwickelung des preußischen Staatslebens nicht aus¬ reichend, die Annäherung herzustellen, welche zwischen einem Ministerium, das sich auf die Majorität der Volksvertreter stützen soll, und den Kammern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/454>, abgerufen am 29.12.2024.