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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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Galerie des Luxemburg) von Ingres (Jean Auguste Dominique, geboren
1780), Als der junge Künstler im Jahre 180K, nachdem er mit einem ganz
in der Weise Davids gehaltenen Bilde schon 1801 den ersten Preis erhalten, nach
Rom zog, begleiteten ihn die Hoffnungen der Schule. In der langen Zwi¬
schenzeit wen wenig von ihm bekannt geworden; so lange die Richtung Da¬
vids die Kunst beherrschte, schien es, wie wenn er in der Stille und unbe¬
merkt von der Welt nur seinen Studien lebte. Als nun unter der Restauration
die classische Kunst immer mehr herunter kam, erwartete man von ihren Nach¬
folgern den kühnen Neuerungen gegenüber um so mehr ein entschiedenes Fest¬
halten an dem Vorbilde des Meisters. Allein in den Bildern von Ingres
zeigte sich innerhalb der idealen Richtung eine ganz neue Anschauungsweise;
zwischen den Gegensätzen sah die Kritik ein Neues entstehen, und da sie es
nicht begriff, blieb ihr nur die Entrüstung über diesen Abfall übrig. In der
Odaliske --, schon das Motiv erschien als ein Verbrechen gegen die patheti¬
sche Größe der classischen Schule, -- zeigte sich ein Zurückgehen auf die ein¬
fache Schönheit und Fülle der Natur, welche in der Erscheinung ruhig sich
selbst genießt und die classische Linie frei und spielend bald einhült, bald, über¬
schreitet. In den schönen Gestalten der Angelika und des Rüdiger war
etwas von dem bisher ungekannten Zauber und Reiz der romantischen Phan¬
tasie, und auch hier verband sich damit der Schwung einer mehr natürlichen
Bewegung. Auch jetzt noch zieht den Beschauer die einfache Anmuth der an
den Felsen geketteten nackten Angelika, die ganz eigenthümliche holde Haltung
ihres Körpers an, während in dem kräftigen, aber maßvollen Schwung des
vom Drachen getragenen Rüdiger ein wirkungsvolles und doch mährchenhaf-
tes Leben ist. Dazu fügt die meisterhafte Behandlung der menschlichen Form
einen besonderen Reiz. Aber Eines konnte die Kritik mit Recht aussetzen, und
dies lag. wenn es ihr auch nicht zum klaren Bewußtsein kam, zum Theil
ihrem scharfen Urtheil zu Grunde. Der Maler hatte dem Ideal die natürliche
Fülle des Lebens zu geben gesucht, und doch fehlte noch dazu ein wesentliches
Element: dre Wärme und Tiefe des Kolorits, der Schimmer und die Gluth
der Farbe, die allein den Dingen den letzten vollends beseelenden Schein
der Wirklichkeit geben.

Diese Werke Ingres' kamen Allen unerwartet. Nur allmälig und lang¬
sam hatte derselbe, unbeirrt von den. früheren Anleitungen seinen eigenen
Weg gehend, sein Talent ausgebildet. Mühsam rückte er vorwärts, unbe¬
kümmert um die Bestrebungen der Gegenwart und deshalb unbeachtet. Er
hatte sich als festes Ziel die echte, wahre Kunst gesetzt, und dieses behielt er
unverwandt im Auge, wenn er auch,von der Zeitströmung nicht getragen, von
keiner Seite aufgemuntert, einen langen und schweren Weg vor sich sah. Das
antike Ideal genügte ihm nicht, und die bloße ungebildete Natur stieß ihn ab.


Galerie des Luxemburg) von Ingres (Jean Auguste Dominique, geboren
1780), Als der junge Künstler im Jahre 180K, nachdem er mit einem ganz
in der Weise Davids gehaltenen Bilde schon 1801 den ersten Preis erhalten, nach
Rom zog, begleiteten ihn die Hoffnungen der Schule. In der langen Zwi¬
schenzeit wen wenig von ihm bekannt geworden; so lange die Richtung Da¬
vids die Kunst beherrschte, schien es, wie wenn er in der Stille und unbe¬
merkt von der Welt nur seinen Studien lebte. Als nun unter der Restauration
die classische Kunst immer mehr herunter kam, erwartete man von ihren Nach¬
folgern den kühnen Neuerungen gegenüber um so mehr ein entschiedenes Fest¬
halten an dem Vorbilde des Meisters. Allein in den Bildern von Ingres
zeigte sich innerhalb der idealen Richtung eine ganz neue Anschauungsweise;
zwischen den Gegensätzen sah die Kritik ein Neues entstehen, und da sie es
nicht begriff, blieb ihr nur die Entrüstung über diesen Abfall übrig. In der
Odaliske —, schon das Motiv erschien als ein Verbrechen gegen die patheti¬
sche Größe der classischen Schule, — zeigte sich ein Zurückgehen auf die ein¬
fache Schönheit und Fülle der Natur, welche in der Erscheinung ruhig sich
selbst genießt und die classische Linie frei und spielend bald einhült, bald, über¬
schreitet. In den schönen Gestalten der Angelika und des Rüdiger war
etwas von dem bisher ungekannten Zauber und Reiz der romantischen Phan¬
tasie, und auch hier verband sich damit der Schwung einer mehr natürlichen
Bewegung. Auch jetzt noch zieht den Beschauer die einfache Anmuth der an
den Felsen geketteten nackten Angelika, die ganz eigenthümliche holde Haltung
ihres Körpers an, während in dem kräftigen, aber maßvollen Schwung des
vom Drachen getragenen Rüdiger ein wirkungsvolles und doch mährchenhaf-
tes Leben ist. Dazu fügt die meisterhafte Behandlung der menschlichen Form
einen besonderen Reiz. Aber Eines konnte die Kritik mit Recht aussetzen, und
dies lag. wenn es ihr auch nicht zum klaren Bewußtsein kam, zum Theil
ihrem scharfen Urtheil zu Grunde. Der Maler hatte dem Ideal die natürliche
Fülle des Lebens zu geben gesucht, und doch fehlte noch dazu ein wesentliches
Element: dre Wärme und Tiefe des Kolorits, der Schimmer und die Gluth
der Farbe, die allein den Dingen den letzten vollends beseelenden Schein
der Wirklichkeit geben.

Diese Werke Ingres' kamen Allen unerwartet. Nur allmälig und lang¬
sam hatte derselbe, unbeirrt von den. früheren Anleitungen seinen eigenen
Weg gehend, sein Talent ausgebildet. Mühsam rückte er vorwärts, unbe¬
kümmert um die Bestrebungen der Gegenwart und deshalb unbeachtet. Er
hatte sich als festes Ziel die echte, wahre Kunst gesetzt, und dieses behielt er
unverwandt im Auge, wenn er auch,von der Zeitströmung nicht getragen, von
keiner Seite aufgemuntert, einen langen und schweren Weg vor sich sah. Das
antike Ideal genügte ihm nicht, und die bloße ungebildete Natur stieß ihn ab.


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[0044] Galerie des Luxemburg) von Ingres (Jean Auguste Dominique, geboren 1780), Als der junge Künstler im Jahre 180K, nachdem er mit einem ganz in der Weise Davids gehaltenen Bilde schon 1801 den ersten Preis erhalten, nach Rom zog, begleiteten ihn die Hoffnungen der Schule. In der langen Zwi¬ schenzeit wen wenig von ihm bekannt geworden; so lange die Richtung Da¬ vids die Kunst beherrschte, schien es, wie wenn er in der Stille und unbe¬ merkt von der Welt nur seinen Studien lebte. Als nun unter der Restauration die classische Kunst immer mehr herunter kam, erwartete man von ihren Nach¬ folgern den kühnen Neuerungen gegenüber um so mehr ein entschiedenes Fest¬ halten an dem Vorbilde des Meisters. Allein in den Bildern von Ingres zeigte sich innerhalb der idealen Richtung eine ganz neue Anschauungsweise; zwischen den Gegensätzen sah die Kritik ein Neues entstehen, und da sie es nicht begriff, blieb ihr nur die Entrüstung über diesen Abfall übrig. In der Odaliske —, schon das Motiv erschien als ein Verbrechen gegen die patheti¬ sche Größe der classischen Schule, — zeigte sich ein Zurückgehen auf die ein¬ fache Schönheit und Fülle der Natur, welche in der Erscheinung ruhig sich selbst genießt und die classische Linie frei und spielend bald einhült, bald, über¬ schreitet. In den schönen Gestalten der Angelika und des Rüdiger war etwas von dem bisher ungekannten Zauber und Reiz der romantischen Phan¬ tasie, und auch hier verband sich damit der Schwung einer mehr natürlichen Bewegung. Auch jetzt noch zieht den Beschauer die einfache Anmuth der an den Felsen geketteten nackten Angelika, die ganz eigenthümliche holde Haltung ihres Körpers an, während in dem kräftigen, aber maßvollen Schwung des vom Drachen getragenen Rüdiger ein wirkungsvolles und doch mährchenhaf- tes Leben ist. Dazu fügt die meisterhafte Behandlung der menschlichen Form einen besonderen Reiz. Aber Eines konnte die Kritik mit Recht aussetzen, und dies lag. wenn es ihr auch nicht zum klaren Bewußtsein kam, zum Theil ihrem scharfen Urtheil zu Grunde. Der Maler hatte dem Ideal die natürliche Fülle des Lebens zu geben gesucht, und doch fehlte noch dazu ein wesentliches Element: dre Wärme und Tiefe des Kolorits, der Schimmer und die Gluth der Farbe, die allein den Dingen den letzten vollends beseelenden Schein der Wirklichkeit geben. Diese Werke Ingres' kamen Allen unerwartet. Nur allmälig und lang¬ sam hatte derselbe, unbeirrt von den. früheren Anleitungen seinen eigenen Weg gehend, sein Talent ausgebildet. Mühsam rückte er vorwärts, unbe¬ kümmert um die Bestrebungen der Gegenwart und deshalb unbeachtet. Er hatte sich als festes Ziel die echte, wahre Kunst gesetzt, und dieses behielt er unverwandt im Auge, wenn er auch,von der Zeitströmung nicht getragen, von keiner Seite aufgemuntert, einen langen und schweren Weg vor sich sah. Das antike Ideal genügte ihm nicht, und die bloße ungebildete Natur stieß ihn ab.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/44>, abgerufen am 23.07.2024.