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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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Dieser Sieur Laperte gehörte unzweifelhaft zu der Schule des franzö¬
sischen Dichters Lainez, der 1710 zu Paris das Zeitliche gesegnete, und von
dessen^ erstaunlicher Verdauungskraft die folgende Geschichte im Umlauf ist:
"Eines Tages, nachdem er zwischen fünf und sechs Stunden eifrig mit Mes-
^ und Gabel gearbeitet, erhob er sich und ließ sich nach kurzem Verschnau-
fen wieder a^ s^wen Stuhl nieder, um sich zu einem neuen Conflict bereit
zu machen. Haben Ale noch nicht duurt? fragte ein Freund. -- Glauben
Sie, mein Magen hat ein Gedächtniß? war die Gegenfrage, mit der er sich
wieder an's Geschäft begab."

Andere Beispiele merkwürdiger Austernfreunde werde ich mittheilen, wenn
wir einen Blick auf die Geschichte des Ostracismus werfen, versteht sich des
menschenfreundlichen, wie ihn unser Hamburger Philosoph lehrt.

Das dritte Gebot für den geläuterten und erleuchteten Austermesser, wel¬
ches ihm die rechten Flüssigkeiten vorschreibt, mit denen er seine Freundin zu
befeuchten hat, zerfällt eigentlich in zwei, die sich in die sprichwörtliche Redens¬
art'zusammenfassen: er muß wissen, wer Koch und wer Kellner ist. Deut¬
licher ausgedrückt, lautet die Regel: 1) die Auster muß mit ihrem Wasser ser-
virt und genossen werden, und es gehört in ihre Schaale durchaus nichts
Anderes; 2) zur Begleitung ist leichter weißer Wein zu wählen.

g,ü 1) In England streut man Pfeffer auf die zum Genuß vereitgehaltne
Auster, in Holland tröpfeln sie Essig darauf, in Deutschland Citronensaft.
Sämmtliche drei Methoden sind Barbarei. Der Kenner weiß, daß damit das
Bouquet des holden Thieres zerstört wird, weiß, daß die nächste Flüssigkeit,
mit der er e's zu verspeisen hat, gerade jenes Wasser ist, welches die Barbaren
Wegschütten, um es durch Unnatur zu ersetzen. Die Meinung, daß diese
tastbare Flüssigkeit Seewasser sei. ist ein bedauerlicher Irrthum; sie ist viel¬
mehr das klare Blut der Auster selbst, welches sie vergießt, wenn sie bei ge-
waltsamen Aufbruch ihrer Schalen verletzt wird. Wäre es Meerwasser, so
würde es einen widerlich bittern Geschmack haben und Uebelreit erregen, es
wirkt aber nur angenehm auf die Zunge und Verdauung befördernd aufM>r
Margen, und so darf man es nicht nur nicht ausgießen, sondern muß alt
äußerster Sorgfalt beim Oeffnen der Auster'darauf sehen, daß es bis auf den
Tropfen erhalten' bleibt.

g.ä 2) Die passenden Begleiter eines Austernmahles sind zunächst alle
Achter und die Verdauung nicht erschwerenden Weine, namentlich Chablis,
'Äauterne.'Moselblümchen, ferner: Champagner und ein oder der andere leichte
Rheinwein. Rothe Sorten sind zu meiden, Madeira oder Xeres nur im Noth-
all zu nehmen. Ein gutes Glas'Porter oder Ale kann nichts verderben; be¬
sonders anmuthig'schmeckt zu Austern die Vermählung der beiden-Flüssigkei¬
ten, die wan',M5 MäMIk" nennt. Einige nordische Ostracisten.-.wollen


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Dieser Sieur Laperte gehörte unzweifelhaft zu der Schule des franzö¬
sischen Dichters Lainez, der 1710 zu Paris das Zeitliche gesegnete, und von
dessen^ erstaunlicher Verdauungskraft die folgende Geschichte im Umlauf ist:
„Eines Tages, nachdem er zwischen fünf und sechs Stunden eifrig mit Mes-
^ und Gabel gearbeitet, erhob er sich und ließ sich nach kurzem Verschnau-
fen wieder a^ s^wen Stuhl nieder, um sich zu einem neuen Conflict bereit
zu machen. Haben Ale noch nicht duurt? fragte ein Freund. — Glauben
Sie, mein Magen hat ein Gedächtniß? war die Gegenfrage, mit der er sich
wieder an's Geschäft begab."

Andere Beispiele merkwürdiger Austernfreunde werde ich mittheilen, wenn
wir einen Blick auf die Geschichte des Ostracismus werfen, versteht sich des
menschenfreundlichen, wie ihn unser Hamburger Philosoph lehrt.

Das dritte Gebot für den geläuterten und erleuchteten Austermesser, wel¬
ches ihm die rechten Flüssigkeiten vorschreibt, mit denen er seine Freundin zu
befeuchten hat, zerfällt eigentlich in zwei, die sich in die sprichwörtliche Redens¬
art'zusammenfassen: er muß wissen, wer Koch und wer Kellner ist. Deut¬
licher ausgedrückt, lautet die Regel: 1) die Auster muß mit ihrem Wasser ser-
virt und genossen werden, und es gehört in ihre Schaale durchaus nichts
Anderes; 2) zur Begleitung ist leichter weißer Wein zu wählen.

g,ü 1) In England streut man Pfeffer auf die zum Genuß vereitgehaltne
Auster, in Holland tröpfeln sie Essig darauf, in Deutschland Citronensaft.
Sämmtliche drei Methoden sind Barbarei. Der Kenner weiß, daß damit das
Bouquet des holden Thieres zerstört wird, weiß, daß die nächste Flüssigkeit,
mit der er e's zu verspeisen hat, gerade jenes Wasser ist, welches die Barbaren
Wegschütten, um es durch Unnatur zu ersetzen. Die Meinung, daß diese
tastbare Flüssigkeit Seewasser sei. ist ein bedauerlicher Irrthum; sie ist viel¬
mehr das klare Blut der Auster selbst, welches sie vergießt, wenn sie bei ge-
waltsamen Aufbruch ihrer Schalen verletzt wird. Wäre es Meerwasser, so
würde es einen widerlich bittern Geschmack haben und Uebelreit erregen, es
wirkt aber nur angenehm auf die Zunge und Verdauung befördernd aufM>r
Margen, und so darf man es nicht nur nicht ausgießen, sondern muß alt
äußerster Sorgfalt beim Oeffnen der Auster'darauf sehen, daß es bis auf den
Tropfen erhalten' bleibt.

g.ä 2) Die passenden Begleiter eines Austernmahles sind zunächst alle
Achter und die Verdauung nicht erschwerenden Weine, namentlich Chablis,
'Äauterne.'Moselblümchen, ferner: Champagner und ein oder der andere leichte
Rheinwein. Rothe Sorten sind zu meiden, Madeira oder Xeres nur im Noth-
all zu nehmen. Ein gutes Glas'Porter oder Ale kann nichts verderben; be¬
sonders anmuthig'schmeckt zu Austern die Vermählung der beiden-Flüssigkei¬
ten, die wan',M5 MäMIk" nennt. Einige nordische Ostracisten.-.wollen


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[0429] Dieser Sieur Laperte gehörte unzweifelhaft zu der Schule des franzö¬ sischen Dichters Lainez, der 1710 zu Paris das Zeitliche gesegnete, und von dessen^ erstaunlicher Verdauungskraft die folgende Geschichte im Umlauf ist: „Eines Tages, nachdem er zwischen fünf und sechs Stunden eifrig mit Mes- ^ und Gabel gearbeitet, erhob er sich und ließ sich nach kurzem Verschnau- fen wieder a^ s^wen Stuhl nieder, um sich zu einem neuen Conflict bereit zu machen. Haben Ale noch nicht duurt? fragte ein Freund. — Glauben Sie, mein Magen hat ein Gedächtniß? war die Gegenfrage, mit der er sich wieder an's Geschäft begab." Andere Beispiele merkwürdiger Austernfreunde werde ich mittheilen, wenn wir einen Blick auf die Geschichte des Ostracismus werfen, versteht sich des menschenfreundlichen, wie ihn unser Hamburger Philosoph lehrt. Das dritte Gebot für den geläuterten und erleuchteten Austermesser, wel¬ ches ihm die rechten Flüssigkeiten vorschreibt, mit denen er seine Freundin zu befeuchten hat, zerfällt eigentlich in zwei, die sich in die sprichwörtliche Redens¬ art'zusammenfassen: er muß wissen, wer Koch und wer Kellner ist. Deut¬ licher ausgedrückt, lautet die Regel: 1) die Auster muß mit ihrem Wasser ser- virt und genossen werden, und es gehört in ihre Schaale durchaus nichts Anderes; 2) zur Begleitung ist leichter weißer Wein zu wählen. g,ü 1) In England streut man Pfeffer auf die zum Genuß vereitgehaltne Auster, in Holland tröpfeln sie Essig darauf, in Deutschland Citronensaft. Sämmtliche drei Methoden sind Barbarei. Der Kenner weiß, daß damit das Bouquet des holden Thieres zerstört wird, weiß, daß die nächste Flüssigkeit, mit der er e's zu verspeisen hat, gerade jenes Wasser ist, welches die Barbaren Wegschütten, um es durch Unnatur zu ersetzen. Die Meinung, daß diese tastbare Flüssigkeit Seewasser sei. ist ein bedauerlicher Irrthum; sie ist viel¬ mehr das klare Blut der Auster selbst, welches sie vergießt, wenn sie bei ge- waltsamen Aufbruch ihrer Schalen verletzt wird. Wäre es Meerwasser, so würde es einen widerlich bittern Geschmack haben und Uebelreit erregen, es wirkt aber nur angenehm auf die Zunge und Verdauung befördernd aufM>r Margen, und so darf man es nicht nur nicht ausgießen, sondern muß alt äußerster Sorgfalt beim Oeffnen der Auster'darauf sehen, daß es bis auf den Tropfen erhalten' bleibt. g.ä 2) Die passenden Begleiter eines Austernmahles sind zunächst alle Achter und die Verdauung nicht erschwerenden Weine, namentlich Chablis, 'Äauterne.'Moselblümchen, ferner: Champagner und ein oder der andere leichte Rheinwein. Rothe Sorten sind zu meiden, Madeira oder Xeres nur im Noth- all zu nehmen. Ein gutes Glas'Porter oder Ale kann nichts verderben; be¬ sonders anmuthig'schmeckt zu Austern die Vermählung der beiden-Flüssigkei¬ ten, die wan',M5 MäMIk" nennt. Einige nordische Ostracisten.-.wollen 53*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/429>, abgerufen am 23.07.2024.