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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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Uebrigen gehen die Meinungen der Ostracisten weit auseinander. Einer ihrer
berühmtesten Lehrer, Gruob Ve tot Reyniöre sagt: "Es ist durch Erfahrung
erwiesen, daß Austern nach dem fünften oder sechsten Dutzend aufhören ein
Vergnügen zu fein." Unser Hamburger Freund stimmte im Wesentlichen!! da¬
mit überein, meinte indeß unter Umständen auch bis zu eilten siebenten gehen
zu können und erachtete dieses und selbst ein achtes sogar für geboten, wenn
ärgerliche politische Ereignisse eine starke Beruhigung und Läuterung des Ge¬
müths durch Austernblut oder, wie wir nach seiner Auffassung der Suche
sagen müssen, durch Austerngeist erforderten. Bei der Wiederherstellung des
Bundestages hatte er -- damals noch jung und "unveraustert," wie^ eos" aus¬
drückte erst nach dem neunten Dutzend die volle Wirkung seiner Universal-
meinem empfunden.

Ganz anders äußert sich Brillat-Savarin, der große UtheM det MMo-
Ivgie nu vont" über die Sache. Er bemerkt ersten-s: ,,Es war früher wohl-
bekannt, daß ein Gastmahl von einigen Prätensionen gewöhnlich mit''Austern
begann, und daß es Epicutäer gab, die nicht eher nachließen, als bis sie
ein Gros, mit andern Worten zwölf Dutzend zu sich'genommen hatten.- Da
ich zu wissen wünschte, wieviel eine solche Avantgarde eines! Dejeuner an
Gewicht habe, untersuchte ichs' mit der Wage und gelangte zu der Thatsache,
Vaß ein Dutzend Austern mit Einschluß des Wassers vier Unzen wiegt, was
sür zwölf Dutzend grade drei Pfund gibt. Nun aber sehe ich als ausgemacht
An. daß diese Herren, welche nach den Austern nicht im Mindesten weniger
herzhaft dinirten, sich schwerer UeberfüÜNng bewußt gewesen wären, wenn sie her-et
jener drei Pfund Mollusken drei Pfund Rind-, Kalb- oder auch nur Hühner¬
fleisch gegessen gehabt." Brillat-Savarin läßt dieser wissenschaftlichen Erör¬
terung die nachstehende Anekdote folgen: "Im Jahre 1793 war ich' in Ver¬
sailles und hatte hier häufig, Umgang mit dem Sieur Laperte, Registrator
beim Tribunal des Departements. Er war ein Liebhaber von Austern und
beklagte sich, davon nie genug gegessen oder, wie er sagte, niemals seine
ganze Füllung gehabt zu haben. Ich beschloß, ihm diese Genugthuung zu
verschaffen und bat ihn für den nächsten Tag mein Gast zu sein. Er kam,
und ich leistete ihm Gesellschaft bis zum dreizehnten Dutzend, das heißt, länger
als eine Stunde; denn unser Austernöffner war nicht sehr gewandt. Weiter¬
hin blieb ich unthätig, und da es außerordentlich peinlich ist, bei Tisch zu
sitzen ohne zu essen, so gebot ich meinem Gaste in voller Arbeit Halt. ^ Mein
lieber Herr, sagte ich, es ist mir sehr schmerzlich, aber ich sehe schon, es ist
Ihnen nicht beschicken, heute Ihre ganze Füllung von Austern zu haben.
Lassen Sie uns zum Diner schreiten. Wir dinirten, und er bethätigte dabei
alle Energie und Ausdauer eines Menschen, der sich nach langem Fasten wie-
dn zu Tische gesetzt hat." --'


Uebrigen gehen die Meinungen der Ostracisten weit auseinander. Einer ihrer
berühmtesten Lehrer, Gruob Ve tot Reyniöre sagt: „Es ist durch Erfahrung
erwiesen, daß Austern nach dem fünften oder sechsten Dutzend aufhören ein
Vergnügen zu fein." Unser Hamburger Freund stimmte im Wesentlichen!! da¬
mit überein, meinte indeß unter Umständen auch bis zu eilten siebenten gehen
zu können und erachtete dieses und selbst ein achtes sogar für geboten, wenn
ärgerliche politische Ereignisse eine starke Beruhigung und Läuterung des Ge¬
müths durch Austernblut oder, wie wir nach seiner Auffassung der Suche
sagen müssen, durch Austerngeist erforderten. Bei der Wiederherstellung des
Bundestages hatte er — damals noch jung und „unveraustert," wie^ eos» aus¬
drückte erst nach dem neunten Dutzend die volle Wirkung seiner Universal-
meinem empfunden.

Ganz anders äußert sich Brillat-Savarin, der große UtheM det MMo-
Ivgie nu vont" über die Sache. Er bemerkt ersten-s: ,,Es war früher wohl-
bekannt, daß ein Gastmahl von einigen Prätensionen gewöhnlich mit''Austern
begann, und daß es Epicutäer gab, die nicht eher nachließen, als bis sie
ein Gros, mit andern Worten zwölf Dutzend zu sich'genommen hatten.- Da
ich zu wissen wünschte, wieviel eine solche Avantgarde eines! Dejeuner an
Gewicht habe, untersuchte ichs' mit der Wage und gelangte zu der Thatsache,
Vaß ein Dutzend Austern mit Einschluß des Wassers vier Unzen wiegt, was
sür zwölf Dutzend grade drei Pfund gibt. Nun aber sehe ich als ausgemacht
An. daß diese Herren, welche nach den Austern nicht im Mindesten weniger
herzhaft dinirten, sich schwerer UeberfüÜNng bewußt gewesen wären, wenn sie her-et
jener drei Pfund Mollusken drei Pfund Rind-, Kalb- oder auch nur Hühner¬
fleisch gegessen gehabt." Brillat-Savarin läßt dieser wissenschaftlichen Erör¬
terung die nachstehende Anekdote folgen: „Im Jahre 1793 war ich' in Ver¬
sailles und hatte hier häufig, Umgang mit dem Sieur Laperte, Registrator
beim Tribunal des Departements. Er war ein Liebhaber von Austern und
beklagte sich, davon nie genug gegessen oder, wie er sagte, niemals seine
ganze Füllung gehabt zu haben. Ich beschloß, ihm diese Genugthuung zu
verschaffen und bat ihn für den nächsten Tag mein Gast zu sein. Er kam,
und ich leistete ihm Gesellschaft bis zum dreizehnten Dutzend, das heißt, länger
als eine Stunde; denn unser Austernöffner war nicht sehr gewandt. Weiter¬
hin blieb ich unthätig, und da es außerordentlich peinlich ist, bei Tisch zu
sitzen ohne zu essen, so gebot ich meinem Gaste in voller Arbeit Halt. ^ Mein
lieber Herr, sagte ich, es ist mir sehr schmerzlich, aber ich sehe schon, es ist
Ihnen nicht beschicken, heute Ihre ganze Füllung von Austern zu haben.
Lassen Sie uns zum Diner schreiten. Wir dinirten, und er bethätigte dabei
alle Energie und Ausdauer eines Menschen, der sich nach langem Fasten wie-
dn zu Tische gesetzt hat." —'


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[0428] Uebrigen gehen die Meinungen der Ostracisten weit auseinander. Einer ihrer berühmtesten Lehrer, Gruob Ve tot Reyniöre sagt: „Es ist durch Erfahrung erwiesen, daß Austern nach dem fünften oder sechsten Dutzend aufhören ein Vergnügen zu fein." Unser Hamburger Freund stimmte im Wesentlichen!! da¬ mit überein, meinte indeß unter Umständen auch bis zu eilten siebenten gehen zu können und erachtete dieses und selbst ein achtes sogar für geboten, wenn ärgerliche politische Ereignisse eine starke Beruhigung und Läuterung des Ge¬ müths durch Austernblut oder, wie wir nach seiner Auffassung der Suche sagen müssen, durch Austerngeist erforderten. Bei der Wiederherstellung des Bundestages hatte er — damals noch jung und „unveraustert," wie^ eos» aus¬ drückte erst nach dem neunten Dutzend die volle Wirkung seiner Universal- meinem empfunden. Ganz anders äußert sich Brillat-Savarin, der große UtheM det MMo- Ivgie nu vont" über die Sache. Er bemerkt ersten-s: ,,Es war früher wohl- bekannt, daß ein Gastmahl von einigen Prätensionen gewöhnlich mit''Austern begann, und daß es Epicutäer gab, die nicht eher nachließen, als bis sie ein Gros, mit andern Worten zwölf Dutzend zu sich'genommen hatten.- Da ich zu wissen wünschte, wieviel eine solche Avantgarde eines! Dejeuner an Gewicht habe, untersuchte ichs' mit der Wage und gelangte zu der Thatsache, Vaß ein Dutzend Austern mit Einschluß des Wassers vier Unzen wiegt, was sür zwölf Dutzend grade drei Pfund gibt. Nun aber sehe ich als ausgemacht An. daß diese Herren, welche nach den Austern nicht im Mindesten weniger herzhaft dinirten, sich schwerer UeberfüÜNng bewußt gewesen wären, wenn sie her-et jener drei Pfund Mollusken drei Pfund Rind-, Kalb- oder auch nur Hühner¬ fleisch gegessen gehabt." Brillat-Savarin läßt dieser wissenschaftlichen Erör¬ terung die nachstehende Anekdote folgen: „Im Jahre 1793 war ich' in Ver¬ sailles und hatte hier häufig, Umgang mit dem Sieur Laperte, Registrator beim Tribunal des Departements. Er war ein Liebhaber von Austern und beklagte sich, davon nie genug gegessen oder, wie er sagte, niemals seine ganze Füllung gehabt zu haben. Ich beschloß, ihm diese Genugthuung zu verschaffen und bat ihn für den nächsten Tag mein Gast zu sein. Er kam, und ich leistete ihm Gesellschaft bis zum dreizehnten Dutzend, das heißt, länger als eine Stunde; denn unser Austernöffner war nicht sehr gewandt. Weiter¬ hin blieb ich unthätig, und da es außerordentlich peinlich ist, bei Tisch zu sitzen ohne zu essen, so gebot ich meinem Gaste in voller Arbeit Halt. ^ Mein lieber Herr, sagte ich, es ist mir sehr schmerzlich, aber ich sehe schon, es ist Ihnen nicht beschicken, heute Ihre ganze Füllung von Austern zu haben. Lassen Sie uns zum Diner schreiten. Wir dinirten, und er bethätigte dabei alle Energie und Ausdauer eines Menschen, der sich nach langem Fasten wie- dn zu Tische gesetzt hat." —'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/428>, abgerufen am 23.07.2024.