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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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kommenste Austermesser ist. den ich kenne, und daß er als solcher zugleich ist, was
er ißt. Wie der Gegenstand seiner Neigung lebt er ehelos und einsam einem
einförmigen Beruf. Wie dieser fühlt, empfindet, denkt er seit Jahren schon
statt mit dem Kopf mit dem Magen. Wie die Auster bewegt er sich nur
durch äußere Veranlassung getrieben, gelegentlich von dem Orte weg, den er
innehat. Wie sein Urbild ist er den Sommer hindurch mager und ungenie߬
bar'/ ja bisweilen sast giftig. Im Herbst erst, das heißt mit den ersten
Austern, wacht sein innerer Mensch auf, er wird liebenswürdig rund und voll,
seine Muße zu Muse, sein in den Monaten ohne R wie in Austerschalen ein¬
geklappter Witz Jedem zugänglich, der zulangen will und sein Thema nicht
mißachtet, welches sich natürlich immer mehr oder minder auf Austern bezieht.
Politik, Vaterland. Literatur, Musik, schöne Natur, Religion -- lassen wir
das, Freund, essen wir Austern! Die einzige Leidenschaft, die er außer dieser
kennt, ist die für das Chinesische, und Dies könnte nach dem, was wir jetzt
von ihm wissen, verwundern. Indeß mag ers deshalb liebgewonnen haben,
weil.China brsher wie eine große Ungeöffnete Auster neben dem Strom der
Weltgeschichte vegetirte, vielleicht auch, weil er in Hamburg der einzige war,
der die Sprache dieses Austernvolkö trieb und weil er sich damit in der Stadt
so einsam befand wie die Auster in ihrer Schale.

"Man pflegt die Menschen", so ließ sich unser Philosoph an jenem
Abend zwischen dem zweiten und dritten Dutzend vernehmen, "nach verschie¬
denen Gesichtspunkten einzutheilen: in solche, die gar keinen Charakter, solche
die einen guten, und solche, die einen bösen haben, ferner in solche, die
gar keine Musikanten, solche, die schlechte, und solche die gute Musikanten sind,
u. s. w. Sie werden es Fanatismus nennen, wenn ich eine andere Unter¬
scheidungvorziehe, die nämlich in Menschen, die keine Austern essen, Menschen,
die deren gelegentlich zu sich nehmen, und.Menschen, die sie mit gebührender
Würde, mit Hingebung und in wissenschaftlichem Geist genießen. Sie werden
vermuthlich noch mehr verwundert sein, wenn ich daran moralische Fol¬
gerungen knüpfen zu dürfen glaube. Aber hören Sie mich aus."

Er schlürfte einen Schluck Chablis und fuhr fort: "An die Spitze meiner
Rede stelle ich den Satz, daß die Welt gut ist, soweit sie Austern ißt, und
daß sie desto besser ist, je häufiger sie davon genießt und je mehr sie sich von
dem Wesen derselben durchdringen läßt. Alle Uebel, an denen wir Sterblichen
kranken, schreiben sich von der Nichtbeachtung dieser Regel her. Sie stammen
ohne Ausnahme entwedet aus der Leidenschaft oder einem schlechten Magen,
und gegen beides ist uns von der Güte der Vorsehung im Austerngennß die
Universalmedicin verliehen.'

Betrachten wir zuvörderst die Leidenschaft: Habgier, Ehrgeiz, Eifersucht
u. s. w. Sie kennen Robert Burns, und Sie kennen unsre neuesten Natur-


kommenste Austermesser ist. den ich kenne, und daß er als solcher zugleich ist, was
er ißt. Wie der Gegenstand seiner Neigung lebt er ehelos und einsam einem
einförmigen Beruf. Wie dieser fühlt, empfindet, denkt er seit Jahren schon
statt mit dem Kopf mit dem Magen. Wie die Auster bewegt er sich nur
durch äußere Veranlassung getrieben, gelegentlich von dem Orte weg, den er
innehat. Wie sein Urbild ist er den Sommer hindurch mager und ungenie߬
bar'/ ja bisweilen sast giftig. Im Herbst erst, das heißt mit den ersten
Austern, wacht sein innerer Mensch auf, er wird liebenswürdig rund und voll,
seine Muße zu Muse, sein in den Monaten ohne R wie in Austerschalen ein¬
geklappter Witz Jedem zugänglich, der zulangen will und sein Thema nicht
mißachtet, welches sich natürlich immer mehr oder minder auf Austern bezieht.
Politik, Vaterland. Literatur, Musik, schöne Natur, Religion — lassen wir
das, Freund, essen wir Austern! Die einzige Leidenschaft, die er außer dieser
kennt, ist die für das Chinesische, und Dies könnte nach dem, was wir jetzt
von ihm wissen, verwundern. Indeß mag ers deshalb liebgewonnen haben,
weil.China brsher wie eine große Ungeöffnete Auster neben dem Strom der
Weltgeschichte vegetirte, vielleicht auch, weil er in Hamburg der einzige war,
der die Sprache dieses Austernvolkö trieb und weil er sich damit in der Stadt
so einsam befand wie die Auster in ihrer Schale.

„Man pflegt die Menschen", so ließ sich unser Philosoph an jenem
Abend zwischen dem zweiten und dritten Dutzend vernehmen, „nach verschie¬
denen Gesichtspunkten einzutheilen: in solche, die gar keinen Charakter, solche
die einen guten, und solche, die einen bösen haben, ferner in solche, die
gar keine Musikanten, solche, die schlechte, und solche die gute Musikanten sind,
u. s. w. Sie werden es Fanatismus nennen, wenn ich eine andere Unter¬
scheidungvorziehe, die nämlich in Menschen, die keine Austern essen, Menschen,
die deren gelegentlich zu sich nehmen, und.Menschen, die sie mit gebührender
Würde, mit Hingebung und in wissenschaftlichem Geist genießen. Sie werden
vermuthlich noch mehr verwundert sein, wenn ich daran moralische Fol¬
gerungen knüpfen zu dürfen glaube. Aber hören Sie mich aus."

Er schlürfte einen Schluck Chablis und fuhr fort: „An die Spitze meiner
Rede stelle ich den Satz, daß die Welt gut ist, soweit sie Austern ißt, und
daß sie desto besser ist, je häufiger sie davon genießt und je mehr sie sich von
dem Wesen derselben durchdringen läßt. Alle Uebel, an denen wir Sterblichen
kranken, schreiben sich von der Nichtbeachtung dieser Regel her. Sie stammen
ohne Ausnahme entwedet aus der Leidenschaft oder einem schlechten Magen,
und gegen beides ist uns von der Güte der Vorsehung im Austerngennß die
Universalmedicin verliehen.'

Betrachten wir zuvörderst die Leidenschaft: Habgier, Ehrgeiz, Eifersucht
u. s. w. Sie kennen Robert Burns, und Sie kennen unsre neuesten Natur-


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[0417] kommenste Austermesser ist. den ich kenne, und daß er als solcher zugleich ist, was er ißt. Wie der Gegenstand seiner Neigung lebt er ehelos und einsam einem einförmigen Beruf. Wie dieser fühlt, empfindet, denkt er seit Jahren schon statt mit dem Kopf mit dem Magen. Wie die Auster bewegt er sich nur durch äußere Veranlassung getrieben, gelegentlich von dem Orte weg, den er innehat. Wie sein Urbild ist er den Sommer hindurch mager und ungenie߬ bar'/ ja bisweilen sast giftig. Im Herbst erst, das heißt mit den ersten Austern, wacht sein innerer Mensch auf, er wird liebenswürdig rund und voll, seine Muße zu Muse, sein in den Monaten ohne R wie in Austerschalen ein¬ geklappter Witz Jedem zugänglich, der zulangen will und sein Thema nicht mißachtet, welches sich natürlich immer mehr oder minder auf Austern bezieht. Politik, Vaterland. Literatur, Musik, schöne Natur, Religion — lassen wir das, Freund, essen wir Austern! Die einzige Leidenschaft, die er außer dieser kennt, ist die für das Chinesische, und Dies könnte nach dem, was wir jetzt von ihm wissen, verwundern. Indeß mag ers deshalb liebgewonnen haben, weil.China brsher wie eine große Ungeöffnete Auster neben dem Strom der Weltgeschichte vegetirte, vielleicht auch, weil er in Hamburg der einzige war, der die Sprache dieses Austernvolkö trieb und weil er sich damit in der Stadt so einsam befand wie die Auster in ihrer Schale. „Man pflegt die Menschen", so ließ sich unser Philosoph an jenem Abend zwischen dem zweiten und dritten Dutzend vernehmen, „nach verschie¬ denen Gesichtspunkten einzutheilen: in solche, die gar keinen Charakter, solche die einen guten, und solche, die einen bösen haben, ferner in solche, die gar keine Musikanten, solche, die schlechte, und solche die gute Musikanten sind, u. s. w. Sie werden es Fanatismus nennen, wenn ich eine andere Unter¬ scheidungvorziehe, die nämlich in Menschen, die keine Austern essen, Menschen, die deren gelegentlich zu sich nehmen, und.Menschen, die sie mit gebührender Würde, mit Hingebung und in wissenschaftlichem Geist genießen. Sie werden vermuthlich noch mehr verwundert sein, wenn ich daran moralische Fol¬ gerungen knüpfen zu dürfen glaube. Aber hören Sie mich aus." Er schlürfte einen Schluck Chablis und fuhr fort: „An die Spitze meiner Rede stelle ich den Satz, daß die Welt gut ist, soweit sie Austern ißt, und daß sie desto besser ist, je häufiger sie davon genießt und je mehr sie sich von dem Wesen derselben durchdringen läßt. Alle Uebel, an denen wir Sterblichen kranken, schreiben sich von der Nichtbeachtung dieser Regel her. Sie stammen ohne Ausnahme entwedet aus der Leidenschaft oder einem schlechten Magen, und gegen beides ist uns von der Güte der Vorsehung im Austerngennß die Universalmedicin verliehen.' Betrachten wir zuvörderst die Leidenschaft: Habgier, Ehrgeiz, Eifersucht u. s. w. Sie kennen Robert Burns, und Sie kennen unsre neuesten Natur-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/417>, abgerufen am 23.07.2024.