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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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Tragga genannt und bald von Männern, bald von Frauen vollzogen, selbst
die Kinder sind davor nicht sicher. So erzählt Oberstleutnant Walker in seinem
Bericht über das westliche Guzerat:

./.Der Jharijah-Häuptling von Mallia hatte einen Bhat als Bürgen
gestellt, kam aber seinen Verpflichtungen nicht nach. Der Bürge war nun
zum Selbstmord entschlossen, da er indeß eine Familie zu versorgen hatte, so
erbot sich ein andrer Bhat für rhn einzutreten. Es entspann sich zwischen den
beide" ein hitziger Streit, der damit schloß, daß der ursprüngliche Bürge er¬
klärte, seine jüngste Tochter opfern zu wollen. Die beiden Männer brachten
die Nacht fastend und betend zu, und früh am Morgen holte der Vater das
sechs Jahre alte Kind und sagte ihm, daß es um seiner Ehre willen sterben
müsse. Die unschuldige Kleine unterwarf sich stillschweigend ihrem Schicksal.
Sie wurde nach einem geeigneten Orte geführt, wo sie sich freiwillig zurecht
setzte und ihre langen Haare in die Höhe nahm, damit der Vater bei ihrer
Enthauptung nicht dadurch gehindert werde. Der Kastenstolz des Barbaren
siegte wirklich über Liebe und Mitleid, und der Säbelhieb siel, der das Haupt
vom Rumpfe trennte. Die Glaubensbrüder des Mörders aber billigten die
That nicht. Es kommt übrigens keineswegs selten vor, daß Kinder in solchen
Füllen ihr Leben freiwillig darbieten."

Eine ganz ähnliche Kaste sind die Charuns. die sich von den Bhats nur
insofern unterscheiden, als sie auch als Soldaten dienen und Handel treiben.
In letzterem Beruf kommt ihnen die ihrer Person gezollte Achtung sehr zu
Gute, da die zahlreichen Räuberbanden des Landes sie auf ihren Handels¬
reisen niemals angreifen. Viele Dörfer in Kattywar sind nur von ihnen be¬
wohnt. Sie bezahlen keine Abgaben und sprechen jeden Reisenden von
Stande, der ihre Ortschaften passirt, um milde Gaben an. Wird ein Dorf
von Räubern überfallen oder demselben die Heerden weggetrieben, so drohen
sie der Bande sich das Leben zu nehmen, wodurch dieselbe in der Regel ver¬
mocht wird, die Beute herauszugeben; wo nicht, so machen jene ihre Drohung
wahr, indem sie zu Pferde steigen und sich einen Speer oder ein Schwert ins
Herz stoßen. Die Räuber liefern dann, aus Furcht, die Götter würden den
Tod des Charuns an ihnen rächen, das Gestohlene wieder aus. Das dank¬
bare Volk aber setzt denen, die steh für sein Interesse geopfert, kleine Denk¬
mäler mit Erinnerungen an das Ereigniß. Fast überall in Katiywar lufft
man auf Plätzen am Eingang der Dörfer grabsteinartige Pallias, welche an
solche Opfer mahnen.

Wir schließen unsre Auszüge mit einigen Worten über die Unterdrückung
der Thugs. Fast alle monströsen und verabscheuenswerthen Züge im
Charakter und Leben der Hindus stehen mit religiösen Legenden in Ver¬
bindung. So brachten auch die Thugs ihr grauenvolles Mordgewerbe mit


Tragga genannt und bald von Männern, bald von Frauen vollzogen, selbst
die Kinder sind davor nicht sicher. So erzählt Oberstleutnant Walker in seinem
Bericht über das westliche Guzerat:

./.Der Jharijah-Häuptling von Mallia hatte einen Bhat als Bürgen
gestellt, kam aber seinen Verpflichtungen nicht nach. Der Bürge war nun
zum Selbstmord entschlossen, da er indeß eine Familie zu versorgen hatte, so
erbot sich ein andrer Bhat für rhn einzutreten. Es entspann sich zwischen den
beide» ein hitziger Streit, der damit schloß, daß der ursprüngliche Bürge er¬
klärte, seine jüngste Tochter opfern zu wollen. Die beiden Männer brachten
die Nacht fastend und betend zu, und früh am Morgen holte der Vater das
sechs Jahre alte Kind und sagte ihm, daß es um seiner Ehre willen sterben
müsse. Die unschuldige Kleine unterwarf sich stillschweigend ihrem Schicksal.
Sie wurde nach einem geeigneten Orte geführt, wo sie sich freiwillig zurecht
setzte und ihre langen Haare in die Höhe nahm, damit der Vater bei ihrer
Enthauptung nicht dadurch gehindert werde. Der Kastenstolz des Barbaren
siegte wirklich über Liebe und Mitleid, und der Säbelhieb siel, der das Haupt
vom Rumpfe trennte. Die Glaubensbrüder des Mörders aber billigten die
That nicht. Es kommt übrigens keineswegs selten vor, daß Kinder in solchen
Füllen ihr Leben freiwillig darbieten."

Eine ganz ähnliche Kaste sind die Charuns. die sich von den Bhats nur
insofern unterscheiden, als sie auch als Soldaten dienen und Handel treiben.
In letzterem Beruf kommt ihnen die ihrer Person gezollte Achtung sehr zu
Gute, da die zahlreichen Räuberbanden des Landes sie auf ihren Handels¬
reisen niemals angreifen. Viele Dörfer in Kattywar sind nur von ihnen be¬
wohnt. Sie bezahlen keine Abgaben und sprechen jeden Reisenden von
Stande, der ihre Ortschaften passirt, um milde Gaben an. Wird ein Dorf
von Räubern überfallen oder demselben die Heerden weggetrieben, so drohen
sie der Bande sich das Leben zu nehmen, wodurch dieselbe in der Regel ver¬
mocht wird, die Beute herauszugeben; wo nicht, so machen jene ihre Drohung
wahr, indem sie zu Pferde steigen und sich einen Speer oder ein Schwert ins
Herz stoßen. Die Räuber liefern dann, aus Furcht, die Götter würden den
Tod des Charuns an ihnen rächen, das Gestohlene wieder aus. Das dank¬
bare Volk aber setzt denen, die steh für sein Interesse geopfert, kleine Denk¬
mäler mit Erinnerungen an das Ereigniß. Fast überall in Katiywar lufft
man auf Plätzen am Eingang der Dörfer grabsteinartige Pallias, welche an
solche Opfer mahnen.

Wir schließen unsre Auszüge mit einigen Worten über die Unterdrückung
der Thugs. Fast alle monströsen und verabscheuenswerthen Züge im
Charakter und Leben der Hindus stehen mit religiösen Legenden in Ver¬
bindung. So brachten auch die Thugs ihr grauenvolles Mordgewerbe mit


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[0402] Tragga genannt und bald von Männern, bald von Frauen vollzogen, selbst die Kinder sind davor nicht sicher. So erzählt Oberstleutnant Walker in seinem Bericht über das westliche Guzerat: ./.Der Jharijah-Häuptling von Mallia hatte einen Bhat als Bürgen gestellt, kam aber seinen Verpflichtungen nicht nach. Der Bürge war nun zum Selbstmord entschlossen, da er indeß eine Familie zu versorgen hatte, so erbot sich ein andrer Bhat für rhn einzutreten. Es entspann sich zwischen den beide» ein hitziger Streit, der damit schloß, daß der ursprüngliche Bürge er¬ klärte, seine jüngste Tochter opfern zu wollen. Die beiden Männer brachten die Nacht fastend und betend zu, und früh am Morgen holte der Vater das sechs Jahre alte Kind und sagte ihm, daß es um seiner Ehre willen sterben müsse. Die unschuldige Kleine unterwarf sich stillschweigend ihrem Schicksal. Sie wurde nach einem geeigneten Orte geführt, wo sie sich freiwillig zurecht setzte und ihre langen Haare in die Höhe nahm, damit der Vater bei ihrer Enthauptung nicht dadurch gehindert werde. Der Kastenstolz des Barbaren siegte wirklich über Liebe und Mitleid, und der Säbelhieb siel, der das Haupt vom Rumpfe trennte. Die Glaubensbrüder des Mörders aber billigten die That nicht. Es kommt übrigens keineswegs selten vor, daß Kinder in solchen Füllen ihr Leben freiwillig darbieten." Eine ganz ähnliche Kaste sind die Charuns. die sich von den Bhats nur insofern unterscheiden, als sie auch als Soldaten dienen und Handel treiben. In letzterem Beruf kommt ihnen die ihrer Person gezollte Achtung sehr zu Gute, da die zahlreichen Räuberbanden des Landes sie auf ihren Handels¬ reisen niemals angreifen. Viele Dörfer in Kattywar sind nur von ihnen be¬ wohnt. Sie bezahlen keine Abgaben und sprechen jeden Reisenden von Stande, der ihre Ortschaften passirt, um milde Gaben an. Wird ein Dorf von Räubern überfallen oder demselben die Heerden weggetrieben, so drohen sie der Bande sich das Leben zu nehmen, wodurch dieselbe in der Regel ver¬ mocht wird, die Beute herauszugeben; wo nicht, so machen jene ihre Drohung wahr, indem sie zu Pferde steigen und sich einen Speer oder ein Schwert ins Herz stoßen. Die Räuber liefern dann, aus Furcht, die Götter würden den Tod des Charuns an ihnen rächen, das Gestohlene wieder aus. Das dank¬ bare Volk aber setzt denen, die steh für sein Interesse geopfert, kleine Denk¬ mäler mit Erinnerungen an das Ereigniß. Fast überall in Katiywar lufft man auf Plätzen am Eingang der Dörfer grabsteinartige Pallias, welche an solche Opfer mahnen. Wir schließen unsre Auszüge mit einigen Worten über die Unterdrückung der Thugs. Fast alle monströsen und verabscheuenswerthen Züge im Charakter und Leben der Hindus stehen mit religiösen Legenden in Ver¬ bindung. So brachten auch die Thugs ihr grauenvolles Mordgewerbe mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/402>, abgerufen am 29.12.2024.