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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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wenn sie sich mit einem Mann vergangen haben, sich kaltblütig das Leben nehmen.
Ebenso oft begegnen wir dem Selbstmord aus religiösen Gründen. Ein
charakteristisches Beispiel ist folgendes, dem sich indeß zahlreiche Beispiele uns
unsrer nächsten Nähe an die Seite stellen lassen.

Ein frommen Betrachtungen sich hingebender Hindu, der in der Nachbar¬
schaft von Bombay lebte, erklärte seiner Frau, er werde sich zur Vorbereitung
auf eine längere Reise zum Meeresstrand begeben, und forderte sie auf. ihn
mit ihren Kindern zu begleiten. Sie fragte nach dem Ziel der Reise, und
nun eröffnete er ihr, daß Gott ihn nach dem Himmel eingeladen habe, wohin
er seine Familie mitzunehmen wünsche; sie wollten deshalb nach dem Meere
gehen. Die Frau zeigte sich damit vollkommen zufrieden und wanderte willig
mit den Kindern nach dem Strande. Hier trieben die Eltern die beiden ältesten
Kinder ins Meer, wo sie bald von den Wellen verschlungen wurden; dann
ertränkten sie die jüngeren, worauf die Frau ihnen folgte und ebenfalls nach
kurzem Kampf in die Tiefe versank. Der Gatte war im Begriff, seiner Fami¬
lie nachzugehen, als er sich erinnerte, daß ein solches Verschwinden Nach¬
forschungen veranlassen und seinen Nachbarn Verlegenheiten und Verdächtigungen
zuziehn könne. Er beschloß deshalb in sein Dorf zurückzukehren und von der
Sache Anzeige zu machen. Sein Hindunachbar hörte mit charakteristischer
Gleichgültigkeit den entsetzlichen Bericht und schien den Entschluß des Fana¬
tikers sogar zu bewundern. Nicht so ein Muselmann, der den Mörder zwang,
ihm zur Behörde zu solgen. Diese verhörte den Wahnsinnigen und verur-
theilte ihn zum Galgen. Geduldig litt er die Strafe, nur bedauernd, daß er
so lange abgehalten worden, die Reise nach dem Himmel anzutreten.

Die Bhats sind bereits kurz erwähnt. Sie sind jedenfalls sehr alten
Ursprungs, da sie schon im Mahabharat erwähnt werden, und über alle
Theile Indiens, wo Radschputen wohnen, verbreitet. Es gibt unter ihnen
Wechsler und Landwirthe, aber keine Kaufleute. Ihr eigenthümliches Ge¬
schäft besteht im Absingen von Lobgedichten und in der Bewahrung der
Familientraditionen der vornehmeren Radschputen. Einige ihrer Familien ver¬
walteten dieses Amt erblich wie die alten Barden von Wales. Ein ächter
Bhat soll nur von Almosen leben und die ihm gegebenen Geschenke an die
gemeinschaftliche Kasse seiner Genossenschaft abliefern. Während der Regenzeit
bebauen sie mit ihrer Familie ihr Feld, dann aber wandern sie bei U)ren-
Patronen umher, wobei sie die Wühle. das Stammregister der betreffenden
Geschlechter mit sich führen. Danach pflegen alle Streitigkeiten .über Erb¬
theilungen geschlichtet zu werden, weshalb der Bhat auch Wuhiewanch" oder
Ausleger des Familienbuchs heißt. Nächstdem haben sie als Bürgen großes
Ansehen, und wir erwähnten bereits, daß sie sich, wenn ihre Bürgschaft sich
als falsch erweist, sofort den Tod geben. Der Selbstmord wird von ihnen


wenn sie sich mit einem Mann vergangen haben, sich kaltblütig das Leben nehmen.
Ebenso oft begegnen wir dem Selbstmord aus religiösen Gründen. Ein
charakteristisches Beispiel ist folgendes, dem sich indeß zahlreiche Beispiele uns
unsrer nächsten Nähe an die Seite stellen lassen.

Ein frommen Betrachtungen sich hingebender Hindu, der in der Nachbar¬
schaft von Bombay lebte, erklärte seiner Frau, er werde sich zur Vorbereitung
auf eine längere Reise zum Meeresstrand begeben, und forderte sie auf. ihn
mit ihren Kindern zu begleiten. Sie fragte nach dem Ziel der Reise, und
nun eröffnete er ihr, daß Gott ihn nach dem Himmel eingeladen habe, wohin
er seine Familie mitzunehmen wünsche; sie wollten deshalb nach dem Meere
gehen. Die Frau zeigte sich damit vollkommen zufrieden und wanderte willig
mit den Kindern nach dem Strande. Hier trieben die Eltern die beiden ältesten
Kinder ins Meer, wo sie bald von den Wellen verschlungen wurden; dann
ertränkten sie die jüngeren, worauf die Frau ihnen folgte und ebenfalls nach
kurzem Kampf in die Tiefe versank. Der Gatte war im Begriff, seiner Fami¬
lie nachzugehen, als er sich erinnerte, daß ein solches Verschwinden Nach¬
forschungen veranlassen und seinen Nachbarn Verlegenheiten und Verdächtigungen
zuziehn könne. Er beschloß deshalb in sein Dorf zurückzukehren und von der
Sache Anzeige zu machen. Sein Hindunachbar hörte mit charakteristischer
Gleichgültigkeit den entsetzlichen Bericht und schien den Entschluß des Fana¬
tikers sogar zu bewundern. Nicht so ein Muselmann, der den Mörder zwang,
ihm zur Behörde zu solgen. Diese verhörte den Wahnsinnigen und verur-
theilte ihn zum Galgen. Geduldig litt er die Strafe, nur bedauernd, daß er
so lange abgehalten worden, die Reise nach dem Himmel anzutreten.

Die Bhats sind bereits kurz erwähnt. Sie sind jedenfalls sehr alten
Ursprungs, da sie schon im Mahabharat erwähnt werden, und über alle
Theile Indiens, wo Radschputen wohnen, verbreitet. Es gibt unter ihnen
Wechsler und Landwirthe, aber keine Kaufleute. Ihr eigenthümliches Ge¬
schäft besteht im Absingen von Lobgedichten und in der Bewahrung der
Familientraditionen der vornehmeren Radschputen. Einige ihrer Familien ver¬
walteten dieses Amt erblich wie die alten Barden von Wales. Ein ächter
Bhat soll nur von Almosen leben und die ihm gegebenen Geschenke an die
gemeinschaftliche Kasse seiner Genossenschaft abliefern. Während der Regenzeit
bebauen sie mit ihrer Familie ihr Feld, dann aber wandern sie bei U)ren-
Patronen umher, wobei sie die Wühle. das Stammregister der betreffenden
Geschlechter mit sich führen. Danach pflegen alle Streitigkeiten .über Erb¬
theilungen geschlichtet zu werden, weshalb der Bhat auch Wuhiewanch« oder
Ausleger des Familienbuchs heißt. Nächstdem haben sie als Bürgen großes
Ansehen, und wir erwähnten bereits, daß sie sich, wenn ihre Bürgschaft sich
als falsch erweist, sofort den Tod geben. Der Selbstmord wird von ihnen


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[0401] wenn sie sich mit einem Mann vergangen haben, sich kaltblütig das Leben nehmen. Ebenso oft begegnen wir dem Selbstmord aus religiösen Gründen. Ein charakteristisches Beispiel ist folgendes, dem sich indeß zahlreiche Beispiele uns unsrer nächsten Nähe an die Seite stellen lassen. Ein frommen Betrachtungen sich hingebender Hindu, der in der Nachbar¬ schaft von Bombay lebte, erklärte seiner Frau, er werde sich zur Vorbereitung auf eine längere Reise zum Meeresstrand begeben, und forderte sie auf. ihn mit ihren Kindern zu begleiten. Sie fragte nach dem Ziel der Reise, und nun eröffnete er ihr, daß Gott ihn nach dem Himmel eingeladen habe, wohin er seine Familie mitzunehmen wünsche; sie wollten deshalb nach dem Meere gehen. Die Frau zeigte sich damit vollkommen zufrieden und wanderte willig mit den Kindern nach dem Strande. Hier trieben die Eltern die beiden ältesten Kinder ins Meer, wo sie bald von den Wellen verschlungen wurden; dann ertränkten sie die jüngeren, worauf die Frau ihnen folgte und ebenfalls nach kurzem Kampf in die Tiefe versank. Der Gatte war im Begriff, seiner Fami¬ lie nachzugehen, als er sich erinnerte, daß ein solches Verschwinden Nach¬ forschungen veranlassen und seinen Nachbarn Verlegenheiten und Verdächtigungen zuziehn könne. Er beschloß deshalb in sein Dorf zurückzukehren und von der Sache Anzeige zu machen. Sein Hindunachbar hörte mit charakteristischer Gleichgültigkeit den entsetzlichen Bericht und schien den Entschluß des Fana¬ tikers sogar zu bewundern. Nicht so ein Muselmann, der den Mörder zwang, ihm zur Behörde zu solgen. Diese verhörte den Wahnsinnigen und verur- theilte ihn zum Galgen. Geduldig litt er die Strafe, nur bedauernd, daß er so lange abgehalten worden, die Reise nach dem Himmel anzutreten. Die Bhats sind bereits kurz erwähnt. Sie sind jedenfalls sehr alten Ursprungs, da sie schon im Mahabharat erwähnt werden, und über alle Theile Indiens, wo Radschputen wohnen, verbreitet. Es gibt unter ihnen Wechsler und Landwirthe, aber keine Kaufleute. Ihr eigenthümliches Ge¬ schäft besteht im Absingen von Lobgedichten und in der Bewahrung der Familientraditionen der vornehmeren Radschputen. Einige ihrer Familien ver¬ walteten dieses Amt erblich wie die alten Barden von Wales. Ein ächter Bhat soll nur von Almosen leben und die ihm gegebenen Geschenke an die gemeinschaftliche Kasse seiner Genossenschaft abliefern. Während der Regenzeit bebauen sie mit ihrer Familie ihr Feld, dann aber wandern sie bei U)ren- Patronen umher, wobei sie die Wühle. das Stammregister der betreffenden Geschlechter mit sich führen. Danach pflegen alle Streitigkeiten .über Erb¬ theilungen geschlichtet zu werden, weshalb der Bhat auch Wuhiewanch« oder Ausleger des Familienbuchs heißt. Nächstdem haben sie als Bürgen großes Ansehen, und wir erwähnten bereits, daß sie sich, wenn ihre Bürgschaft sich als falsch erweist, sofort den Tod geben. Der Selbstmord wird von ihnen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/401>, abgerufen am 23.07.2024.