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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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die Sitte ganz aufgegeben hat. wogegen die Sengers in Bandelkand, Boghii-
kand. Rawa und den Sangorländern noch immer theilweise daran festhalten.
Die meisten andern Hindustämme haben dagegen die Ueberzeugung gewonnen,
daß der Gebrauch gegen die Schastras und den wahren alten Glauben ver¬
stößt, und wo dies nicht der Fall ist, wirkt die Drohung der Behörden, wer
sich des Kindermords schuldig mache. werde sein Land verlieren.

Die Sitte, die neugebornen Mädchen umzubringen, findet sich aber auch
unter vielen der mittleren Chondstämme westlich von Suradah in Kotingiah.
Buri, Goladaji. Tarabandy u. s> w.. wo nach Rüssels Bericht noch im Jahre
1836 die Tödtung der Mädchen fast allgemein war, wo ebenfalls die Ursache
in den Kosten der Verheirathung lag. und wo der, welcher eine Frau brauchte,
sich dieselbe in andern Gegenden kaufen mußte. Nur in einem District kommt
der Gebrauch nicht vor, und die Zahl der in den übrigen Bezirken bis vor
Kurzem jährlich ermordeten Neugebornen weiblichen Geschlechts wird auf 12
bis 1500 angegeben. Auch hier hat die Regierung dieser Grausamkeit ent¬
gegen zu arbeiten gesucht, aber mit welchem Elfolg, ist aus unserm Werke
nicht ersichtlich. Dagegen finden wir die Ergebnisse der Bemühungen Eng¬
lands, die unter diesen wilden Bcrgstännnen üblichen Menschenopfer ab-
zuschaffen, genauer verzeichnet.

Die Chonds zerfallen in zwei große Seelen, die aber gewisse Glaubens¬
artikel gemein haben. Sie glauben alle an ein höheres Wesen, einen Gott
des Lichts und Quell des Guten, der sich eine Gattin, die Erdgöttin, die
Ursache der Finsterniß und alles Bösen, geschaffen hat. T"e eine Secte nimmt
aber an. daß jenes gute Princip das böse sich völlig unterworfen, die an¬
dere, daß es dieses noch nicht besiegt habe. Nach der Meinung der teueren
hält die finstere Göttin die Wage des Guten und Bösen in ihrer Hand, sie
lenkt die Schicksale der Menschen, und jedes Glück, das diesen zu Theil wird,
muh dadurch erkauft werden, daß man sie durch Opfer, unter denen wieder
die von Menschen die wirksamsten sind, sich günstig stimmt. So kommt es,
daß bei den Chonds dieser Secre die zu gewissen Zeiten zu vollziehende
Opferung von Menschen als heiliger Brauch gilt. Daß die Kinder und die
Feldfrüchte gedeihen, die Heerden sich mehren, der Huldi eine schöne tiefe
Farbe erhält, daß sie siegreich im Kampf mit ihren Feinden sind, daß sie
vor Krankheit und Unwetter bewahrt bleiben, alles dies hängt von der ge¬
wissenhaften Beobachtung dieses heiligen Ritus ab, welcher daher von der
ganzen Nation bis vor wenigen Jahren eifrig geübt wurde. Man pflegte
die Opfer, die mit dem Namen Marias bezeichnet wurden, entweder in der
Ebne zu rauben oder zu kaufen. Oft schon in der Kindheit der Erdgöttin
Tari Perun geweiht, blieben sie jahrelang unbehelligt. Man ließ sie heran¬
wachsen, verheiratete sie mit andern Meriahs, gab ihnen Land und Heerden


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die Sitte ganz aufgegeben hat. wogegen die Sengers in Bandelkand, Boghii-
kand. Rawa und den Sangorländern noch immer theilweise daran festhalten.
Die meisten andern Hindustämme haben dagegen die Ueberzeugung gewonnen,
daß der Gebrauch gegen die Schastras und den wahren alten Glauben ver¬
stößt, und wo dies nicht der Fall ist, wirkt die Drohung der Behörden, wer
sich des Kindermords schuldig mache. werde sein Land verlieren.

Die Sitte, die neugebornen Mädchen umzubringen, findet sich aber auch
unter vielen der mittleren Chondstämme westlich von Suradah in Kotingiah.
Buri, Goladaji. Tarabandy u. s> w.. wo nach Rüssels Bericht noch im Jahre
1836 die Tödtung der Mädchen fast allgemein war, wo ebenfalls die Ursache
in den Kosten der Verheirathung lag. und wo der, welcher eine Frau brauchte,
sich dieselbe in andern Gegenden kaufen mußte. Nur in einem District kommt
der Gebrauch nicht vor, und die Zahl der in den übrigen Bezirken bis vor
Kurzem jährlich ermordeten Neugebornen weiblichen Geschlechts wird auf 12
bis 1500 angegeben. Auch hier hat die Regierung dieser Grausamkeit ent¬
gegen zu arbeiten gesucht, aber mit welchem Elfolg, ist aus unserm Werke
nicht ersichtlich. Dagegen finden wir die Ergebnisse der Bemühungen Eng¬
lands, die unter diesen wilden Bcrgstännnen üblichen Menschenopfer ab-
zuschaffen, genauer verzeichnet.

Die Chonds zerfallen in zwei große Seelen, die aber gewisse Glaubens¬
artikel gemein haben. Sie glauben alle an ein höheres Wesen, einen Gott
des Lichts und Quell des Guten, der sich eine Gattin, die Erdgöttin, die
Ursache der Finsterniß und alles Bösen, geschaffen hat. T»e eine Secte nimmt
aber an. daß jenes gute Princip das böse sich völlig unterworfen, die an¬
dere, daß es dieses noch nicht besiegt habe. Nach der Meinung der teueren
hält die finstere Göttin die Wage des Guten und Bösen in ihrer Hand, sie
lenkt die Schicksale der Menschen, und jedes Glück, das diesen zu Theil wird,
muh dadurch erkauft werden, daß man sie durch Opfer, unter denen wieder
die von Menschen die wirksamsten sind, sich günstig stimmt. So kommt es,
daß bei den Chonds dieser Secre die zu gewissen Zeiten zu vollziehende
Opferung von Menschen als heiliger Brauch gilt. Daß die Kinder und die
Feldfrüchte gedeihen, die Heerden sich mehren, der Huldi eine schöne tiefe
Farbe erhält, daß sie siegreich im Kampf mit ihren Feinden sind, daß sie
vor Krankheit und Unwetter bewahrt bleiben, alles dies hängt von der ge¬
wissenhaften Beobachtung dieses heiligen Ritus ab, welcher daher von der
ganzen Nation bis vor wenigen Jahren eifrig geübt wurde. Man pflegte
die Opfer, die mit dem Namen Marias bezeichnet wurden, entweder in der
Ebne zu rauben oder zu kaufen. Oft schon in der Kindheit der Erdgöttin
Tari Perun geweiht, blieben sie jahrelang unbehelligt. Man ließ sie heran¬
wachsen, verheiratete sie mit andern Meriahs, gab ihnen Land und Heerden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/397>, abgerufen am 29.12.2024.