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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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dem scheinbaren Nichts so Vieles werden könne, ja daß aus einzelnen Fäden
das Band gewebt werde. Die unselige Besserungswuth, welche sich ganz
anders herausputzen kann, als die bornirte Neigung. Alles beim Alten zu
lassen, welche sich ohne Rücksicht auf den inneren Gehalt als etwas unbe¬
dingt Gutes hinstellt, die hat Europa ruinirt. Nichts von Allem was Gott
erschaffen findet Gnade vor ihren Augen, und die Unzufriedenheit gilt mehr
als friedliche Demuth für das Princip und den Erwecker alles Guten."

Sobald aber der Staat irgend eine Lächerlichkeit begeht, wie es nament¬
lich bei den damaligen Censurverhältnissen häufig genug vorkam, tritt der
eingeborene Liberalismus bei ihm laut hervor, und seine ^Heftigkeit führt zu
Conflicten mit seinen Vorgesetzten, die dann freilich durch seine Gutmüthig¬
keit bald wieder ausgeglichen werden. Noch mehr ärgern ihn die religiösen
Narren, und er kann zuletzt recht leidenschaftlich werden. So schreibt er, 3".
Oct. 1826 an Tieck: "Wo der gewöhnlichste Menschenverstand helfen und
ausreichen soll, nehmen manche Wunder in Anspruch, und was mich zum
Atheisten machen könnte, ist ihnen Beweis der allerbesondersten göttlichen
Vorsehung. Sie behandeln Gott wie eine Scheuerfrau, die Schritt vor
Schritt nachgehen und Alles rein waschen soll, was bekleckst und beschmutzt
wird. Lieber möchte ich der Teufel sein und gelegentlich einen Sünder ab-
wamsen. als den Geschäftskreis übernehmen, welchen Viele Gott zuweisen,
nämlich in höchst eigner Person alle Esel tanzen zu lehren. Und was sie
Glauben nennen, ist zuletzt der Glaube: ihre Dummheit und Lässigkeit habe
das Verdienst guter Werke; auch könne Gott dann am besten zeigen, daß er
klüger und weiser sei denn sie selbst. Das vernickerte und verkümmerte Chri¬
stenthum, wo man auf diesem Wege anlangt, ist meiner ganzen Natur zu¬
wider; es steht trotz allem Gethue nicht höher als der Vers: "Wer früh auf¬
steht, fern Gut verzehrt; wer lange schläft, den Gott ernährt!" --

"Es ist sehr schwer", schreibt er 9, Januar 1813 an eine Freundin, "bei
Erzählung der jüdischen Geschichte durchzusteuern zwischen verjährten Aber¬
glauben und frevelndem Leichtsinn, und zuletzt sehen Viele in der unbefangenen
Da-rlegung historischer Wahrheit nur eine laue Gleichgültigkeit. Nirgends
habe ich mehr daran denken müssen mich nicht beschwatzen zu lassen; denkt
>me leicht ist's hier, selbst ohne Voltaire zu sein, Einfälle zu haben, ja ich
möchte zusetzen, wie unschwer ist's, wie Joh. Müller nur pas Erhabene zusam¬
menzudrängen und das Abweichende ohne prüfende Entwickelung seitwärts lie¬
gen zu lassen. -- Ich hab" zu meinen Zwecken das Alte Testament, wieder
gelesen und habe mich 1. daran sehr erbaut. 2, gelangweilt, 3. entsetzt. IÄ
fordere "jeden Ehrlichen auf, den Versuch zu machen, ob er, statt dieses Drei¬
fachen, Alles in eine einzige Reihe von Empfindungen hineinkünsteln, gläubeln
oder ungläubelu kann." -----


dem scheinbaren Nichts so Vieles werden könne, ja daß aus einzelnen Fäden
das Band gewebt werde. Die unselige Besserungswuth, welche sich ganz
anders herausputzen kann, als die bornirte Neigung. Alles beim Alten zu
lassen, welche sich ohne Rücksicht auf den inneren Gehalt als etwas unbe¬
dingt Gutes hinstellt, die hat Europa ruinirt. Nichts von Allem was Gott
erschaffen findet Gnade vor ihren Augen, und die Unzufriedenheit gilt mehr
als friedliche Demuth für das Princip und den Erwecker alles Guten."

Sobald aber der Staat irgend eine Lächerlichkeit begeht, wie es nament¬
lich bei den damaligen Censurverhältnissen häufig genug vorkam, tritt der
eingeborene Liberalismus bei ihm laut hervor, und seine ^Heftigkeit führt zu
Conflicten mit seinen Vorgesetzten, die dann freilich durch seine Gutmüthig¬
keit bald wieder ausgeglichen werden. Noch mehr ärgern ihn die religiösen
Narren, und er kann zuletzt recht leidenschaftlich werden. So schreibt er, 3».
Oct. 1826 an Tieck: „Wo der gewöhnlichste Menschenverstand helfen und
ausreichen soll, nehmen manche Wunder in Anspruch, und was mich zum
Atheisten machen könnte, ist ihnen Beweis der allerbesondersten göttlichen
Vorsehung. Sie behandeln Gott wie eine Scheuerfrau, die Schritt vor
Schritt nachgehen und Alles rein waschen soll, was bekleckst und beschmutzt
wird. Lieber möchte ich der Teufel sein und gelegentlich einen Sünder ab-
wamsen. als den Geschäftskreis übernehmen, welchen Viele Gott zuweisen,
nämlich in höchst eigner Person alle Esel tanzen zu lehren. Und was sie
Glauben nennen, ist zuletzt der Glaube: ihre Dummheit und Lässigkeit habe
das Verdienst guter Werke; auch könne Gott dann am besten zeigen, daß er
klüger und weiser sei denn sie selbst. Das vernickerte und verkümmerte Chri¬
stenthum, wo man auf diesem Wege anlangt, ist meiner ganzen Natur zu¬
wider; es steht trotz allem Gethue nicht höher als der Vers: „Wer früh auf¬
steht, fern Gut verzehrt; wer lange schläft, den Gott ernährt!" —

„Es ist sehr schwer", schreibt er 9, Januar 1813 an eine Freundin, „bei
Erzählung der jüdischen Geschichte durchzusteuern zwischen verjährten Aber¬
glauben und frevelndem Leichtsinn, und zuletzt sehen Viele in der unbefangenen
Da-rlegung historischer Wahrheit nur eine laue Gleichgültigkeit. Nirgends
habe ich mehr daran denken müssen mich nicht beschwatzen zu lassen; denkt
>me leicht ist's hier, selbst ohne Voltaire zu sein, Einfälle zu haben, ja ich
möchte zusetzen, wie unschwer ist's, wie Joh. Müller nur pas Erhabene zusam¬
menzudrängen und das Abweichende ohne prüfende Entwickelung seitwärts lie¬
gen zu lassen. — Ich hab« zu meinen Zwecken das Alte Testament, wieder
gelesen und habe mich 1. daran sehr erbaut. 2, gelangweilt, 3. entsetzt. IÄ
fordere "jeden Ehrlichen auf, den Versuch zu machen, ob er, statt dieses Drei¬
fachen, Alles in eine einzige Reihe von Empfindungen hineinkünsteln, gläubeln
oder ungläubelu kann." —---


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/378>, abgerufen am 23.07.2024.