Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

um ihre durch heiliges Leben erlangte Macht über die Natur zu beweisen.
Zu letzteren gehören jene merkwürdigen Menschen, welche, uns unerklärlichen
Kräften und Gesalzen gemäß, mehre Minuten bis vier Fuß über der Erde
zu schweben wissen, indem sie sich dabei keiner andern Stütze bedienen, als
einer Krücke, auf welche sie den Rücken der einen Hand stützen, während die
Finger emsig die Bohnen ihres Rosenkranzes zählen.

Noch merkwürdiger und schwerer zu begreifen ist endlich das Kunststück,
bei welchem sich Individuen dieser Mönchsorden lebendig begraben lassen und
nach einigen Tagen oder Wochen wieder zum Leben gebracht werden. Das
Werk v. Orlichs berichtet mehre dieser Fälle, von denen einer aus dem Jahre
1835 ist. Die Künstler üben sich meist dadurch ein. daß sie sich gewöhnen,
den Athem möglichst lange anzuhalten und daß sie sich längere Zeit aller kräf¬
tigen Nahrung enthalten und nur von Milch leben, was, wie sie sagen, den
Magen vor Fäulniß bewahrt und bewirkt, daß die Haare zu wachsen auf¬
hören. Einer ließ sich auf vierzehn Tage von einem englischen Offizier, der
an seinem Vorgeben zweifelte, in einem hölzernen Kasten an einer Stubendecke
aufhängen, wo Jedermann sehen konnte, daß kein Betrug stattfand. Der
merkwürdigste Fall dieser Art ereignete sich bei Lahore unter Runzit Sings
Negierung, als Sir Claude Wade sich als Bevollmächtigter der indischen Com¬
pagnie dort aufhielt, indem ein Fakir nach vorausgegangner Hungerkur sich
auf sechs Wochen begraben ließ und nach Verlauf dieser Zeit wieder zum
Leben erwachte. Wir geben die Geschichte mit einigen Abkürzungen nach Sir
Claude's Bericht, es den Lesern überlassend, ob sie dem Erzähler vollen, hal¬
ben oder gnr keinen Glauben beimessen wollen.

"Am Tage der Ausgrabung," berichtet Wade, welcher der Beerdigung
des Fakirs beiläufig nicht beigewohnt, die nähern Umstände aber von Runzit
Sing und "andern glaubwürdigen Personen seines Hoff, an deren Wahrhaf¬
tigkeit nicht zu zweifeln war/' gehört hatte, "begab ich mich zur festgesetzten
Stunde mit Runzit Sing nach dem Orte, wo der Fakir begraben lag. Es
war ein viereckiges Gebäude in der Mitte eines Gartens, der mit dem Palast
von Lahore in Verbindung stand. Dasselbe war mit einer Verandah um¬
geben und besaß nur in der Mitte ein Gemach, das ganz abgeschlossen war.
Runzit Sing war von seinem ganzen Hofe begleitet. Als er von seinem Ele¬
phanten gestiegen, forderte er mich auf. mit ihm das Gebäude zu untersuchen
und nachzusehen, ob Alles verschlossen und in solchem Zustand sei. wie er es
verlassen. Dies geschah. Es befand sich nämlich aus jeder der vier Seiten
eine Thür. Drei davon hatte man mit Ziegeln ganz, die vierte, welche sehr
stark war, nur bis zum Schloß zugemauert. Das letztere hatte Runzit Sing
mit seinem Privatpetschaft eigenhändig versiegelt, als der Fakir begraben wor¬
den war. Der Maharadscha erkannte das Siegel als das seine an. Er selbst.


um ihre durch heiliges Leben erlangte Macht über die Natur zu beweisen.
Zu letzteren gehören jene merkwürdigen Menschen, welche, uns unerklärlichen
Kräften und Gesalzen gemäß, mehre Minuten bis vier Fuß über der Erde
zu schweben wissen, indem sie sich dabei keiner andern Stütze bedienen, als
einer Krücke, auf welche sie den Rücken der einen Hand stützen, während die
Finger emsig die Bohnen ihres Rosenkranzes zählen.

Noch merkwürdiger und schwerer zu begreifen ist endlich das Kunststück,
bei welchem sich Individuen dieser Mönchsorden lebendig begraben lassen und
nach einigen Tagen oder Wochen wieder zum Leben gebracht werden. Das
Werk v. Orlichs berichtet mehre dieser Fälle, von denen einer aus dem Jahre
1835 ist. Die Künstler üben sich meist dadurch ein. daß sie sich gewöhnen,
den Athem möglichst lange anzuhalten und daß sie sich längere Zeit aller kräf¬
tigen Nahrung enthalten und nur von Milch leben, was, wie sie sagen, den
Magen vor Fäulniß bewahrt und bewirkt, daß die Haare zu wachsen auf¬
hören. Einer ließ sich auf vierzehn Tage von einem englischen Offizier, der
an seinem Vorgeben zweifelte, in einem hölzernen Kasten an einer Stubendecke
aufhängen, wo Jedermann sehen konnte, daß kein Betrug stattfand. Der
merkwürdigste Fall dieser Art ereignete sich bei Lahore unter Runzit Sings
Negierung, als Sir Claude Wade sich als Bevollmächtigter der indischen Com¬
pagnie dort aufhielt, indem ein Fakir nach vorausgegangner Hungerkur sich
auf sechs Wochen begraben ließ und nach Verlauf dieser Zeit wieder zum
Leben erwachte. Wir geben die Geschichte mit einigen Abkürzungen nach Sir
Claude's Bericht, es den Lesern überlassend, ob sie dem Erzähler vollen, hal¬
ben oder gnr keinen Glauben beimessen wollen.

„Am Tage der Ausgrabung," berichtet Wade, welcher der Beerdigung
des Fakirs beiläufig nicht beigewohnt, die nähern Umstände aber von Runzit
Sing und „andern glaubwürdigen Personen seines Hoff, an deren Wahrhaf¬
tigkeit nicht zu zweifeln war/' gehört hatte, „begab ich mich zur festgesetzten
Stunde mit Runzit Sing nach dem Orte, wo der Fakir begraben lag. Es
war ein viereckiges Gebäude in der Mitte eines Gartens, der mit dem Palast
von Lahore in Verbindung stand. Dasselbe war mit einer Verandah um¬
geben und besaß nur in der Mitte ein Gemach, das ganz abgeschlossen war.
Runzit Sing war von seinem ganzen Hofe begleitet. Als er von seinem Ele¬
phanten gestiegen, forderte er mich auf. mit ihm das Gebäude zu untersuchen
und nachzusehen, ob Alles verschlossen und in solchem Zustand sei. wie er es
verlassen. Dies geschah. Es befand sich nämlich aus jeder der vier Seiten
eine Thür. Drei davon hatte man mit Ziegeln ganz, die vierte, welche sehr
stark war, nur bis zum Schloß zugemauert. Das letztere hatte Runzit Sing
mit seinem Privatpetschaft eigenhändig versiegelt, als der Fakir begraben wor¬
den war. Der Maharadscha erkannte das Siegel als das seine an. Er selbst.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0344" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/112852"/>
            <p xml:id="ID_1023" prev="#ID_1022"> um ihre durch heiliges Leben erlangte Macht über die Natur zu beweisen.<lb/>
Zu letzteren gehören jene merkwürdigen Menschen, welche, uns unerklärlichen<lb/>
Kräften und Gesalzen gemäß, mehre Minuten bis vier Fuß über der Erde<lb/>
zu schweben wissen, indem sie sich dabei keiner andern Stütze bedienen, als<lb/>
einer Krücke, auf welche sie den Rücken der einen Hand stützen, während die<lb/>
Finger emsig die Bohnen ihres Rosenkranzes zählen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1024"> Noch merkwürdiger und schwerer zu begreifen ist endlich das Kunststück,<lb/>
bei welchem sich Individuen dieser Mönchsorden lebendig begraben lassen und<lb/>
nach einigen Tagen oder Wochen wieder zum Leben gebracht werden. Das<lb/>
Werk v. Orlichs berichtet mehre dieser Fälle, von denen einer aus dem Jahre<lb/>
1835 ist. Die Künstler üben sich meist dadurch ein. daß sie sich gewöhnen,<lb/>
den Athem möglichst lange anzuhalten und daß sie sich längere Zeit aller kräf¬<lb/>
tigen Nahrung enthalten und nur von Milch leben, was, wie sie sagen, den<lb/>
Magen vor Fäulniß bewahrt und bewirkt, daß die Haare zu wachsen auf¬<lb/>
hören. Einer ließ sich auf vierzehn Tage von einem englischen Offizier, der<lb/>
an seinem Vorgeben zweifelte, in einem hölzernen Kasten an einer Stubendecke<lb/>
aufhängen, wo Jedermann sehen konnte, daß kein Betrug stattfand. Der<lb/>
merkwürdigste Fall dieser Art ereignete sich bei Lahore unter Runzit Sings<lb/>
Negierung, als Sir Claude Wade sich als Bevollmächtigter der indischen Com¬<lb/>
pagnie dort aufhielt, indem ein Fakir nach vorausgegangner Hungerkur sich<lb/>
auf sechs Wochen begraben ließ und nach Verlauf dieser Zeit wieder zum<lb/>
Leben erwachte. Wir geben die Geschichte mit einigen Abkürzungen nach Sir<lb/>
Claude's Bericht, es den Lesern überlassend, ob sie dem Erzähler vollen, hal¬<lb/>
ben oder gnr keinen Glauben beimessen wollen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1025" next="#ID_1026"> &#x201E;Am Tage der Ausgrabung," berichtet Wade, welcher der Beerdigung<lb/>
des Fakirs beiläufig nicht beigewohnt, die nähern Umstände aber von Runzit<lb/>
Sing und &#x201E;andern glaubwürdigen Personen seines Hoff, an deren Wahrhaf¬<lb/>
tigkeit nicht zu zweifeln war/' gehört hatte, &#x201E;begab ich mich zur festgesetzten<lb/>
Stunde mit Runzit Sing nach dem Orte, wo der Fakir begraben lag. Es<lb/>
war ein viereckiges Gebäude in der Mitte eines Gartens, der mit dem Palast<lb/>
von Lahore in Verbindung stand. Dasselbe war mit einer Verandah um¬<lb/>
geben und besaß nur in der Mitte ein Gemach, das ganz abgeschlossen war.<lb/>
Runzit Sing war von seinem ganzen Hofe begleitet. Als er von seinem Ele¬<lb/>
phanten gestiegen, forderte er mich auf. mit ihm das Gebäude zu untersuchen<lb/>
und nachzusehen, ob Alles verschlossen und in solchem Zustand sei. wie er es<lb/>
verlassen. Dies geschah. Es befand sich nämlich aus jeder der vier Seiten<lb/>
eine Thür. Drei davon hatte man mit Ziegeln ganz, die vierte, welche sehr<lb/>
stark war, nur bis zum Schloß zugemauert. Das letztere hatte Runzit Sing<lb/>
mit seinem Privatpetschaft eigenhändig versiegelt, als der Fakir begraben wor¬<lb/>
den war.  Der Maharadscha erkannte das Siegel als das seine an.  Er selbst.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0344] um ihre durch heiliges Leben erlangte Macht über die Natur zu beweisen. Zu letzteren gehören jene merkwürdigen Menschen, welche, uns unerklärlichen Kräften und Gesalzen gemäß, mehre Minuten bis vier Fuß über der Erde zu schweben wissen, indem sie sich dabei keiner andern Stütze bedienen, als einer Krücke, auf welche sie den Rücken der einen Hand stützen, während die Finger emsig die Bohnen ihres Rosenkranzes zählen. Noch merkwürdiger und schwerer zu begreifen ist endlich das Kunststück, bei welchem sich Individuen dieser Mönchsorden lebendig begraben lassen und nach einigen Tagen oder Wochen wieder zum Leben gebracht werden. Das Werk v. Orlichs berichtet mehre dieser Fälle, von denen einer aus dem Jahre 1835 ist. Die Künstler üben sich meist dadurch ein. daß sie sich gewöhnen, den Athem möglichst lange anzuhalten und daß sie sich längere Zeit aller kräf¬ tigen Nahrung enthalten und nur von Milch leben, was, wie sie sagen, den Magen vor Fäulniß bewahrt und bewirkt, daß die Haare zu wachsen auf¬ hören. Einer ließ sich auf vierzehn Tage von einem englischen Offizier, der an seinem Vorgeben zweifelte, in einem hölzernen Kasten an einer Stubendecke aufhängen, wo Jedermann sehen konnte, daß kein Betrug stattfand. Der merkwürdigste Fall dieser Art ereignete sich bei Lahore unter Runzit Sings Negierung, als Sir Claude Wade sich als Bevollmächtigter der indischen Com¬ pagnie dort aufhielt, indem ein Fakir nach vorausgegangner Hungerkur sich auf sechs Wochen begraben ließ und nach Verlauf dieser Zeit wieder zum Leben erwachte. Wir geben die Geschichte mit einigen Abkürzungen nach Sir Claude's Bericht, es den Lesern überlassend, ob sie dem Erzähler vollen, hal¬ ben oder gnr keinen Glauben beimessen wollen. „Am Tage der Ausgrabung," berichtet Wade, welcher der Beerdigung des Fakirs beiläufig nicht beigewohnt, die nähern Umstände aber von Runzit Sing und „andern glaubwürdigen Personen seines Hoff, an deren Wahrhaf¬ tigkeit nicht zu zweifeln war/' gehört hatte, „begab ich mich zur festgesetzten Stunde mit Runzit Sing nach dem Orte, wo der Fakir begraben lag. Es war ein viereckiges Gebäude in der Mitte eines Gartens, der mit dem Palast von Lahore in Verbindung stand. Dasselbe war mit einer Verandah um¬ geben und besaß nur in der Mitte ein Gemach, das ganz abgeschlossen war. Runzit Sing war von seinem ganzen Hofe begleitet. Als er von seinem Ele¬ phanten gestiegen, forderte er mich auf. mit ihm das Gebäude zu untersuchen und nachzusehen, ob Alles verschlossen und in solchem Zustand sei. wie er es verlassen. Dies geschah. Es befand sich nämlich aus jeder der vier Seiten eine Thür. Drei davon hatte man mit Ziegeln ganz, die vierte, welche sehr stark war, nur bis zum Schloß zugemauert. Das letztere hatte Runzit Sing mit seinem Privatpetschaft eigenhändig versiegelt, als der Fakir begraben wor¬ den war. Der Maharadscha erkannte das Siegel als das seine an. Er selbst.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/344
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/344>, abgerufen am 23.07.2024.