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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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Die Sudras haben sich in einigen der von ihnen herstammenden Kasten, na-
mentlich in den Cayots, so erhoben, daß letztere den Brahmanen an Kennt¬
niß und Einfluß in manchen Gegenden fast gleickstehen. Ueberhaupt hat das
Kastenwesen zwar die Entwickelung des Volkes als Ganzen in verderblichster
Weise gehemmt, dein Unternehmungsgeist der Einzelnen aber wenigstens in
den letzten Jahrhunderten keine unübersteiglichen Schranken gesetzt. Es gibt
keinen indischen Hof. an dem nicht Männer zu finden wären, welche aus
den niedrigsten Stellungen zu den höchsten Aemtern gelangten. Die Regie¬
rungen der Großmoguln, der Könige von Audh, der Nizams, der Persch-
was und der S>kh - Maharadschas sind Beispiele davon. Der letzte Peischwa
hatte zu verschiedenen Zeiten zwei erste Minister, von denen der eine vor
seiner Erhebung Priesterdiener und Tempelsänger, der andre Läufer gewesen
war, der Premier des Radschas von Jeypur war ursprünglich Bartscherer,
der Stamnwatcr der Holkars Ziegenhirt, der Urahn der Seindiah Bedienter,
und alle diese hohen Würdenträger stammten aus der Sudra-Kaste.

Eine sehr wichtige Stelle nehmen im indischen Leben die Mönchsorden,
ein, die in vielen Beziehungen den westasiatischen Derwischen gleichen und jetzt
gleichsam eine neue Kaste bilden. Sie sind wahrscheinlich aus der den Brach-
manen von Menu als vierte Lebensstufe vorgeschriebnen Observanz hervorge¬
gangen und durch den Buddhismus in besondrer Weise gefördert worden.
Der in der Einsamkeit lebende Brahmane ist von der Beobachtung aller der
tausend äußerlichen Borschriften der drei ersten Stufen entbunden, um sich
lediglich der Beschaulichkeit und der Versenkung in die Gottheit zu widmen.
In dieser Zurückgezogenheit und Stille hatte sein Leben große Anziehungskraft
für trostbedürftige, von der Welt zurückgestohne Individuen, die sich in Folge
dessen zu ihm gesellten, seinen Worten lauschten und nach und nach seinen
Gewohnheiten sich anschlössen, woraus dann bestimmte Büßervrden entstanden.
Dies scheint im achten Jahrhundert unsrer Zeitrechnung begonnen zu haben,
doch ist keiner der jetzt bestehenden Mönchsorden Indiens älter als fünfhun¬
dert Jahre. Einige derselben bestehen ausschließlich aus Busaaren, die mei¬
sten jedoch bildeten sich aus allen Klassen, so daß jeder Kastenunterschied auf¬
hörte. Die Brahmanen entsagten der "heiligen Schnur der zweimal Gebornen"
(Wiedergebornen N, die Mitglieder andrer Kasten ihren Vorrechten. Alle galten
als gleich. Die Orden zeigen nichts von der Abgeschlossenheit und dem spe--
cifischen Charakter der christlichen, machen sich aber durch ihre Kleidung be¬
merkbar, indem einige ernen schmutzig gelben Turban tragen, andere sich nur
mit einer Thierhaut bedecken, noch andere ganz nackend einhergehen. Alle
sind durch Gelübde verschiedenster Art gebunden, alle nehmen Almosen an,
obwol nur einige darum bitten. Die Lehren und Regeln einiger sind über
ganz Indien verbreitet, wogegen die von andern sich auf bestimmte Orte be-


Die Sudras haben sich in einigen der von ihnen herstammenden Kasten, na-
mentlich in den Cayots, so erhoben, daß letztere den Brahmanen an Kennt¬
niß und Einfluß in manchen Gegenden fast gleickstehen. Ueberhaupt hat das
Kastenwesen zwar die Entwickelung des Volkes als Ganzen in verderblichster
Weise gehemmt, dein Unternehmungsgeist der Einzelnen aber wenigstens in
den letzten Jahrhunderten keine unübersteiglichen Schranken gesetzt. Es gibt
keinen indischen Hof. an dem nicht Männer zu finden wären, welche aus
den niedrigsten Stellungen zu den höchsten Aemtern gelangten. Die Regie¬
rungen der Großmoguln, der Könige von Audh, der Nizams, der Persch-
was und der S>kh - Maharadschas sind Beispiele davon. Der letzte Peischwa
hatte zu verschiedenen Zeiten zwei erste Minister, von denen der eine vor
seiner Erhebung Priesterdiener und Tempelsänger, der andre Läufer gewesen
war, der Premier des Radschas von Jeypur war ursprünglich Bartscherer,
der Stamnwatcr der Holkars Ziegenhirt, der Urahn der Seindiah Bedienter,
und alle diese hohen Würdenträger stammten aus der Sudra-Kaste.

Eine sehr wichtige Stelle nehmen im indischen Leben die Mönchsorden,
ein, die in vielen Beziehungen den westasiatischen Derwischen gleichen und jetzt
gleichsam eine neue Kaste bilden. Sie sind wahrscheinlich aus der den Brach-
manen von Menu als vierte Lebensstufe vorgeschriebnen Observanz hervorge¬
gangen und durch den Buddhismus in besondrer Weise gefördert worden.
Der in der Einsamkeit lebende Brahmane ist von der Beobachtung aller der
tausend äußerlichen Borschriften der drei ersten Stufen entbunden, um sich
lediglich der Beschaulichkeit und der Versenkung in die Gottheit zu widmen.
In dieser Zurückgezogenheit und Stille hatte sein Leben große Anziehungskraft
für trostbedürftige, von der Welt zurückgestohne Individuen, die sich in Folge
dessen zu ihm gesellten, seinen Worten lauschten und nach und nach seinen
Gewohnheiten sich anschlössen, woraus dann bestimmte Büßervrden entstanden.
Dies scheint im achten Jahrhundert unsrer Zeitrechnung begonnen zu haben,
doch ist keiner der jetzt bestehenden Mönchsorden Indiens älter als fünfhun¬
dert Jahre. Einige derselben bestehen ausschließlich aus Busaaren, die mei¬
sten jedoch bildeten sich aus allen Klassen, so daß jeder Kastenunterschied auf¬
hörte. Die Brahmanen entsagten der „heiligen Schnur der zweimal Gebornen"
(Wiedergebornen N, die Mitglieder andrer Kasten ihren Vorrechten. Alle galten
als gleich. Die Orden zeigen nichts von der Abgeschlossenheit und dem spe--
cifischen Charakter der christlichen, machen sich aber durch ihre Kleidung be¬
merkbar, indem einige ernen schmutzig gelben Turban tragen, andere sich nur
mit einer Thierhaut bedecken, noch andere ganz nackend einhergehen. Alle
sind durch Gelübde verschiedenster Art gebunden, alle nehmen Almosen an,
obwol nur einige darum bitten. Die Lehren und Regeln einiger sind über
ganz Indien verbreitet, wogegen die von andern sich auf bestimmte Orte be-


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[0342] Die Sudras haben sich in einigen der von ihnen herstammenden Kasten, na- mentlich in den Cayots, so erhoben, daß letztere den Brahmanen an Kennt¬ niß und Einfluß in manchen Gegenden fast gleickstehen. Ueberhaupt hat das Kastenwesen zwar die Entwickelung des Volkes als Ganzen in verderblichster Weise gehemmt, dein Unternehmungsgeist der Einzelnen aber wenigstens in den letzten Jahrhunderten keine unübersteiglichen Schranken gesetzt. Es gibt keinen indischen Hof. an dem nicht Männer zu finden wären, welche aus den niedrigsten Stellungen zu den höchsten Aemtern gelangten. Die Regie¬ rungen der Großmoguln, der Könige von Audh, der Nizams, der Persch- was und der S>kh - Maharadschas sind Beispiele davon. Der letzte Peischwa hatte zu verschiedenen Zeiten zwei erste Minister, von denen der eine vor seiner Erhebung Priesterdiener und Tempelsänger, der andre Läufer gewesen war, der Premier des Radschas von Jeypur war ursprünglich Bartscherer, der Stamnwatcr der Holkars Ziegenhirt, der Urahn der Seindiah Bedienter, und alle diese hohen Würdenträger stammten aus der Sudra-Kaste. Eine sehr wichtige Stelle nehmen im indischen Leben die Mönchsorden, ein, die in vielen Beziehungen den westasiatischen Derwischen gleichen und jetzt gleichsam eine neue Kaste bilden. Sie sind wahrscheinlich aus der den Brach- manen von Menu als vierte Lebensstufe vorgeschriebnen Observanz hervorge¬ gangen und durch den Buddhismus in besondrer Weise gefördert worden. Der in der Einsamkeit lebende Brahmane ist von der Beobachtung aller der tausend äußerlichen Borschriften der drei ersten Stufen entbunden, um sich lediglich der Beschaulichkeit und der Versenkung in die Gottheit zu widmen. In dieser Zurückgezogenheit und Stille hatte sein Leben große Anziehungskraft für trostbedürftige, von der Welt zurückgestohne Individuen, die sich in Folge dessen zu ihm gesellten, seinen Worten lauschten und nach und nach seinen Gewohnheiten sich anschlössen, woraus dann bestimmte Büßervrden entstanden. Dies scheint im achten Jahrhundert unsrer Zeitrechnung begonnen zu haben, doch ist keiner der jetzt bestehenden Mönchsorden Indiens älter als fünfhun¬ dert Jahre. Einige derselben bestehen ausschließlich aus Busaaren, die mei¬ sten jedoch bildeten sich aus allen Klassen, so daß jeder Kastenunterschied auf¬ hörte. Die Brahmanen entsagten der „heiligen Schnur der zweimal Gebornen" (Wiedergebornen N, die Mitglieder andrer Kasten ihren Vorrechten. Alle galten als gleich. Die Orden zeigen nichts von der Abgeschlossenheit und dem spe-- cifischen Charakter der christlichen, machen sich aber durch ihre Kleidung be¬ merkbar, indem einige ernen schmutzig gelben Turban tragen, andere sich nur mit einer Thierhaut bedecken, noch andere ganz nackend einhergehen. Alle sind durch Gelübde verschiedenster Art gebunden, alle nehmen Almosen an, obwol nur einige darum bitten. Die Lehren und Regeln einiger sind über ganz Indien verbreitet, wogegen die von andern sich auf bestimmte Orte be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/342>, abgerufen am 23.07.2024.