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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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dadurch verstärkt worden, daß Broglie im Jahre 1833 den Vorschlag Talley-
rand's, über ein förmliches Bündniß mit England zu unterhandeln, abgewiesen
hatte. Dazu kam noch, daß Ludwig Philipp, obschon aufrichtig dem consti-
tutionellen System ergeben und von der Nothwendigkeit desselben überzeugt,
doch ungern in die Consequenzen sich fügte, die dasselbe ihm auferlegte. Er
war am liebsten sein eigener Ministerpräsident. In seiner leichten Weise, die
Sachen zu nehmen, antwortete er Thiers und Guizot, wenn sie auf die Noth¬
wendigkeit einer wirklichen, nicht blos nomineller Präsidentschaft hinwiesen:
"Wozu haben Sie einen Präsidenten nöthig? Sind Sie nicht unter einander
einig? Bin ich nicht mit Ihnen einverstanden?" Diesmal nöthigte ihn in¬
dessen die Fruchtlosigkeit aller Versuche, auf neuen Grundlagen ein Cabinet zu
bilden, sich dem Verlangen Guizot's zu fügen.

Schwieriger noch war es. Thiers zu der Annahme der von Guizot an¬
gestrebten Combination zu bewegen. Thiers befand sich in einer bedenklichen
Situation: jede Wendung, die er machen mochte, setzte ihn der Gefahr aus,
sich zu compromittiren. Sich von den Doctrinärs zu trennen und auf eigne
Hand ein Cabinet zu bilden, mochte seinem Gefühl widerstreben; vor Allem
aber fühlte er sich noch nicht stark genug dazu; auf die Gefahr, mit einem
solchen Unternehmen zu scheitern, durfte er es unmöglich ankommen lassen.
Auf der andern Seite mußte es ihm nicht minder bedenklich erscheinen, sich
noch enger mit den Doctrinärs zu verknüpfen und Guizot gegenüber sich in
eine offenbar unfreie Stellung herabdrücken zu lassen. Aber es blieb ihm
keine Wahl. Dennoch zögerte und schwankte er: er wünschte das, was er thun
mußte, wenigstens auch unter dem Schein einer Nothwendigkeit zu thun.
Guizot (denn so fassen wir das Verhältniß auf) that ihm den Gefallen, ihn
durch einen leichten moralischen Druck seiner Verlegenheit zu entreißen. Er
rief eine Erklärung der Kammermajorität hervor, in der dieselbe die bisherige
Politik des Ministeriums billigte und ihren dringenden Wunsch für die Er¬
haltung desselben aussprach. Auf diese Erklärung hin gab Thiers sein
Widerstreben auf, und dem Eintritt Broglie's stand weiter kein Hinderniß
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im Wege.

Unter der Leitung des neuconstruirten Cabinets machte die Gesetzgebung
nicht unbedeutende Fortschritte. Die verdrießliche amerikanische Angelegenheit
wurde definitiv regulirt, die Criminalgesetzgevung in den Colonien refornürt,
ZoUerleichterungcn im Verkehr mit England wurden theils eingeführt theils
angebahnt. Dagegen vermögen wir in dem Verlaufe des Processes der
Aprilangeklagten vor dem Pairshofe keineswegs eine Stärkung der Staats¬
gewalt zu erkennen. Zwar der Ruhe. Festigkeit und maßvollen Billigkeit der
Pairskammer gegenüber der in den Annalen der Criminalistik unerhörten
Zügellosigkeit und Frechheit der Angeklagten war alle Anerkennung zu zollen.


dadurch verstärkt worden, daß Broglie im Jahre 1833 den Vorschlag Talley-
rand's, über ein förmliches Bündniß mit England zu unterhandeln, abgewiesen
hatte. Dazu kam noch, daß Ludwig Philipp, obschon aufrichtig dem consti-
tutionellen System ergeben und von der Nothwendigkeit desselben überzeugt,
doch ungern in die Consequenzen sich fügte, die dasselbe ihm auferlegte. Er
war am liebsten sein eigener Ministerpräsident. In seiner leichten Weise, die
Sachen zu nehmen, antwortete er Thiers und Guizot, wenn sie auf die Noth¬
wendigkeit einer wirklichen, nicht blos nomineller Präsidentschaft hinwiesen:
„Wozu haben Sie einen Präsidenten nöthig? Sind Sie nicht unter einander
einig? Bin ich nicht mit Ihnen einverstanden?" Diesmal nöthigte ihn in¬
dessen die Fruchtlosigkeit aller Versuche, auf neuen Grundlagen ein Cabinet zu
bilden, sich dem Verlangen Guizot's zu fügen.

Schwieriger noch war es. Thiers zu der Annahme der von Guizot an¬
gestrebten Combination zu bewegen. Thiers befand sich in einer bedenklichen
Situation: jede Wendung, die er machen mochte, setzte ihn der Gefahr aus,
sich zu compromittiren. Sich von den Doctrinärs zu trennen und auf eigne
Hand ein Cabinet zu bilden, mochte seinem Gefühl widerstreben; vor Allem
aber fühlte er sich noch nicht stark genug dazu; auf die Gefahr, mit einem
solchen Unternehmen zu scheitern, durfte er es unmöglich ankommen lassen.
Auf der andern Seite mußte es ihm nicht minder bedenklich erscheinen, sich
noch enger mit den Doctrinärs zu verknüpfen und Guizot gegenüber sich in
eine offenbar unfreie Stellung herabdrücken zu lassen. Aber es blieb ihm
keine Wahl. Dennoch zögerte und schwankte er: er wünschte das, was er thun
mußte, wenigstens auch unter dem Schein einer Nothwendigkeit zu thun.
Guizot (denn so fassen wir das Verhältniß auf) that ihm den Gefallen, ihn
durch einen leichten moralischen Druck seiner Verlegenheit zu entreißen. Er
rief eine Erklärung der Kammermajorität hervor, in der dieselbe die bisherige
Politik des Ministeriums billigte und ihren dringenden Wunsch für die Er¬
haltung desselben aussprach. Auf diese Erklärung hin gab Thiers sein
Widerstreben auf, und dem Eintritt Broglie's stand weiter kein Hinderniß
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Unter der Leitung des neuconstruirten Cabinets machte die Gesetzgebung
nicht unbedeutende Fortschritte. Die verdrießliche amerikanische Angelegenheit
wurde definitiv regulirt, die Criminalgesetzgevung in den Colonien refornürt,
ZoUerleichterungcn im Verkehr mit England wurden theils eingeführt theils
angebahnt. Dagegen vermögen wir in dem Verlaufe des Processes der
Aprilangeklagten vor dem Pairshofe keineswegs eine Stärkung der Staats¬
gewalt zu erkennen. Zwar der Ruhe. Festigkeit und maßvollen Billigkeit der
Pairskammer gegenüber der in den Annalen der Criminalistik unerhörten
Zügellosigkeit und Frechheit der Angeklagten war alle Anerkennung zu zollen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/322>, abgerufen am 23.07.2024.