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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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der Ordnung unter einem strengen Regiments durchmachen müssen, ehe man die
Hoffnung gewinnen konnte, daß aus ihr eine regierungsfähige Whigpartei her¬
vorgehen würde. -- Zunächst hielten Guizot und Thiers noch zusammen, um
den ihnen unbequemen, aber der persönlichen Politik des Königs genehmen
Soult zu stürzen. Die Intrigue war keineswegs löblich. Der Marschall be¬
stand auf der Fortdauer der militärischen Verwaltung Algiers. Gegen seine
Ueberzeugung, nur um Soult zu entfernen, forderte Guizot mit den übrigen
Ministern die Einführung der damals unmöglichen Civilverwaltung. Dies
bewog den Marschall, seine Entlassung zu geben.*) Ob das ganze Verfahren
mit auf eine Lection für den König berechnet gewesen ist, oder ob auch Guizot
sich von Thiers hat dupiren lassen, ist nicht recht klar. Jedenfalls war es
ein Gewinn für Thiers Einfluß, daß der ihm befreundete, politisch wenig be¬
deutende Marschall Gsrard an Soult's Stelle trat. Durch Gsrard's Eintritt,
der für eine allgemeine Amnestie war. gewinnt zunächst der l'lei-s-pg.i'ti an
Boden. Die Annahme einer kühl und zweideutig gehaltenen Adresse veranlaßt
das Ministerium, seine Entlassung einzureichen, hauptsächlich, um den lisrs-
pg-rei, auf den nun die Last fiel, ein Cabinet zu bilden, lächerlich zu machen.
Dies gelang auch vollkommen. Nach einer Existenz von drei Tagen ver¬
schwindet das Ministerium des tiers-x^rei von der Bühne, zur großen Er¬
heiterung der lachlustiger Pariser. Der kluge Dupin der Aeltere konnte sich
Glück wünschen, daß er sich in dieser Sache möglichst im Hintergrunde gehalten
hatte. Das alte Cabinet wird unter der Schattenpräsidentschaft des Marschalls
Mortier wiederhergestellt und stärkt seine Stellung dadurch, daß es zwei Ver¬
trauensvota provocirt, deren eines, die Bewilligung eines Credits zum Bau
eines Gerichtssaalcs für den Pairshof in der Sache der Aprilangeklagten von
Lyon und Paris, die Amnestiefrage implicite im Sinne des Königs und der
Minister entschied. Dennoch war die Stellung des Cabinets schwankend.
Daß Talleyrand seinen Gesandtschaftsposten in London aufgab, war nicht
blos eine Folge von Gesundheitsrücksichten. Der Rücktritt des alten wetter-
kundigcn Diplomaten war ein immerhin bedenkliches Symptom. Es fehlte
dem Cabinete die innere Einheit, ohne die eine starke, Vertrauen erweckende
Politik unmöglich ist; daher beschloß Guizot, als im Februar 1835 Mortier,
seiner Rolle überdrüssig, von seinem Posten zurücktrat, um jeden Preis den
Herzog von Broglie als Präsidenten und Minister des Auswärtigen in's Ca¬
binet zu bringen. Die erste Schwierigkeit, die diesem Vorhaben im Wege
stand, war die bekannte Abneigung des Königs gegen den allen Einflüssen
unzugänglichen Broglie. Diese Abneigung war vor einigen Jahren noch



') Als Soult diesen Entschluß im Conseil aussprach, rief der Marineminister, Admiral
"i'acob, der offenbar nicht in der Intrigue war: "KIÄis, monsiöur Iiz marsctix^ votrs rstrtütL
serait, ig, clissolutioll neu CAbwe-t; ki vous sei<Z2 moi't, encore xs,sse.

der Ordnung unter einem strengen Regiments durchmachen müssen, ehe man die
Hoffnung gewinnen konnte, daß aus ihr eine regierungsfähige Whigpartei her¬
vorgehen würde. — Zunächst hielten Guizot und Thiers noch zusammen, um
den ihnen unbequemen, aber der persönlichen Politik des Königs genehmen
Soult zu stürzen. Die Intrigue war keineswegs löblich. Der Marschall be¬
stand auf der Fortdauer der militärischen Verwaltung Algiers. Gegen seine
Ueberzeugung, nur um Soult zu entfernen, forderte Guizot mit den übrigen
Ministern die Einführung der damals unmöglichen Civilverwaltung. Dies
bewog den Marschall, seine Entlassung zu geben.*) Ob das ganze Verfahren
mit auf eine Lection für den König berechnet gewesen ist, oder ob auch Guizot
sich von Thiers hat dupiren lassen, ist nicht recht klar. Jedenfalls war es
ein Gewinn für Thiers Einfluß, daß der ihm befreundete, politisch wenig be¬
deutende Marschall Gsrard an Soult's Stelle trat. Durch Gsrard's Eintritt,
der für eine allgemeine Amnestie war. gewinnt zunächst der l'lei-s-pg.i'ti an
Boden. Die Annahme einer kühl und zweideutig gehaltenen Adresse veranlaßt
das Ministerium, seine Entlassung einzureichen, hauptsächlich, um den lisrs-
pg-rei, auf den nun die Last fiel, ein Cabinet zu bilden, lächerlich zu machen.
Dies gelang auch vollkommen. Nach einer Existenz von drei Tagen ver¬
schwindet das Ministerium des tiers-x^rei von der Bühne, zur großen Er¬
heiterung der lachlustiger Pariser. Der kluge Dupin der Aeltere konnte sich
Glück wünschen, daß er sich in dieser Sache möglichst im Hintergrunde gehalten
hatte. Das alte Cabinet wird unter der Schattenpräsidentschaft des Marschalls
Mortier wiederhergestellt und stärkt seine Stellung dadurch, daß es zwei Ver¬
trauensvota provocirt, deren eines, die Bewilligung eines Credits zum Bau
eines Gerichtssaalcs für den Pairshof in der Sache der Aprilangeklagten von
Lyon und Paris, die Amnestiefrage implicite im Sinne des Königs und der
Minister entschied. Dennoch war die Stellung des Cabinets schwankend.
Daß Talleyrand seinen Gesandtschaftsposten in London aufgab, war nicht
blos eine Folge von Gesundheitsrücksichten. Der Rücktritt des alten wetter-
kundigcn Diplomaten war ein immerhin bedenkliches Symptom. Es fehlte
dem Cabinete die innere Einheit, ohne die eine starke, Vertrauen erweckende
Politik unmöglich ist; daher beschloß Guizot, als im Februar 1835 Mortier,
seiner Rolle überdrüssig, von seinem Posten zurücktrat, um jeden Preis den
Herzog von Broglie als Präsidenten und Minister des Auswärtigen in's Ca¬
binet zu bringen. Die erste Schwierigkeit, die diesem Vorhaben im Wege
stand, war die bekannte Abneigung des Königs gegen den allen Einflüssen
unzugänglichen Broglie. Diese Abneigung war vor einigen Jahren noch



') Als Soult diesen Entschluß im Conseil aussprach, rief der Marineminister, Admiral
»i'acob, der offenbar nicht in der Intrigue war: „KIÄis, monsiöur Iiz marsctix^ votrs rstrtütL
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[0321] der Ordnung unter einem strengen Regiments durchmachen müssen, ehe man die Hoffnung gewinnen konnte, daß aus ihr eine regierungsfähige Whigpartei her¬ vorgehen würde. — Zunächst hielten Guizot und Thiers noch zusammen, um den ihnen unbequemen, aber der persönlichen Politik des Königs genehmen Soult zu stürzen. Die Intrigue war keineswegs löblich. Der Marschall be¬ stand auf der Fortdauer der militärischen Verwaltung Algiers. Gegen seine Ueberzeugung, nur um Soult zu entfernen, forderte Guizot mit den übrigen Ministern die Einführung der damals unmöglichen Civilverwaltung. Dies bewog den Marschall, seine Entlassung zu geben.*) Ob das ganze Verfahren mit auf eine Lection für den König berechnet gewesen ist, oder ob auch Guizot sich von Thiers hat dupiren lassen, ist nicht recht klar. Jedenfalls war es ein Gewinn für Thiers Einfluß, daß der ihm befreundete, politisch wenig be¬ deutende Marschall Gsrard an Soult's Stelle trat. Durch Gsrard's Eintritt, der für eine allgemeine Amnestie war. gewinnt zunächst der l'lei-s-pg.i'ti an Boden. Die Annahme einer kühl und zweideutig gehaltenen Adresse veranlaßt das Ministerium, seine Entlassung einzureichen, hauptsächlich, um den lisrs- pg-rei, auf den nun die Last fiel, ein Cabinet zu bilden, lächerlich zu machen. Dies gelang auch vollkommen. Nach einer Existenz von drei Tagen ver¬ schwindet das Ministerium des tiers-x^rei von der Bühne, zur großen Er¬ heiterung der lachlustiger Pariser. Der kluge Dupin der Aeltere konnte sich Glück wünschen, daß er sich in dieser Sache möglichst im Hintergrunde gehalten hatte. Das alte Cabinet wird unter der Schattenpräsidentschaft des Marschalls Mortier wiederhergestellt und stärkt seine Stellung dadurch, daß es zwei Ver¬ trauensvota provocirt, deren eines, die Bewilligung eines Credits zum Bau eines Gerichtssaalcs für den Pairshof in der Sache der Aprilangeklagten von Lyon und Paris, die Amnestiefrage implicite im Sinne des Königs und der Minister entschied. Dennoch war die Stellung des Cabinets schwankend. Daß Talleyrand seinen Gesandtschaftsposten in London aufgab, war nicht blos eine Folge von Gesundheitsrücksichten. Der Rücktritt des alten wetter- kundigcn Diplomaten war ein immerhin bedenkliches Symptom. Es fehlte dem Cabinete die innere Einheit, ohne die eine starke, Vertrauen erweckende Politik unmöglich ist; daher beschloß Guizot, als im Februar 1835 Mortier, seiner Rolle überdrüssig, von seinem Posten zurücktrat, um jeden Preis den Herzog von Broglie als Präsidenten und Minister des Auswärtigen in's Ca¬ binet zu bringen. Die erste Schwierigkeit, die diesem Vorhaben im Wege stand, war die bekannte Abneigung des Königs gegen den allen Einflüssen unzugänglichen Broglie. Diese Abneigung war vor einigen Jahren noch ') Als Soult diesen Entschluß im Conseil aussprach, rief der Marineminister, Admiral »i'acob, der offenbar nicht in der Intrigue war: „KIÄis, monsiöur Iiz marsctix^ votrs rstrtütL serait, ig, clissolutioll neu CAbwe-t; ki vous sei<Z2 moi't, encore xs,sse.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/321>, abgerufen am 23.07.2024.