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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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materiellen Vortheil ausbeutete und dadurch ihren aufmerksamen Gegnern
Blößen bot. die sofort mit den furchtbarsten Waffen angegriffen wurden.
Welch einen Stoff zu den bittersten Betrachtungen bot es z. B., daß man im
Sitzungssaale den Courszettel anschlagen ließ!

Die gefährlichste Waffe in den Händen der Gegner war die Presse. Sie
wirkte zugleich aufregend auf die revolutionären und terrorifirend auf die con-
servativen Elemente. Die Furcht äußerte sich auf verschiedene Weise. Die
Einen forderten die strengsten Maßregeln gegen jede Ausschreitung. Andere
zeigten sich über die Maßen nachgiebig gegen die Anarchie, um für den Fall
eines Umschwunges der Dinge nur ihre Personen zu decken. Ein sehr an¬
gesehener Banquier antwortete Guizot. der ihm seine Verwunderung über sein
Verhalten in der Kammer, das mit seiner sehr conservativen Gesinnung in
stärkstem Widerspruche stand, ausdrückte: Was wollen Sie? Sie werden mir
niemals etwas zu Leide thun. Aber jene Leute werden einst die Herren werden,
und sie haben Freunde, die wohl den Einfall haben könnten, mir mein Ver¬
mögen zu nehmen und mir den Kopf abzuschneiden. Ich will mich nicht mit
ihnen überwerfen.

Die gegen die beispiellos heftigen Angriffe der Zeitungen angewandten
Repressivmaßregeln hatten wenig Erfolg. Die Geschworenen standen ganz
unter dem terrorisirenden Einflüsse der Demagogie und waren nur streng gegen
die Legitimisten, bis zum Scandal nachsichtig gegen die Republikaner, denen
die Anklagebank meist zur Tribune wurde, von der herab sie ihre Grundsätze
mit der Gewalt einer leidenschaftlichen Beredsamkeit vertheidigten. Eine
große auch von Guizot getadelte Unklugheit war es unter diesen Umständen,
daß die Deputirtenkammer. die von dem leidenschaftlichsten Oppositionsjournale,
der "Tribune", heftig angegriffen war. den Geranten des Blattes vor ihre
Barre lud. Die Verurtheilung erschien als ein theuer erkaufter Act der Rache.
Schweigend hatte das Haus es anhören müssen, wie die als Vertheidiger zu¬
gelassenen Redacteure, Godefroy Cavaignac und Armand Mannst, die extrem¬
sten Grundsätze entwickelten und die Gesetzgeber offen und triumphirend ver¬
höhnten. "Solche Kämpfe", bemerkt Guizot mit Recht, müssen in der Kampf¬
hahn der Freiheit und mit ihren Waffen geliefert werden."

Guizot ist daher von der Unzulänglichkeit der allerdings oft unvermeid¬
lichen Repressivmaaßregeln überzeugt. Der Zeitung muß die Zeitung entge¬
gentreten. Er hat dabei weniger eine officiöse Regierungspresse im Auge,
als unabhängige von umsichtigen und ergebenen Freunden der Regierung ge¬
leitete Organe. Wenn die Parteigenossen, wie die Bertuis und Saucy im Jour¬
nal des Debats, den außerparlamentarischen Kampf entschlossen und kühn auf¬
nehmen, so kann die Regierung den Angriffen ihrer Gegner Gleichgültigkeit
und Verachtung entgegensetzen, und besonders braucht sie sich nicht mit ge-


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materiellen Vortheil ausbeutete und dadurch ihren aufmerksamen Gegnern
Blößen bot. die sofort mit den furchtbarsten Waffen angegriffen wurden.
Welch einen Stoff zu den bittersten Betrachtungen bot es z. B., daß man im
Sitzungssaale den Courszettel anschlagen ließ!

Die gefährlichste Waffe in den Händen der Gegner war die Presse. Sie
wirkte zugleich aufregend auf die revolutionären und terrorifirend auf die con-
servativen Elemente. Die Furcht äußerte sich auf verschiedene Weise. Die
Einen forderten die strengsten Maßregeln gegen jede Ausschreitung. Andere
zeigten sich über die Maßen nachgiebig gegen die Anarchie, um für den Fall
eines Umschwunges der Dinge nur ihre Personen zu decken. Ein sehr an¬
gesehener Banquier antwortete Guizot. der ihm seine Verwunderung über sein
Verhalten in der Kammer, das mit seiner sehr conservativen Gesinnung in
stärkstem Widerspruche stand, ausdrückte: Was wollen Sie? Sie werden mir
niemals etwas zu Leide thun. Aber jene Leute werden einst die Herren werden,
und sie haben Freunde, die wohl den Einfall haben könnten, mir mein Ver¬
mögen zu nehmen und mir den Kopf abzuschneiden. Ich will mich nicht mit
ihnen überwerfen.

Die gegen die beispiellos heftigen Angriffe der Zeitungen angewandten
Repressivmaßregeln hatten wenig Erfolg. Die Geschworenen standen ganz
unter dem terrorisirenden Einflüsse der Demagogie und waren nur streng gegen
die Legitimisten, bis zum Scandal nachsichtig gegen die Republikaner, denen
die Anklagebank meist zur Tribune wurde, von der herab sie ihre Grundsätze
mit der Gewalt einer leidenschaftlichen Beredsamkeit vertheidigten. Eine
große auch von Guizot getadelte Unklugheit war es unter diesen Umständen,
daß die Deputirtenkammer. die von dem leidenschaftlichsten Oppositionsjournale,
der „Tribune", heftig angegriffen war. den Geranten des Blattes vor ihre
Barre lud. Die Verurtheilung erschien als ein theuer erkaufter Act der Rache.
Schweigend hatte das Haus es anhören müssen, wie die als Vertheidiger zu¬
gelassenen Redacteure, Godefroy Cavaignac und Armand Mannst, die extrem¬
sten Grundsätze entwickelten und die Gesetzgeber offen und triumphirend ver¬
höhnten. „Solche Kämpfe", bemerkt Guizot mit Recht, müssen in der Kampf¬
hahn der Freiheit und mit ihren Waffen geliefert werden."

Guizot ist daher von der Unzulänglichkeit der allerdings oft unvermeid¬
lichen Repressivmaaßregeln überzeugt. Der Zeitung muß die Zeitung entge¬
gentreten. Er hat dabei weniger eine officiöse Regierungspresse im Auge,
als unabhängige von umsichtigen und ergebenen Freunden der Regierung ge¬
leitete Organe. Wenn die Parteigenossen, wie die Bertuis und Saucy im Jour¬
nal des Debats, den außerparlamentarischen Kampf entschlossen und kühn auf¬
nehmen, so kann die Regierung den Angriffen ihrer Gegner Gleichgültigkeit
und Verachtung entgegensetzen, und besonders braucht sie sich nicht mit ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/317>, abgerufen am 23.07.2024.