Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Staate d";n Schutz, ja die unmittelbare Förderung ihrer eigenen privaten In
tsressen, der Bourgeois, wie der Arbeiter; eine nothwendige, wenn auch nicht
unmittelbare Konsequenz des abstracten Gleichheitsprincips. Stütze sich daher
die Regierung auf einen großen Beamtenkreis, so hat sie andererseits nicht
nur alle diejenigen gegen sich, die selbst nach einem Amte streben, sondern
auch diejenigen, welche sür ihr privates Gedeihen den Staat verantwortlich
machen. Das englische "Hilf dir selbst" läßt den Staat ganz außer dem
Spiele, ist der stolze und selbstgenugsame Ausdruck der Freiheit und Selb¬
ständigkeit. Das französische Mg-toi hat eine ganz andere praktische Be¬
deutung: zwinge den Staat, dir zu helfen, heute ihn aus. Spricht der Staat
die Gleichheit in der abstractesten Form als oberstes politisches Princip aus,
so fordert der Proletarier, der Communist vom Staate die thatsächliche und
materielle Verwirklichung des Princips und fühlt sich dabei ebenso in seinem
Rechte, wie der Bourgeois, wenn er in dem königlichen Wappen und der
Anrede Monseigneur für die Minister ein Vergehen gegen das Princip der
Gleichheit sieht.

Man muß sich diese Lage der Dinge vergegenwärtigen, um die Thätig¬
keit eines Staatsmannes zu würdigen, der, dem konstitutionellen Princip auf¬
richtig ergeben, berufen war, dasselbe auf einem von der Anarchie gänzlich
unterwühlten Boden fest zu begründen. Wohl hatte nach dem Falle des
Ministeriums Lafitte Casimir Perier die Erneute mit kräftiger Hand unterdrückt,
die propagandistischen Pläne Lafayette's und seiner Anhänger vereitelt, den
europäischen Frieden gesichert und die neue Regierung in den Verein der
europäischen Mächte eingeführt. Alle diese Erfolge mußten aber dem durch
die Julirevolution aufgeregten nationalen Geiste, der wieder, wie. 1791, die
Befreiung der Völker zu seiner Losung gemacht hatte, als eben so viele Nieder¬
lagen erscheinen. Die Londoner Konferenz. die Beschränkung des französischen
Einflusses bei der Constituirung Belgiens, der Fall Warschau's, die öster¬
reichische Intervention in Italien, der gegenüber die Besetzung von Ancona
nur als eine leere Scheindemonstration erschien, -- alle diese Thatsachen wurden
mit Hohn von den Legitimisten, mit Ingrimm von den Republikanern als
Beweise des Abfalls von den Principien der Julirevolution bezeichnet. Die
Stimmung des Landes war beim Antritt des Octoberministeriums so ungün¬
stig wie möglich, und es gehörte eine anerkennenswerthe Kühnheit zu dem
Entschlüsse, mit ausschließlich parlamentarischen und gesetzlichen Mitteln der
Bewegung Herr werden zu wollen, zumal da die Majorität, über die man
verfügte, nur aus Furcht ergeben war und unzuverlässig wurde, sobald sie
nicht mehr in unmittelbarer Nähe die Erneute grollen hörte. Auch darf man
nicht außer Acht lassen, daß die Majorität nicht immer die Macht des guten
Gewissens sür sich hatte, daß sie ihre herrschende Stellung vielfach zu ihrem


Staate d«;n Schutz, ja die unmittelbare Förderung ihrer eigenen privaten In
tsressen, der Bourgeois, wie der Arbeiter; eine nothwendige, wenn auch nicht
unmittelbare Konsequenz des abstracten Gleichheitsprincips. Stütze sich daher
die Regierung auf einen großen Beamtenkreis, so hat sie andererseits nicht
nur alle diejenigen gegen sich, die selbst nach einem Amte streben, sondern
auch diejenigen, welche sür ihr privates Gedeihen den Staat verantwortlich
machen. Das englische „Hilf dir selbst" läßt den Staat ganz außer dem
Spiele, ist der stolze und selbstgenugsame Ausdruck der Freiheit und Selb¬
ständigkeit. Das französische Mg-toi hat eine ganz andere praktische Be¬
deutung: zwinge den Staat, dir zu helfen, heute ihn aus. Spricht der Staat
die Gleichheit in der abstractesten Form als oberstes politisches Princip aus,
so fordert der Proletarier, der Communist vom Staate die thatsächliche und
materielle Verwirklichung des Princips und fühlt sich dabei ebenso in seinem
Rechte, wie der Bourgeois, wenn er in dem königlichen Wappen und der
Anrede Monseigneur für die Minister ein Vergehen gegen das Princip der
Gleichheit sieht.

Man muß sich diese Lage der Dinge vergegenwärtigen, um die Thätig¬
keit eines Staatsmannes zu würdigen, der, dem konstitutionellen Princip auf¬
richtig ergeben, berufen war, dasselbe auf einem von der Anarchie gänzlich
unterwühlten Boden fest zu begründen. Wohl hatte nach dem Falle des
Ministeriums Lafitte Casimir Perier die Erneute mit kräftiger Hand unterdrückt,
die propagandistischen Pläne Lafayette's und seiner Anhänger vereitelt, den
europäischen Frieden gesichert und die neue Regierung in den Verein der
europäischen Mächte eingeführt. Alle diese Erfolge mußten aber dem durch
die Julirevolution aufgeregten nationalen Geiste, der wieder, wie. 1791, die
Befreiung der Völker zu seiner Losung gemacht hatte, als eben so viele Nieder¬
lagen erscheinen. Die Londoner Konferenz. die Beschränkung des französischen
Einflusses bei der Constituirung Belgiens, der Fall Warschau's, die öster¬
reichische Intervention in Italien, der gegenüber die Besetzung von Ancona
nur als eine leere Scheindemonstration erschien, — alle diese Thatsachen wurden
mit Hohn von den Legitimisten, mit Ingrimm von den Republikanern als
Beweise des Abfalls von den Principien der Julirevolution bezeichnet. Die
Stimmung des Landes war beim Antritt des Octoberministeriums so ungün¬
stig wie möglich, und es gehörte eine anerkennenswerthe Kühnheit zu dem
Entschlüsse, mit ausschließlich parlamentarischen und gesetzlichen Mitteln der
Bewegung Herr werden zu wollen, zumal da die Majorität, über die man
verfügte, nur aus Furcht ergeben war und unzuverlässig wurde, sobald sie
nicht mehr in unmittelbarer Nähe die Erneute grollen hörte. Auch darf man
nicht außer Acht lassen, daß die Majorität nicht immer die Macht des guten
Gewissens sür sich hatte, daß sie ihre herrschende Stellung vielfach zu ihrem


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0316" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/112824"/>
            <p xml:id="ID_939" prev="#ID_938"> Staate d«;n Schutz, ja die unmittelbare Förderung ihrer eigenen privaten In<lb/>
tsressen, der Bourgeois, wie der Arbeiter; eine nothwendige, wenn auch nicht<lb/>
unmittelbare Konsequenz des abstracten Gleichheitsprincips. Stütze sich daher<lb/>
die Regierung auf einen großen Beamtenkreis, so hat sie andererseits nicht<lb/>
nur alle diejenigen gegen sich, die selbst nach einem Amte streben, sondern<lb/>
auch diejenigen, welche sür ihr privates Gedeihen den Staat verantwortlich<lb/>
machen. Das englische &#x201E;Hilf dir selbst" läßt den Staat ganz außer dem<lb/>
Spiele, ist der stolze und selbstgenugsame Ausdruck der Freiheit und Selb¬<lb/>
ständigkeit. Das französische Mg-toi hat eine ganz andere praktische Be¬<lb/>
deutung: zwinge den Staat, dir zu helfen, heute ihn aus. Spricht der Staat<lb/>
die Gleichheit in der abstractesten Form als oberstes politisches Princip aus,<lb/>
so fordert der Proletarier, der Communist vom Staate die thatsächliche und<lb/>
materielle Verwirklichung des Princips und fühlt sich dabei ebenso in seinem<lb/>
Rechte, wie der Bourgeois, wenn er in dem königlichen Wappen und der<lb/>
Anrede Monseigneur für die Minister ein Vergehen gegen das Princip der<lb/>
Gleichheit sieht.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_940" next="#ID_941"> Man muß sich diese Lage der Dinge vergegenwärtigen, um die Thätig¬<lb/>
keit eines Staatsmannes zu würdigen, der, dem konstitutionellen Princip auf¬<lb/>
richtig ergeben, berufen war, dasselbe auf einem von der Anarchie gänzlich<lb/>
unterwühlten Boden fest zu begründen. Wohl hatte nach dem Falle des<lb/>
Ministeriums Lafitte Casimir Perier die Erneute mit kräftiger Hand unterdrückt,<lb/>
die propagandistischen Pläne Lafayette's und seiner Anhänger vereitelt, den<lb/>
europäischen Frieden gesichert und die neue Regierung in den Verein der<lb/>
europäischen Mächte eingeführt. Alle diese Erfolge mußten aber dem durch<lb/>
die Julirevolution aufgeregten nationalen Geiste, der wieder, wie. 1791, die<lb/>
Befreiung der Völker zu seiner Losung gemacht hatte, als eben so viele Nieder¬<lb/>
lagen erscheinen. Die Londoner Konferenz. die Beschränkung des französischen<lb/>
Einflusses bei der Constituirung Belgiens, der Fall Warschau's, die öster¬<lb/>
reichische Intervention in Italien, der gegenüber die Besetzung von Ancona<lb/>
nur als eine leere Scheindemonstration erschien, &#x2014; alle diese Thatsachen wurden<lb/>
mit Hohn von den Legitimisten, mit Ingrimm von den Republikanern als<lb/>
Beweise des Abfalls von den Principien der Julirevolution bezeichnet. Die<lb/>
Stimmung des Landes war beim Antritt des Octoberministeriums so ungün¬<lb/>
stig wie möglich, und es gehörte eine anerkennenswerthe Kühnheit zu dem<lb/>
Entschlüsse, mit ausschließlich parlamentarischen und gesetzlichen Mitteln der<lb/>
Bewegung Herr werden zu wollen, zumal da die Majorität, über die man<lb/>
verfügte, nur aus Furcht ergeben war und unzuverlässig wurde, sobald sie<lb/>
nicht mehr in unmittelbarer Nähe die Erneute grollen hörte. Auch darf man<lb/>
nicht außer Acht lassen, daß die Majorität nicht immer die Macht des guten<lb/>
Gewissens sür sich hatte, daß sie ihre herrschende Stellung vielfach zu ihrem</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0316] Staate d«;n Schutz, ja die unmittelbare Förderung ihrer eigenen privaten In tsressen, der Bourgeois, wie der Arbeiter; eine nothwendige, wenn auch nicht unmittelbare Konsequenz des abstracten Gleichheitsprincips. Stütze sich daher die Regierung auf einen großen Beamtenkreis, so hat sie andererseits nicht nur alle diejenigen gegen sich, die selbst nach einem Amte streben, sondern auch diejenigen, welche sür ihr privates Gedeihen den Staat verantwortlich machen. Das englische „Hilf dir selbst" läßt den Staat ganz außer dem Spiele, ist der stolze und selbstgenugsame Ausdruck der Freiheit und Selb¬ ständigkeit. Das französische Mg-toi hat eine ganz andere praktische Be¬ deutung: zwinge den Staat, dir zu helfen, heute ihn aus. Spricht der Staat die Gleichheit in der abstractesten Form als oberstes politisches Princip aus, so fordert der Proletarier, der Communist vom Staate die thatsächliche und materielle Verwirklichung des Princips und fühlt sich dabei ebenso in seinem Rechte, wie der Bourgeois, wenn er in dem königlichen Wappen und der Anrede Monseigneur für die Minister ein Vergehen gegen das Princip der Gleichheit sieht. Man muß sich diese Lage der Dinge vergegenwärtigen, um die Thätig¬ keit eines Staatsmannes zu würdigen, der, dem konstitutionellen Princip auf¬ richtig ergeben, berufen war, dasselbe auf einem von der Anarchie gänzlich unterwühlten Boden fest zu begründen. Wohl hatte nach dem Falle des Ministeriums Lafitte Casimir Perier die Erneute mit kräftiger Hand unterdrückt, die propagandistischen Pläne Lafayette's und seiner Anhänger vereitelt, den europäischen Frieden gesichert und die neue Regierung in den Verein der europäischen Mächte eingeführt. Alle diese Erfolge mußten aber dem durch die Julirevolution aufgeregten nationalen Geiste, der wieder, wie. 1791, die Befreiung der Völker zu seiner Losung gemacht hatte, als eben so viele Nieder¬ lagen erscheinen. Die Londoner Konferenz. die Beschränkung des französischen Einflusses bei der Constituirung Belgiens, der Fall Warschau's, die öster¬ reichische Intervention in Italien, der gegenüber die Besetzung von Ancona nur als eine leere Scheindemonstration erschien, — alle diese Thatsachen wurden mit Hohn von den Legitimisten, mit Ingrimm von den Republikanern als Beweise des Abfalls von den Principien der Julirevolution bezeichnet. Die Stimmung des Landes war beim Antritt des Octoberministeriums so ungün¬ stig wie möglich, und es gehörte eine anerkennenswerthe Kühnheit zu dem Entschlüsse, mit ausschließlich parlamentarischen und gesetzlichen Mitteln der Bewegung Herr werden zu wollen, zumal da die Majorität, über die man verfügte, nur aus Furcht ergeben war und unzuverlässig wurde, sobald sie nicht mehr in unmittelbarer Nähe die Erneute grollen hörte. Auch darf man nicht außer Acht lassen, daß die Majorität nicht immer die Macht des guten Gewissens sür sich hatte, daß sie ihre herrschende Stellung vielfach zu ihrem

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/316
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/316>, abgerufen am 23.07.2024.