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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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kalten Backsteinbodcn mit einem groben, wohlfeilen englischen Ieppich be¬
decken, den ihm seine vaterländische Industrie niemals geliefert hatte. Wa¬
rum sollte ein Vertrag nicht gut sein, welcher den Austausch unter zwei und
mehreren, schließlich unter allen Ländern und Völkern befördert? Die Han¬
dels- und Zollverträgc, auf Grundlage einträglicher, d. h. mäßiger Besteue¬
rung bei freier Bewegung des internationalen Verkehrs wie des inneren Han¬
dels- und Gewerbebetriebs haben ihre Bestimmung erreicht, wenn sie überflüssig
werden, d. h. wenn jede Nation dadurch bestimmt wird, sich so einzurichten,
daß es keiner besonderen Verabredungen unter den Nachbarn mehr.bedürfen
wird. Im Allgemeinen wie in manchen Einzelfällen wird auch der Nu¬
tzen solcher Verabredungen nicht geleugnet. Unlängst, am 29. October,
feierten in dem Gasthofe zur Krone zu Mons in Belgien die Eigenthümer
der Steinbrüche von Soignies, Ecaussines u. A. den Abschluß des fran¬
zösisch-belgischen Vertrags. Ihre Schiefer und Marmor-Platten waren
bisher von Frankreich durch Bcrbotszölle ausgeschlossen; künstig werden sie
frei eingehen. Der Vorsitzende, Senator Wincqx, brachte deshalb ein Hoch dem
Könige Leopold, "der die Industrie von dem schädlichen Octroi befreite und
ihr jetzt eine neue Wohlthat erzeigt, indem er den freien Austausch begrün¬
det." Hier haben wir also eine Industrie, welche für den freien Austausch
ihrer Producte als für eine Wohlthat dankt. In Stuttgart mußte man da¬
gegen erleben, daß in der Kammer unter der Führung von Moritz Mohl eine
antediluvianische Beschränktheit die Redefreiheit mißbrauchte und sich ge¬
gen jedes Uebereinkommen, welches fremde Waaren in das Land bringen
könnte, mit grimmiger Verbissenheit wehrte. Und in der Kammer fand sich
Niemand, der diesen Knownothings die Wahrheit zu sagen wagte! Eine Klage
freilich wird vielfach gehört und kann nicht geradezu für unbegründet erklärt
werden, nämlich die, daß in dem Zollvereine die Vertreter der wichtigen In¬
teressen, welche durch Aenderungen in den Tarifsätzen, überhaupt durch Be¬
stimmungen über den internationalen Verkehr unmittelbar berührt werden, von
den Regierungen nicht zu Rathe gezogen würden, während anderwärts die Re¬
gierungen durch Besprechung mit den Körperschaften wie mit ausgezeichneten
Mitgliedern der Industrie und des Handelsstandes über die Verhältnisse sich
genau zu unterrichten pflegten, bevor sie darüber mit anderen Regierungen bin¬
dende Verabredungen treffen. Von der andern Seite wird, ebenfalls nicht
ohne Grund, erwidert, daß schwebende Verhandlungen nicht vor die Oeffent-
lichkeit gebracht werden können, ohne das Resultat zu gefährden und gewagte
Speculationen anzuregen. --

Ob und wie weit die preußische Regierung der Vorwurf trifft, über tief¬
greifende Aenderungen des Tarifs zu verhandeln, ohne darüber die Vertreter
und Organe der Industrie und des Handels zu hören, wissen wir nicht. Daß


kalten Backsteinbodcn mit einem groben, wohlfeilen englischen Ieppich be¬
decken, den ihm seine vaterländische Industrie niemals geliefert hatte. Wa¬
rum sollte ein Vertrag nicht gut sein, welcher den Austausch unter zwei und
mehreren, schließlich unter allen Ländern und Völkern befördert? Die Han¬
dels- und Zollverträgc, auf Grundlage einträglicher, d. h. mäßiger Besteue¬
rung bei freier Bewegung des internationalen Verkehrs wie des inneren Han¬
dels- und Gewerbebetriebs haben ihre Bestimmung erreicht, wenn sie überflüssig
werden, d. h. wenn jede Nation dadurch bestimmt wird, sich so einzurichten,
daß es keiner besonderen Verabredungen unter den Nachbarn mehr.bedürfen
wird. Im Allgemeinen wie in manchen Einzelfällen wird auch der Nu¬
tzen solcher Verabredungen nicht geleugnet. Unlängst, am 29. October,
feierten in dem Gasthofe zur Krone zu Mons in Belgien die Eigenthümer
der Steinbrüche von Soignies, Ecaussines u. A. den Abschluß des fran¬
zösisch-belgischen Vertrags. Ihre Schiefer und Marmor-Platten waren
bisher von Frankreich durch Bcrbotszölle ausgeschlossen; künstig werden sie
frei eingehen. Der Vorsitzende, Senator Wincqx, brachte deshalb ein Hoch dem
Könige Leopold, „der die Industrie von dem schädlichen Octroi befreite und
ihr jetzt eine neue Wohlthat erzeigt, indem er den freien Austausch begrün¬
det." Hier haben wir also eine Industrie, welche für den freien Austausch
ihrer Producte als für eine Wohlthat dankt. In Stuttgart mußte man da¬
gegen erleben, daß in der Kammer unter der Führung von Moritz Mohl eine
antediluvianische Beschränktheit die Redefreiheit mißbrauchte und sich ge¬
gen jedes Uebereinkommen, welches fremde Waaren in das Land bringen
könnte, mit grimmiger Verbissenheit wehrte. Und in der Kammer fand sich
Niemand, der diesen Knownothings die Wahrheit zu sagen wagte! Eine Klage
freilich wird vielfach gehört und kann nicht geradezu für unbegründet erklärt
werden, nämlich die, daß in dem Zollvereine die Vertreter der wichtigen In¬
teressen, welche durch Aenderungen in den Tarifsätzen, überhaupt durch Be¬
stimmungen über den internationalen Verkehr unmittelbar berührt werden, von
den Regierungen nicht zu Rathe gezogen würden, während anderwärts die Re¬
gierungen durch Besprechung mit den Körperschaften wie mit ausgezeichneten
Mitgliedern der Industrie und des Handelsstandes über die Verhältnisse sich
genau zu unterrichten pflegten, bevor sie darüber mit anderen Regierungen bin¬
dende Verabredungen treffen. Von der andern Seite wird, ebenfalls nicht
ohne Grund, erwidert, daß schwebende Verhandlungen nicht vor die Oeffent-
lichkeit gebracht werden können, ohne das Resultat zu gefährden und gewagte
Speculationen anzuregen. —

Ob und wie weit die preußische Regierung der Vorwurf trifft, über tief¬
greifende Aenderungen des Tarifs zu verhandeln, ohne darüber die Vertreter
und Organe der Industrie und des Handels zu hören, wissen wir nicht. Daß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/292>, abgerufen am 23.07.2024.