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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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Schuster hat aufnehmen lassen, obwol er doch niemals in die Lehre gegangen ist
und eine Schustcrprüfung schwerlich bestehen würde. Somit verleugnen die beiden
Hayptvertreter der Allianz, Kleist-Nctzow und Pause, ihr eigenes Princip, Wir
aber können den Junker Pause und den Schuster Kleist-Rctzow dem Kladderadatsch
überlassen.

Das dritte Glied im Bunde bilden die Ultramontanen, Auch mit diesen ward
die Coalition schon im vorigen Jahre eingeleitet. Im September v, I, fand in
Erfurt eine merkwürdige Versammlung statt, an welcher von katholischer Seite
Graf Casus Stolberg und der aus dem Droste-Vischcring'sehen Streit bekannte
Pfarrer Michelis, von protestantischer Seite Herr Leo aus Halle und Herr Binde¬
waid , der früher unter Raumer vortragender Rath im preußischen Kultusministerium
war, Theil nahmen. Hier sollte eine Verständigung über die Punkte, welche die
reactionären Kreise unter den Protestanten mit dem Katholicismus verbinden, an¬
gebahnt werden. Man hatte sich auch bereits bis zu einer gewissen Formel geeinigt,
und beabsichtigte das Werk auf eiuer zweiten Versammlung weiter zu führen. Aber
dies unterblieb, weil man inzwischen auf katholischer Seite zu unvorsichtig die letzten
Zwecke enthüllte, welche man bei diesem Bündniß im Auge hatte. Das amtliche
Organ der päpstlichen Regierung, das Kioi'luz,1"z all RowÄ, sprach geradezu davon,
daß sich in Erfurt ein massenhafter Uebertritt von conservativen Protestanten zur
katholischen Kirche vorbereitet habe. Herr Leo, welcher dabei besonders rühmend
hervorgehoben wurde, wußte sich nicht anders zu helfen, als daß er die Erfurter
Versammlung geradezu desavouirte; er erklärte, daß er nur aus Neugierde dahin
gegangen, nur um einmal zu sehen, "was es denn dort für einen Salat geben
würde." Trotz dieses mißglückter Versuchs aber scheinen die Fäden nie ganz ab¬
gerissen zu sein. Die Herren Reichensperger und Genossen sind von der Kreuzzei-
tung immer sehr zart angefaßt; sie sympathisirt mit Döllinger und vertheidigt das
äomiuium tömxorals des Papstes. Beim Beginn der Vorbereitungen zu den Wahlen
ward es dann ganz offen ausgesprochen, daß die Feudalen und Katholiken oder
richtiger Ultramontanen sich gegenseitig unterstützen würden. Freilich muß die
Kreuzzeitung bei der Besprechung dieses Bündnisses sehr vorsichtig fein, wenn sie
nicht auf protestantischen Boden mehr Kräfte verlieren will, als die Katholiken ihr
zuführen können; zumal da diese häufig durch Andeutungen von Proselytenmacherei
und Bekehrungsversuchen sehr unbequem werden.

Endlich ist noch ein vierter Bundesgenosse zu nennen -- die Polen. Daß der
Versuch einer Allianz mit diesen an's Licht gekommen ist, ist für die feudale Partei
ein harter Schlag. In der Provinz Posen gruppiren sich die Wähler nach anderen
Rücksichten, als in allen übrigen Theilen der Monarchie. Ueberall sonst sondern
sie sich nach politischen Parteigegensätzen; in Posen sondern sie sich nach Nationali¬
täten. Wir mögen dies beklagen, aber können es nicht ändern. Die polnische
Fraction des Abgeordnetenhauses hat sich bisher stets als außerhalb des preußischen
Staates stehend betrachtet, sie hat nicht verhehlt, daß ihr Streben dahin gerichtet


Schuster hat aufnehmen lassen, obwol er doch niemals in die Lehre gegangen ist
und eine Schustcrprüfung schwerlich bestehen würde. Somit verleugnen die beiden
Hayptvertreter der Allianz, Kleist-Nctzow und Pause, ihr eigenes Princip, Wir
aber können den Junker Pause und den Schuster Kleist-Rctzow dem Kladderadatsch
überlassen.

Das dritte Glied im Bunde bilden die Ultramontanen, Auch mit diesen ward
die Coalition schon im vorigen Jahre eingeleitet. Im September v, I, fand in
Erfurt eine merkwürdige Versammlung statt, an welcher von katholischer Seite
Graf Casus Stolberg und der aus dem Droste-Vischcring'sehen Streit bekannte
Pfarrer Michelis, von protestantischer Seite Herr Leo aus Halle und Herr Binde¬
waid , der früher unter Raumer vortragender Rath im preußischen Kultusministerium
war, Theil nahmen. Hier sollte eine Verständigung über die Punkte, welche die
reactionären Kreise unter den Protestanten mit dem Katholicismus verbinden, an¬
gebahnt werden. Man hatte sich auch bereits bis zu einer gewissen Formel geeinigt,
und beabsichtigte das Werk auf eiuer zweiten Versammlung weiter zu führen. Aber
dies unterblieb, weil man inzwischen auf katholischer Seite zu unvorsichtig die letzten
Zwecke enthüllte, welche man bei diesem Bündniß im Auge hatte. Das amtliche
Organ der päpstlichen Regierung, das Kioi'luz,1«z all RowÄ, sprach geradezu davon,
daß sich in Erfurt ein massenhafter Uebertritt von conservativen Protestanten zur
katholischen Kirche vorbereitet habe. Herr Leo, welcher dabei besonders rühmend
hervorgehoben wurde, wußte sich nicht anders zu helfen, als daß er die Erfurter
Versammlung geradezu desavouirte; er erklärte, daß er nur aus Neugierde dahin
gegangen, nur um einmal zu sehen, „was es denn dort für einen Salat geben
würde." Trotz dieses mißglückter Versuchs aber scheinen die Fäden nie ganz ab¬
gerissen zu sein. Die Herren Reichensperger und Genossen sind von der Kreuzzei-
tung immer sehr zart angefaßt; sie sympathisirt mit Döllinger und vertheidigt das
äomiuium tömxorals des Papstes. Beim Beginn der Vorbereitungen zu den Wahlen
ward es dann ganz offen ausgesprochen, daß die Feudalen und Katholiken oder
richtiger Ultramontanen sich gegenseitig unterstützen würden. Freilich muß die
Kreuzzeitung bei der Besprechung dieses Bündnisses sehr vorsichtig fein, wenn sie
nicht auf protestantischen Boden mehr Kräfte verlieren will, als die Katholiken ihr
zuführen können; zumal da diese häufig durch Andeutungen von Proselytenmacherei
und Bekehrungsversuchen sehr unbequem werden.

Endlich ist noch ein vierter Bundesgenosse zu nennen — die Polen. Daß der
Versuch einer Allianz mit diesen an's Licht gekommen ist, ist für die feudale Partei
ein harter Schlag. In der Provinz Posen gruppiren sich die Wähler nach anderen
Rücksichten, als in allen übrigen Theilen der Monarchie. Ueberall sonst sondern
sie sich nach politischen Parteigegensätzen; in Posen sondern sie sich nach Nationali¬
täten. Wir mögen dies beklagen, aber können es nicht ändern. Die polnische
Fraction des Abgeordnetenhauses hat sich bisher stets als außerhalb des preußischen
Staates stehend betrachtet, sie hat nicht verhehlt, daß ihr Streben dahin gerichtet


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/286>, abgerufen am 25.08.2024.