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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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nur erwünscht sein, die wahre Meinung auch in diesen, Kreisen zu ver¬
nehmen.

Die Gründe der Enthaltsamkeit von politischen Gelüsten werden freilich in
der Regel anderswoher entnommen. Ob sie die einzigen sind, mag dahingestellt
bleiben. Man hebt immer aufs Neue hervor, daß die Uebergriffe in politische
Fragen das Werk der gemeinsamen Gesetzgebung stören würden. Girer
näheren Beleuchtung dieses Argumentes bedarf es kaum. Wenn nur um
den Preis, daß die Juristen und die Nation aus die Sorge der politischen
Constituirung Deutschlands verzichten sollen, die Rechtseinheit möglich sein
sollte, so wäre das sonderbar. D^cum die Rechtseinheit selbst will man doch
nicht aus wissenschaftlichem Wohlgefallen, oder lediglich um der materiellen
Bordseite willen, sondern weil sie ihrerseits ein Stück, und zwar ein recht
wesentliches, zur Constituirung der Nation beiträgt.

,
Es würde kaum nöthig sein, dies Alles auszusprechen, w"my nicht auch
der Dresdner Juristentag Anfangs die B.esorg.aß. daß ängstliche Zurückhal¬
tung daS freie Entfalten der Meinungen hemmen könnte, -gerechtfertigt hätte.
Die erste Sitzung erfüllte gar Manchen mit Bitterkeit. Es galt den Weg der
künftigen deutschen.Gesetzgebung zu bezeichnen. Vo.n manchen Seiten wurde
die Kompetenz der Versammlung, darüber sich auszusprechen, geradezu be-
stritten. Diese Meinung mochten in Gottes Namen diejenigen, welche sie
hegten. aussprechen. Aber daß in der ganzen .großen Versammlung von
dem Präsidenten an. der selbst seine Wünsche als >h.sehst persönliche v"r-
clausuliren zu müssen glaubte, bis zum Schluß der Debatte nur ein einziger
.Redner die Sache beim rechten Namen nannte, daß überall mit den vorsieh,
tigsten Vorbehalten und der .rücksichtsvollsten Umschreibung verfahren wurde,
daß man endlich noch das gemeinsame Organ .in eine "Einrichtung" ab¬
schwächte, mußte diejenigen bedenklich machen, welche dem Verein der Juri¬
sten, nachdem er einmal in das öffentliche Leben getreten, den ehrenvollen
Beruf wünschten, an der gedeihlichen Entwicklung des nationalen Lebens tüchtig
mitzuwirken. Was Tausende anderswo auf den Lippe-n getragen haben, und
-was ohne Zweifel Hunderte der versammelten Juristen im Herzen trugen, die
Hoffnung Deutschlands auf ein deutsches Parlament, wagte man nicht gu
nennen.

Indessen übertrafen die folgenden Tage bei Weitem die Erwartungen,
zu denen man "in ersten berechtigt war. Die erste Abtheilung hatte aller¬
dings wenig Gelegenheit sich über solche Dinge zu äußern, welche Einzelne
mit sorglicher Miene als höchst bedenkliche zu bezeichnen nicht müde wurden. In


nur erwünscht sein, die wahre Meinung auch in diesen, Kreisen zu ver¬
nehmen.

Die Gründe der Enthaltsamkeit von politischen Gelüsten werden freilich in
der Regel anderswoher entnommen. Ob sie die einzigen sind, mag dahingestellt
bleiben. Man hebt immer aufs Neue hervor, daß die Uebergriffe in politische
Fragen das Werk der gemeinsamen Gesetzgebung stören würden. Girer
näheren Beleuchtung dieses Argumentes bedarf es kaum. Wenn nur um
den Preis, daß die Juristen und die Nation aus die Sorge der politischen
Constituirung Deutschlands verzichten sollen, die Rechtseinheit möglich sein
sollte, so wäre das sonderbar. D^cum die Rechtseinheit selbst will man doch
nicht aus wissenschaftlichem Wohlgefallen, oder lediglich um der materiellen
Bordseite willen, sondern weil sie ihrerseits ein Stück, und zwar ein recht
wesentliches, zur Constituirung der Nation beiträgt.

,
Es würde kaum nöthig sein, dies Alles auszusprechen, w«my nicht auch
der Dresdner Juristentag Anfangs die B.esorg.aß. daß ängstliche Zurückhal¬
tung daS freie Entfalten der Meinungen hemmen könnte, -gerechtfertigt hätte.
Die erste Sitzung erfüllte gar Manchen mit Bitterkeit. Es galt den Weg der
künftigen deutschen.Gesetzgebung zu bezeichnen. Vo.n manchen Seiten wurde
die Kompetenz der Versammlung, darüber sich auszusprechen, geradezu be-
stritten. Diese Meinung mochten in Gottes Namen diejenigen, welche sie
hegten. aussprechen. Aber daß in der ganzen .großen Versammlung von
dem Präsidenten an. der selbst seine Wünsche als >h.sehst persönliche v«r-
clausuliren zu müssen glaubte, bis zum Schluß der Debatte nur ein einziger
.Redner die Sache beim rechten Namen nannte, daß überall mit den vorsieh,
tigsten Vorbehalten und der .rücksichtsvollsten Umschreibung verfahren wurde,
daß man endlich noch das gemeinsame Organ .in eine „Einrichtung" ab¬
schwächte, mußte diejenigen bedenklich machen, welche dem Verein der Juri¬
sten, nachdem er einmal in das öffentliche Leben getreten, den ehrenvollen
Beruf wünschten, an der gedeihlichen Entwicklung des nationalen Lebens tüchtig
mitzuwirken. Was Tausende anderswo auf den Lippe-n getragen haben, und
-was ohne Zweifel Hunderte der versammelten Juristen im Herzen trugen, die
Hoffnung Deutschlands auf ein deutsches Parlament, wagte man nicht gu
nennen.

Indessen übertrafen die folgenden Tage bei Weitem die Erwartungen,
zu denen man «in ersten berechtigt war. Die erste Abtheilung hatte aller¬
dings wenig Gelegenheit sich über solche Dinge zu äußern, welche Einzelne
mit sorglicher Miene als höchst bedenkliche zu bezeichnen nicht müde wurden. In


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/280>, abgerufen am 23.07.2024.