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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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selben abzusehen. Zumal, wenn sich Praktiker^ die diesen Zusammenhang
nach allen Seiten hin täglich fühlen, damit befassen. Das konnte daher nim¬
mermehr bei Aufstellung des Statuts, selbst wenn auch schon in Berlin die
ängstliche Sorge, jeder Einmischung in die Politik sich zu enthalten, geherrscht
hatte, die Absicht sein, daß jeder Punkt, an welchem sich irgend etwas Po-
litisches spüren lassen möchte, ohne Weiteres ein moti mo tauZers bleiben
sollte.

Will man die Einheit des Rechts erstreben, so heißt dies eine politische
That unternehmen. Das muh sich ehrlicher Weise el" Jeder von vornherein
gestehen. Die Bestrebungen würden sehr wenig besagen und niemals auf ein
allgemeines Interesse Anspruch machen können, wenn man sie anders auffassen
und lediglich auf den Umkreis der juristischen Technik beschränken wollte.
Der Juristentag steht darin vollkommen auf einer Stufe mit dem Volkswirth-
schaftlichen Berein, dem er schon die Anregung seiner Entstehung verdankt.
Auch die Volkswirtschaft ist nicht unmittelbar Politik, es läßt sich die Er¬
kenntniß wirthschaftlicher Principien fördern, ohne die äußere Gestaltung des
Staatswesens zu berühren. Allein der Zusammenhang der wirthschaftlichen
Principien Mit den Grundsätzen der Regierungskunst ist jedem kundigen Auge
offenbar. Ganz ebenso verhält es sich mit den Grundsätzen der Rechtsgesetz¬
gebung. Die Organisation der Gerichte, die Proceßordnungen, selbst die
Bücher des materiellen Rechts stehen in Wechselwirkung auch mit den politi¬
schen Zuständen der Nation. Dies bedarf keiner Ausführung. Der Juristen¬
tag selbst hat es bereits zur Genüge empfunden, daß man kaum irgend einen
Punkt berathen kann, ohne unwillkürlich auf dieselben leitenden Gedanken zu
gerathen, die in ihren Gegensätzen auch die politischen Bestrebungen be¬
wegen. Man braucht nur an die Frage über die Gestaltung des Stras-
processes. die Stellung der Staatsanwaltschaft, die Advocaten u. s. w. zu
erinnern.

Die Vereinigung der juristischen Kräfte soll ein den Zeit- und Volks-
bedmfnissm entsprechendes Recht schaffen. Ist dies das Ziel, so muß auch
auf Ideen eingegangen werden, welche eine politische Rolle spielen. Die
Aufgabe der Zukunft kann keine andere sein, als auch das Recht und seine
Ausübung von dem bureaukratischen Charakter zu reinigen, den ihm die Jahr¬
hunderte seit dem Mittelalter eingeprägt haben und der sich weit tiefer, näm¬
lich bis tief in das materielle Recht hinein, erstreckt, als Viele wissen wollen.
Die Rechtsgesetzgebung hat bis zur Stunde so gut das Bevormundungssystem
geübt, wie die Wirthschafts- und Verwaltungsgesetzgebung. Dieses zu besei¬
tigen, muß das Ziel unserer ferneren Rechtsentwicklung sein und kann von


selben abzusehen. Zumal, wenn sich Praktiker^ die diesen Zusammenhang
nach allen Seiten hin täglich fühlen, damit befassen. Das konnte daher nim¬
mermehr bei Aufstellung des Statuts, selbst wenn auch schon in Berlin die
ängstliche Sorge, jeder Einmischung in die Politik sich zu enthalten, geherrscht
hatte, die Absicht sein, daß jeder Punkt, an welchem sich irgend etwas Po-
litisches spüren lassen möchte, ohne Weiteres ein moti mo tauZers bleiben
sollte.

Will man die Einheit des Rechts erstreben, so heißt dies eine politische
That unternehmen. Das muh sich ehrlicher Weise el» Jeder von vornherein
gestehen. Die Bestrebungen würden sehr wenig besagen und niemals auf ein
allgemeines Interesse Anspruch machen können, wenn man sie anders auffassen
und lediglich auf den Umkreis der juristischen Technik beschränken wollte.
Der Juristentag steht darin vollkommen auf einer Stufe mit dem Volkswirth-
schaftlichen Berein, dem er schon die Anregung seiner Entstehung verdankt.
Auch die Volkswirtschaft ist nicht unmittelbar Politik, es läßt sich die Er¬
kenntniß wirthschaftlicher Principien fördern, ohne die äußere Gestaltung des
Staatswesens zu berühren. Allein der Zusammenhang der wirthschaftlichen
Principien Mit den Grundsätzen der Regierungskunst ist jedem kundigen Auge
offenbar. Ganz ebenso verhält es sich mit den Grundsätzen der Rechtsgesetz¬
gebung. Die Organisation der Gerichte, die Proceßordnungen, selbst die
Bücher des materiellen Rechts stehen in Wechselwirkung auch mit den politi¬
schen Zuständen der Nation. Dies bedarf keiner Ausführung. Der Juristen¬
tag selbst hat es bereits zur Genüge empfunden, daß man kaum irgend einen
Punkt berathen kann, ohne unwillkürlich auf dieselben leitenden Gedanken zu
gerathen, die in ihren Gegensätzen auch die politischen Bestrebungen be¬
wegen. Man braucht nur an die Frage über die Gestaltung des Stras-
processes. die Stellung der Staatsanwaltschaft, die Advocaten u. s. w. zu
erinnern.

Die Vereinigung der juristischen Kräfte soll ein den Zeit- und Volks-
bedmfnissm entsprechendes Recht schaffen. Ist dies das Ziel, so muß auch
auf Ideen eingegangen werden, welche eine politische Rolle spielen. Die
Aufgabe der Zukunft kann keine andere sein, als auch das Recht und seine
Ausübung von dem bureaukratischen Charakter zu reinigen, den ihm die Jahr¬
hunderte seit dem Mittelalter eingeprägt haben und der sich weit tiefer, näm¬
lich bis tief in das materielle Recht hinein, erstreckt, als Viele wissen wollen.
Die Rechtsgesetzgebung hat bis zur Stunde so gut das Bevormundungssystem
geübt, wie die Wirthschafts- und Verwaltungsgesetzgebung. Dieses zu besei¬
tigen, muß das Ziel unserer ferneren Rechtsentwicklung sein und kann von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/278>, abgerufen am 23.07.2024.