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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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tionalökonomie von ihm wenig Notiz nehmen. Dem Ansetzn der Gelehrten¬
klasse wird solche Nichtbeachtung in den Augen der Welt nicht sonderlich zum
Ruhm gereichen. Allein auch ohne die Rücksicht darauf, ob die Nation daraus
den Vorwurf der Gleichgültigkeit für nationale Bestrebungen ziehen mag,
sollte das rein sachliche Interesse die Leute der Wissenschaft stärker anregen.
Erscheinen die Leistungen solcher Vereine vor dem Richterstuhl der wissenschaft¬
lichen Kenntniß zu schwach, nun gut, so ist es rathsam. das überwiegende
Wissen in die Wagschale zu werfen und lieber zum Bessern zu helfen, als in
wissenschaftlichem Hochmuth sich fern zu halten. Zum Heil der guten Sache
muß man die innige Verbindung der Wissenschaft und der Praxis wünschen.
Zieht sich die erstere zurück, so wird leider die Folge die sein, daß das Mißtrauen,
welches die Nation schon längst gegen die juristische Doctrin gefaßt hat, nur
zunimmt und daß sie vollends von der praktischen Anschauung, selbst auf die
Gefahr hin. diese sehr oberflächlich werden zu lassen, überflügelt wird. Unbe¬
stritten ist der Riß zwischen Theorie u> Praxis schon groß genug und der
Nachtheil so entschieden aus Seiten de ersteren, auch für die wahre und un¬
entbehrliche Wissenschaftlichkeit, daß sie nicht durch Zurückbleiben in den Be¬
strebungen, durch welche die Juristen dem Volk wieder einige Sympathien ab¬
gewinnen können, sich nicht noch ungünstiger stellen sollte.

Die Ergebnisse der vorletzten Versammlung zu Berlin erschienen frei.
Ach für Manchen wenig entsprechend. Die mangelnde Vorarbeitung mit in
Anschlag gebracht, war dieselbe doch immer gar zu resultatlos, und noch un¬
erquicklicher die ganze Stimmung, welche sich unter der Mehrzahl kund gegeben
hatte. Schon in dem Statut prägte sich eine gewisse Aengstlichkeit und Ab¬
geschlossenheit aus. Die Anträge, welche eine compactere Organisation zum
Gegenstand hatten. Alles, was irgend an Einmischung in politische Dinge
streifte, war verworfen worden.

Inmittelst hatte sich bis zum Dresdener Kongreß Manches besser gestaltet.
Die Deputation hatte es an Fleiß nicht fehlen lassen. Es lagen mancherlei
tüchtige Vorarbeiten vor. Vor allen Dingen hatte sich aber auch die äußere
Situation merklich gehoben. Die Regierungen hatten fast durchweg bereits
ein lebhaftes Interesse für die von dem Juristenverein angestrebte Rechtseinheit,
wenigstens nach einigen Seiten hin, kundgegeben. Die Minister oder bedeu¬
tendere Beamte der Justiz in den meisten Ländern waren dem Verein bei¬
getreten und an Aufmunterung jeder Art mangelte es nicht, da alle Bundes¬
staaten, wenn auch sonst, oder gerade weil im Punkte anderer Einheitsbestre¬
bungen widerwillig, in der Anbahnung gemeinsamer Rechtsgesetze, um doch Et¬
was für die Einheit zu thun, einverstanden erscheinen. Insofern erschien also von
vornherein der Erfolg des Juristentags ziemlich gesichert, weit gesicherter, als
der Handelstag oder der volkswirthschaftliche Verein von sich sagen konnte.


tionalökonomie von ihm wenig Notiz nehmen. Dem Ansetzn der Gelehrten¬
klasse wird solche Nichtbeachtung in den Augen der Welt nicht sonderlich zum
Ruhm gereichen. Allein auch ohne die Rücksicht darauf, ob die Nation daraus
den Vorwurf der Gleichgültigkeit für nationale Bestrebungen ziehen mag,
sollte das rein sachliche Interesse die Leute der Wissenschaft stärker anregen.
Erscheinen die Leistungen solcher Vereine vor dem Richterstuhl der wissenschaft¬
lichen Kenntniß zu schwach, nun gut, so ist es rathsam. das überwiegende
Wissen in die Wagschale zu werfen und lieber zum Bessern zu helfen, als in
wissenschaftlichem Hochmuth sich fern zu halten. Zum Heil der guten Sache
muß man die innige Verbindung der Wissenschaft und der Praxis wünschen.
Zieht sich die erstere zurück, so wird leider die Folge die sein, daß das Mißtrauen,
welches die Nation schon längst gegen die juristische Doctrin gefaßt hat, nur
zunimmt und daß sie vollends von der praktischen Anschauung, selbst auf die
Gefahr hin. diese sehr oberflächlich werden zu lassen, überflügelt wird. Unbe¬
stritten ist der Riß zwischen Theorie u> Praxis schon groß genug und der
Nachtheil so entschieden aus Seiten de ersteren, auch für die wahre und un¬
entbehrliche Wissenschaftlichkeit, daß sie nicht durch Zurückbleiben in den Be¬
strebungen, durch welche die Juristen dem Volk wieder einige Sympathien ab¬
gewinnen können, sich nicht noch ungünstiger stellen sollte.

Die Ergebnisse der vorletzten Versammlung zu Berlin erschienen frei.
Ach für Manchen wenig entsprechend. Die mangelnde Vorarbeitung mit in
Anschlag gebracht, war dieselbe doch immer gar zu resultatlos, und noch un¬
erquicklicher die ganze Stimmung, welche sich unter der Mehrzahl kund gegeben
hatte. Schon in dem Statut prägte sich eine gewisse Aengstlichkeit und Ab¬
geschlossenheit aus. Die Anträge, welche eine compactere Organisation zum
Gegenstand hatten. Alles, was irgend an Einmischung in politische Dinge
streifte, war verworfen worden.

Inmittelst hatte sich bis zum Dresdener Kongreß Manches besser gestaltet.
Die Deputation hatte es an Fleiß nicht fehlen lassen. Es lagen mancherlei
tüchtige Vorarbeiten vor. Vor allen Dingen hatte sich aber auch die äußere
Situation merklich gehoben. Die Regierungen hatten fast durchweg bereits
ein lebhaftes Interesse für die von dem Juristenverein angestrebte Rechtseinheit,
wenigstens nach einigen Seiten hin, kundgegeben. Die Minister oder bedeu¬
tendere Beamte der Justiz in den meisten Ländern waren dem Verein bei¬
getreten und an Aufmunterung jeder Art mangelte es nicht, da alle Bundes¬
staaten, wenn auch sonst, oder gerade weil im Punkte anderer Einheitsbestre¬
bungen widerwillig, in der Anbahnung gemeinsamer Rechtsgesetze, um doch Et¬
was für die Einheit zu thun, einverstanden erscheinen. Insofern erschien also von
vornherein der Erfolg des Juristentags ziemlich gesichert, weit gesicherter, als
der Handelstag oder der volkswirthschaftliche Verein von sich sagen konnte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/276>, abgerufen am 23.07.2024.