Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

neue Ideen, Berichtigungen der Einzelne, sei er nun recht eigentlich Arbeiter
der Wissenschaft, oder Praktiker, mit nach Hause nimmt, läßt sich kaum be¬
rechnen. Der Gelehrte findet Stoff zu mannigfachem Nachdenken an den Be-^
Pachtungen, welche der Praktiker mittheilt, der Praktiker fühlt sich auf's Neue
angetrieben, die Erscheinungen des Lebens in wissenschaftlichen Mittelpunkten
zusammenzufassen. Mit einem Wort Jeder findet, gesucht oder ungesucht, bei
Andern, was er braucht.

In der That darf man wol diese Versammlungen als Messen und Märkte
der geistigen Arbeit bezeichnen. Wie der Handelsmann semen Vorrath an
Waaren, so führen sie, die Fachgenossen, ihr Wissen an einen bestimmten
Platz des Austauschs. Ob ein Jeder zu geben hat, ob Viele nur empfangen
wollen oder können, kommt dabei nicht in Betracht. Genug, daß eben aus
jede Weise hier Meinungen und Urtheile umgesetzt werden; und zwar, was
sehr wesentlich ist, im persönlichen Verkehr. Manche bisher unbekannte Firma
kommt dadurch in Achtung, manche büßt von dem Nimbus ihres Namens
ein. Das ist begreiflich. Die falschen Vorstellungen von Personen, ihren
Leistungen und Ansichten, welche aus weiter Ferne auf Bücher und Schriften
hin gefaßt wurden, werden oft ganz überraschend berichtigt und mancher
tüchtige Kopf entdeckt, der ohne die Gabe sich aus seiner Einsamkeit heraus
M Bekanntschaft zu verhelfen, nun zur gemeinsamen Arbeit mit dem besten
Nutzen gewonnen werden kann.

Wir könnten das Bild noch weiter ausmalen. Es genügt indessen, nur
im Allgemeinen darauf hinzuweisen , wie allein schon der Verkehr unter einer
größern Anzahl von Männern, welche von den verschiedensten Ländern und
Stellungen aus durch ein gemeinsames Interesse vereinigt werden, einen hohen
Werth haben muß. Ist dem so, so wird man die Sorge für Beförderung
des geselligen Beisammenseins nicht geringschätzen dürfen. Die Stimmung,
welche in den freien Nebenstunden sich verbreitet, ist ohnehin sehr bedeutsam
für den Charakter der eigentlichen Versammlungen. Mithin ist es nicht nnr
billig, sondern nothwendig, daß es an der Gelegenheit zu wohlthuenden
Verkehr, der die Geister und die Herzen ausschließt, nicht fehle. Wie viel
dazu zu thun sei, läßt sich freilich nicht sagen. So wenig das reichste Ver¬
gnügungsprogramm und die prächtigste Ausrüstung der Vergnügungen aus¬
picht, wenn die Zusammenkunft nicht die rechten Elemente in sich trägt, oder
wenn die Atmosphäre des Ortes zu drückend befunden wird, so kann umge¬
kehrt das Wenige leicht genügen, sobald der rechte Sinn vorhanden ist.

Die Geschichte der Kongresse weist gerade in dieser Beziehung die größten
Verschiedenheiten nach. Von der strengen Einfachheit solcher Versammlungen,
welche nur geduldet wurden, bis zu den aufmerksamsten und glänzendsten Be¬
wirthungen auf Staatsunkosten, deren sich andere zu erfreuen hatten, ist eine


neue Ideen, Berichtigungen der Einzelne, sei er nun recht eigentlich Arbeiter
der Wissenschaft, oder Praktiker, mit nach Hause nimmt, läßt sich kaum be¬
rechnen. Der Gelehrte findet Stoff zu mannigfachem Nachdenken an den Be-^
Pachtungen, welche der Praktiker mittheilt, der Praktiker fühlt sich auf's Neue
angetrieben, die Erscheinungen des Lebens in wissenschaftlichen Mittelpunkten
zusammenzufassen. Mit einem Wort Jeder findet, gesucht oder ungesucht, bei
Andern, was er braucht.

In der That darf man wol diese Versammlungen als Messen und Märkte
der geistigen Arbeit bezeichnen. Wie der Handelsmann semen Vorrath an
Waaren, so führen sie, die Fachgenossen, ihr Wissen an einen bestimmten
Platz des Austauschs. Ob ein Jeder zu geben hat, ob Viele nur empfangen
wollen oder können, kommt dabei nicht in Betracht. Genug, daß eben aus
jede Weise hier Meinungen und Urtheile umgesetzt werden; und zwar, was
sehr wesentlich ist, im persönlichen Verkehr. Manche bisher unbekannte Firma
kommt dadurch in Achtung, manche büßt von dem Nimbus ihres Namens
ein. Das ist begreiflich. Die falschen Vorstellungen von Personen, ihren
Leistungen und Ansichten, welche aus weiter Ferne auf Bücher und Schriften
hin gefaßt wurden, werden oft ganz überraschend berichtigt und mancher
tüchtige Kopf entdeckt, der ohne die Gabe sich aus seiner Einsamkeit heraus
M Bekanntschaft zu verhelfen, nun zur gemeinsamen Arbeit mit dem besten
Nutzen gewonnen werden kann.

Wir könnten das Bild noch weiter ausmalen. Es genügt indessen, nur
im Allgemeinen darauf hinzuweisen , wie allein schon der Verkehr unter einer
größern Anzahl von Männern, welche von den verschiedensten Ländern und
Stellungen aus durch ein gemeinsames Interesse vereinigt werden, einen hohen
Werth haben muß. Ist dem so, so wird man die Sorge für Beförderung
des geselligen Beisammenseins nicht geringschätzen dürfen. Die Stimmung,
welche in den freien Nebenstunden sich verbreitet, ist ohnehin sehr bedeutsam
für den Charakter der eigentlichen Versammlungen. Mithin ist es nicht nnr
billig, sondern nothwendig, daß es an der Gelegenheit zu wohlthuenden
Verkehr, der die Geister und die Herzen ausschließt, nicht fehle. Wie viel
dazu zu thun sei, läßt sich freilich nicht sagen. So wenig das reichste Ver¬
gnügungsprogramm und die prächtigste Ausrüstung der Vergnügungen aus¬
picht, wenn die Zusammenkunft nicht die rechten Elemente in sich trägt, oder
wenn die Atmosphäre des Ortes zu drückend befunden wird, so kann umge¬
kehrt das Wenige leicht genügen, sobald der rechte Sinn vorhanden ist.

Die Geschichte der Kongresse weist gerade in dieser Beziehung die größten
Verschiedenheiten nach. Von der strengen Einfachheit solcher Versammlungen,
welche nur geduldet wurden, bis zu den aufmerksamsten und glänzendsten Be¬
wirthungen auf Staatsunkosten, deren sich andere zu erfreuen hatten, ist eine


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0273" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/112781"/>
            <p xml:id="ID_805" prev="#ID_804"> neue Ideen, Berichtigungen der Einzelne, sei er nun recht eigentlich Arbeiter<lb/>
der Wissenschaft, oder Praktiker, mit nach Hause nimmt, läßt sich kaum be¬<lb/>
rechnen. Der Gelehrte findet Stoff zu mannigfachem Nachdenken an den Be-^<lb/>
Pachtungen, welche der Praktiker mittheilt, der Praktiker fühlt sich auf's Neue<lb/>
angetrieben, die Erscheinungen des Lebens in wissenschaftlichen Mittelpunkten<lb/>
zusammenzufassen. Mit einem Wort Jeder findet, gesucht oder ungesucht, bei<lb/>
Andern, was er braucht.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_806"> In der That darf man wol diese Versammlungen als Messen und Märkte<lb/>
der geistigen Arbeit bezeichnen. Wie der Handelsmann semen Vorrath an<lb/>
Waaren, so führen sie, die Fachgenossen, ihr Wissen an einen bestimmten<lb/>
Platz des Austauschs. Ob ein Jeder zu geben hat, ob Viele nur empfangen<lb/>
wollen oder können, kommt dabei nicht in Betracht. Genug, daß eben aus<lb/>
jede Weise hier Meinungen und Urtheile umgesetzt werden; und zwar, was<lb/>
sehr wesentlich ist, im persönlichen Verkehr. Manche bisher unbekannte Firma<lb/>
kommt dadurch in Achtung, manche büßt von dem Nimbus ihres Namens<lb/>
ein. Das ist begreiflich. Die falschen Vorstellungen von Personen, ihren<lb/>
Leistungen und Ansichten, welche aus weiter Ferne auf Bücher und Schriften<lb/>
hin gefaßt wurden, werden oft ganz überraschend berichtigt und mancher<lb/>
tüchtige Kopf entdeckt, der ohne die Gabe sich aus seiner Einsamkeit heraus<lb/>
M Bekanntschaft zu verhelfen, nun zur gemeinsamen Arbeit mit dem besten<lb/>
Nutzen gewonnen werden kann.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_807"> Wir könnten das Bild noch weiter ausmalen. Es genügt indessen, nur<lb/>
im Allgemeinen darauf hinzuweisen , wie allein schon der Verkehr unter einer<lb/>
größern Anzahl von Männern, welche von den verschiedensten Ländern und<lb/>
Stellungen aus durch ein gemeinsames Interesse vereinigt werden, einen hohen<lb/>
Werth haben muß. Ist dem so, so wird man die Sorge für Beförderung<lb/>
des geselligen Beisammenseins nicht geringschätzen dürfen. Die Stimmung,<lb/>
welche in den freien Nebenstunden sich verbreitet, ist ohnehin sehr bedeutsam<lb/>
für den Charakter der eigentlichen Versammlungen. Mithin ist es nicht nnr<lb/>
billig, sondern nothwendig, daß es an der Gelegenheit zu wohlthuenden<lb/>
Verkehr, der die Geister und die Herzen ausschließt, nicht fehle. Wie viel<lb/>
dazu zu thun sei, läßt sich freilich nicht sagen. So wenig das reichste Ver¬<lb/>
gnügungsprogramm und die prächtigste Ausrüstung der Vergnügungen aus¬<lb/>
picht, wenn die Zusammenkunft nicht die rechten Elemente in sich trägt, oder<lb/>
wenn die Atmosphäre des Ortes zu drückend befunden wird, so kann umge¬<lb/>
kehrt das Wenige leicht genügen, sobald der rechte Sinn vorhanden ist.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_808" next="#ID_809"> Die Geschichte der Kongresse weist gerade in dieser Beziehung die größten<lb/>
Verschiedenheiten nach. Von der strengen Einfachheit solcher Versammlungen,<lb/>
welche nur geduldet wurden, bis zu den aufmerksamsten und glänzendsten Be¬<lb/>
wirthungen auf Staatsunkosten, deren sich andere zu erfreuen hatten, ist eine</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0273] neue Ideen, Berichtigungen der Einzelne, sei er nun recht eigentlich Arbeiter der Wissenschaft, oder Praktiker, mit nach Hause nimmt, läßt sich kaum be¬ rechnen. Der Gelehrte findet Stoff zu mannigfachem Nachdenken an den Be-^ Pachtungen, welche der Praktiker mittheilt, der Praktiker fühlt sich auf's Neue angetrieben, die Erscheinungen des Lebens in wissenschaftlichen Mittelpunkten zusammenzufassen. Mit einem Wort Jeder findet, gesucht oder ungesucht, bei Andern, was er braucht. In der That darf man wol diese Versammlungen als Messen und Märkte der geistigen Arbeit bezeichnen. Wie der Handelsmann semen Vorrath an Waaren, so führen sie, die Fachgenossen, ihr Wissen an einen bestimmten Platz des Austauschs. Ob ein Jeder zu geben hat, ob Viele nur empfangen wollen oder können, kommt dabei nicht in Betracht. Genug, daß eben aus jede Weise hier Meinungen und Urtheile umgesetzt werden; und zwar, was sehr wesentlich ist, im persönlichen Verkehr. Manche bisher unbekannte Firma kommt dadurch in Achtung, manche büßt von dem Nimbus ihres Namens ein. Das ist begreiflich. Die falschen Vorstellungen von Personen, ihren Leistungen und Ansichten, welche aus weiter Ferne auf Bücher und Schriften hin gefaßt wurden, werden oft ganz überraschend berichtigt und mancher tüchtige Kopf entdeckt, der ohne die Gabe sich aus seiner Einsamkeit heraus M Bekanntschaft zu verhelfen, nun zur gemeinsamen Arbeit mit dem besten Nutzen gewonnen werden kann. Wir könnten das Bild noch weiter ausmalen. Es genügt indessen, nur im Allgemeinen darauf hinzuweisen , wie allein schon der Verkehr unter einer größern Anzahl von Männern, welche von den verschiedensten Ländern und Stellungen aus durch ein gemeinsames Interesse vereinigt werden, einen hohen Werth haben muß. Ist dem so, so wird man die Sorge für Beförderung des geselligen Beisammenseins nicht geringschätzen dürfen. Die Stimmung, welche in den freien Nebenstunden sich verbreitet, ist ohnehin sehr bedeutsam für den Charakter der eigentlichen Versammlungen. Mithin ist es nicht nnr billig, sondern nothwendig, daß es an der Gelegenheit zu wohlthuenden Verkehr, der die Geister und die Herzen ausschließt, nicht fehle. Wie viel dazu zu thun sei, läßt sich freilich nicht sagen. So wenig das reichste Ver¬ gnügungsprogramm und die prächtigste Ausrüstung der Vergnügungen aus¬ picht, wenn die Zusammenkunft nicht die rechten Elemente in sich trägt, oder wenn die Atmosphäre des Ortes zu drückend befunden wird, so kann umge¬ kehrt das Wenige leicht genügen, sobald der rechte Sinn vorhanden ist. Die Geschichte der Kongresse weist gerade in dieser Beziehung die größten Verschiedenheiten nach. Von der strengen Einfachheit solcher Versammlungen, welche nur geduldet wurden, bis zu den aufmerksamsten und glänzendsten Be¬ wirthungen auf Staatsunkosten, deren sich andere zu erfreuen hatten, ist eine

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/273
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/273>, abgerufen am 23.07.2024.