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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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straffe Wesen der orientalischen Menschen als den ungemein feinen und lichten
Luftton. in dem die ganze Natur schwimmt, in einer skizzenhaften, aber leichten
und sichern Behandlung wiederzugeben, --

In der Darstellung des Thierlebens haben es die neueren Franzosen
zu einer großen Virtuosität gebracht. Was die Auffassungsweise im Allgemei¬
nen betrifft, so verweisen wir wieder auf das fünfte Kapitel. Die älteren
Maler, worunter Brascassat der bedeutendste, sind in der Behandlung sorg¬
fältig und ausführlich, haben aber etwas Zartes und Gelecktes. Rosa Bon-
heur gibt ganze Scenen aus dem Betrieb des Ackerbaus; sie sieht dieses
Naturleben in seiner kräftigen Fülle und Schönheit, und daher mag es kommen,
daß sie ihren Thieren, so gut sie sich auch aus deren Bildung versteht, nicht
den Schein einer individuellen Bestimmtheit zu geben vermag. Konstant
Proyon dagegen, der ganz dieselben Stoffe behandelt, stellt das Thier in
der Erscheinung dar, die ihm die harte Wirklichkeit der Noth und Anstrengung
gegeben hat; zugleich aber weiß er über seine Bilder eine täuschend wahre
Luft- und Lichtstimmung zu ziehen (kalter Morgen, Mittagssonne u. s. f.) und
in seine Anordnung eine gewisse Behaglichkeit des Landlebens zu bringen, die
diesem Realismus eine Art von Poesie geben. Er hat viele Nachahmer ge¬
funden. Alfred de Dreux malt mit Geschick das Racepferd. Veyrassat
den Karrengaul. Philippe Rousseau sucht mit flüssigem, aber flottem,
lebendigem Strich dem Thierleben eine komische Seite abzugewinnen. --

Werfen wir einen übersichtlichen Blick auf diese ausgedehnte, unter die
Künstler bis in's Kleinste vertheilte Welt der Genremalerei: so zeigt sich, wie
wir dies gleich Anfangs bemerkt, trotz des Reichthums der nach allen Seiten
aufgeschlossenen Stoffwelt eine Gehaltlosigkeit in den künstlerischen Ideen, eine
Armuth der Phantasie in der Erfindung, wie sie in einer früheren Kunstperiode
nicht leicht anzutreffen ist; es fehlt eben in der Auffassung an der inneren
Lebenstiefe und Fülle, sei es nun, daß diese in den Erscheinungen, die dem
Maler sich bieten, nicht heraustritt, sei es, daß seine Anschauung sie nicht
Zu entdecken vermag^

Die vielbesprochene Ungunst des Zeitalters liegt hier offen zu Tage.
Andrerseits aber zeigt sich in der Behandlung eine nicht gemeine Geschicklich,
keit und eine Ausbildung des malerischen Sinnes, die sich im Ganzen mit
richtigem Tact an die Welt der Erscheinung hält und diese in schlagender
Naturwahrheit wiederzugeben mit allen Mitteln der Darstellung bemüht ist.
Die historische Malerei ist gleichsam in Stücke gegangen. Ein Versuch des
früher erwähnten Thomas Couture, ihr durch seine "Römer des Verfalls"
(184?) einen neuen Aufschwung zu geben, ist verunglückt; in den halbnackten,
beim üppigen Mahl versammelten, nur äußerlich verbundenen Gruppen drückt
sich, was dem Maler vorschwebte, nicht aus. auch das heruntergekommene


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straffe Wesen der orientalischen Menschen als den ungemein feinen und lichten
Luftton. in dem die ganze Natur schwimmt, in einer skizzenhaften, aber leichten
und sichern Behandlung wiederzugeben, —

In der Darstellung des Thierlebens haben es die neueren Franzosen
zu einer großen Virtuosität gebracht. Was die Auffassungsweise im Allgemei¬
nen betrifft, so verweisen wir wieder auf das fünfte Kapitel. Die älteren
Maler, worunter Brascassat der bedeutendste, sind in der Behandlung sorg¬
fältig und ausführlich, haben aber etwas Zartes und Gelecktes. Rosa Bon-
heur gibt ganze Scenen aus dem Betrieb des Ackerbaus; sie sieht dieses
Naturleben in seiner kräftigen Fülle und Schönheit, und daher mag es kommen,
daß sie ihren Thieren, so gut sie sich auch aus deren Bildung versteht, nicht
den Schein einer individuellen Bestimmtheit zu geben vermag. Konstant
Proyon dagegen, der ganz dieselben Stoffe behandelt, stellt das Thier in
der Erscheinung dar, die ihm die harte Wirklichkeit der Noth und Anstrengung
gegeben hat; zugleich aber weiß er über seine Bilder eine täuschend wahre
Luft- und Lichtstimmung zu ziehen (kalter Morgen, Mittagssonne u. s. f.) und
in seine Anordnung eine gewisse Behaglichkeit des Landlebens zu bringen, die
diesem Realismus eine Art von Poesie geben. Er hat viele Nachahmer ge¬
funden. Alfred de Dreux malt mit Geschick das Racepferd. Veyrassat
den Karrengaul. Philippe Rousseau sucht mit flüssigem, aber flottem,
lebendigem Strich dem Thierleben eine komische Seite abzugewinnen. —

Werfen wir einen übersichtlichen Blick auf diese ausgedehnte, unter die
Künstler bis in's Kleinste vertheilte Welt der Genremalerei: so zeigt sich, wie
wir dies gleich Anfangs bemerkt, trotz des Reichthums der nach allen Seiten
aufgeschlossenen Stoffwelt eine Gehaltlosigkeit in den künstlerischen Ideen, eine
Armuth der Phantasie in der Erfindung, wie sie in einer früheren Kunstperiode
nicht leicht anzutreffen ist; es fehlt eben in der Auffassung an der inneren
Lebenstiefe und Fülle, sei es nun, daß diese in den Erscheinungen, die dem
Maler sich bieten, nicht heraustritt, sei es, daß seine Anschauung sie nicht
Zu entdecken vermag^

Die vielbesprochene Ungunst des Zeitalters liegt hier offen zu Tage.
Andrerseits aber zeigt sich in der Behandlung eine nicht gemeine Geschicklich,
keit und eine Ausbildung des malerischen Sinnes, die sich im Ganzen mit
richtigem Tact an die Welt der Erscheinung hält und diese in schlagender
Naturwahrheit wiederzugeben mit allen Mitteln der Darstellung bemüht ist.
Die historische Malerei ist gleichsam in Stücke gegangen. Ein Versuch des
früher erwähnten Thomas Couture, ihr durch seine „Römer des Verfalls"
(184?) einen neuen Aufschwung zu geben, ist verunglückt; in den halbnackten,
beim üppigen Mahl versammelten, nur äußerlich verbundenen Gruppen drückt
sich, was dem Maler vorschwebte, nicht aus. auch das heruntergekommene


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[0269] straffe Wesen der orientalischen Menschen als den ungemein feinen und lichten Luftton. in dem die ganze Natur schwimmt, in einer skizzenhaften, aber leichten und sichern Behandlung wiederzugeben, — In der Darstellung des Thierlebens haben es die neueren Franzosen zu einer großen Virtuosität gebracht. Was die Auffassungsweise im Allgemei¬ nen betrifft, so verweisen wir wieder auf das fünfte Kapitel. Die älteren Maler, worunter Brascassat der bedeutendste, sind in der Behandlung sorg¬ fältig und ausführlich, haben aber etwas Zartes und Gelecktes. Rosa Bon- heur gibt ganze Scenen aus dem Betrieb des Ackerbaus; sie sieht dieses Naturleben in seiner kräftigen Fülle und Schönheit, und daher mag es kommen, daß sie ihren Thieren, so gut sie sich auch aus deren Bildung versteht, nicht den Schein einer individuellen Bestimmtheit zu geben vermag. Konstant Proyon dagegen, der ganz dieselben Stoffe behandelt, stellt das Thier in der Erscheinung dar, die ihm die harte Wirklichkeit der Noth und Anstrengung gegeben hat; zugleich aber weiß er über seine Bilder eine täuschend wahre Luft- und Lichtstimmung zu ziehen (kalter Morgen, Mittagssonne u. s. f.) und in seine Anordnung eine gewisse Behaglichkeit des Landlebens zu bringen, die diesem Realismus eine Art von Poesie geben. Er hat viele Nachahmer ge¬ funden. Alfred de Dreux malt mit Geschick das Racepferd. Veyrassat den Karrengaul. Philippe Rousseau sucht mit flüssigem, aber flottem, lebendigem Strich dem Thierleben eine komische Seite abzugewinnen. — Werfen wir einen übersichtlichen Blick auf diese ausgedehnte, unter die Künstler bis in's Kleinste vertheilte Welt der Genremalerei: so zeigt sich, wie wir dies gleich Anfangs bemerkt, trotz des Reichthums der nach allen Seiten aufgeschlossenen Stoffwelt eine Gehaltlosigkeit in den künstlerischen Ideen, eine Armuth der Phantasie in der Erfindung, wie sie in einer früheren Kunstperiode nicht leicht anzutreffen ist; es fehlt eben in der Auffassung an der inneren Lebenstiefe und Fülle, sei es nun, daß diese in den Erscheinungen, die dem Maler sich bieten, nicht heraustritt, sei es, daß seine Anschauung sie nicht Zu entdecken vermag^ Die vielbesprochene Ungunst des Zeitalters liegt hier offen zu Tage. Andrerseits aber zeigt sich in der Behandlung eine nicht gemeine Geschicklich, keit und eine Ausbildung des malerischen Sinnes, die sich im Ganzen mit richtigem Tact an die Welt der Erscheinung hält und diese in schlagender Naturwahrheit wiederzugeben mit allen Mitteln der Darstellung bemüht ist. Die historische Malerei ist gleichsam in Stücke gegangen. Ein Versuch des früher erwähnten Thomas Couture, ihr durch seine „Römer des Verfalls" (184?) einen neuen Aufschwung zu geben, ist verunglückt; in den halbnackten, beim üppigen Mahl versammelten, nur äußerlich verbundenen Gruppen drückt sich, was dem Maler vorschwebte, nicht aus. auch das heruntergekommene 33*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/269>, abgerufen am 23.07.2024.