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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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Faust in oder oder fünf Bildern mit dem ganzen Apparat des gothischen Mittel¬
alters hart und scharf nach dem hierzu schlecht gewählten Vorbilde der van Eyk'-
sehen Schule dargestellt. Eine Verquickung moderner Poesie mit alterthümeln-
der Anschauung, die nur zu sehr beweist, wie rathlos die Kunst im Leeren
hcrumtappt. --

Eine ähnliche Verkennung der eigentlichen Aufgabe der Malerei findet
sich in verschiedenen Versuchen, einerseits bloßen Träumen der Phantasie, andrer¬
seits einer abstracten und kleinbürgerlichen Moral eine bildliche Form zu geben.
Cölestin Nanteuil malte mit koloristischen Effect die Erinnerungen eines
alten Iagdhüters als in der Luft schwebende Gestalten, Papety in schillern¬
den Farben den Glückstraum, genau nach dem Systeme Fourier's. Dagegen
stellt Barth6>cap Glaize in realistisch derben Formen und körperlicher
Farbe die vom Schicksal heimgesuchten großen Männer aller Zeiten unter den
Namen "1e Mori" am Pranger dar und neuerdings das als altes Weib perloni-
ficirte Elend, wie es blühende Mädchen dem Verführer in die Arme treibt;
Leloir läßt seine nackten Figuren, um ihnen ein erhöhtes Interesse zu geben,
den Klettermast hinaufsteigen, das oben hängende Geld zu erlangen, wobei
sie denn jämmerlich zu Grunde gehen: die Allegorie des Börsenspiels. Andere
suchen die nebelhaftesten Gebilde schauriger Volksmährchen festzuhalten, deren
Reiz gerade im wollenartigen Verschweben besteht. In ähnlicher Weise greift
Octave Penguilly l'Haridon, dem es übrigens an gestaltender Phantasie
nicht fehlt, in das Gebiet der Poesie über, wenn er seine Figuren in eine
seltsame phantastische Situation setzt, um den Beschauer zu ergreifenden Ge¬
danken anzuregen (Tod eines armen Teufels in einer Spielhölle. Tod des
Judas). Ein ganz anderer, aber noch schlimmerer Fall ist es mitFranyois
Biard, der mit einem nicht unbedeutenden, aber rohen Talente in die Domaine
der Journalliteratur eingreift, sei es, daß er sich Jllustrationswitze aus dem
niederen Volksleben oder abentheuerliche Scenen ans seinen weiten Reisen
(Sklavenhandel, Europäer in Urwäldern u. tgi. mehr) zum Borwurf nimmt.

Im Gegensatz zu derlei Verirrungen geht eine andere Klasse von Malern
durch die Wahl anziehender Motive und eine stimmungsvolle Behandlung auf
eine solche poetische Wirkung aus, die den Gesetzen der bildenden Kunst nicht
widerstreitet und den Reiz des Malerischen durch den Hauch einer über das
Bild ausgegossenen Empfindung erhöht. Die Stoffe sind meistens wieder dem
italienischen Leben entnommen. Der bedeutendste ist Ernest Hubert (Schüler
von Delaroche). dessen Malaria einen großen Erfolg hatte: eine römische
Familie entflieht auf der Barke die Tiber hinab der Ansteckung. Die schönen,
zum Theil vom Leiden schon leise angehauchten Gestalten, der stille Zug der
Wehmuth, ihre seelenvolle Beziehung zu einander, der schwüle unheimliche
Luftton, w dem Erde, Menschen und Wasser schweben und schwimmen: das


Faust in oder oder fünf Bildern mit dem ganzen Apparat des gothischen Mittel¬
alters hart und scharf nach dem hierzu schlecht gewählten Vorbilde der van Eyk'-
sehen Schule dargestellt. Eine Verquickung moderner Poesie mit alterthümeln-
der Anschauung, die nur zu sehr beweist, wie rathlos die Kunst im Leeren
hcrumtappt. —

Eine ähnliche Verkennung der eigentlichen Aufgabe der Malerei findet
sich in verschiedenen Versuchen, einerseits bloßen Träumen der Phantasie, andrer¬
seits einer abstracten und kleinbürgerlichen Moral eine bildliche Form zu geben.
Cölestin Nanteuil malte mit koloristischen Effect die Erinnerungen eines
alten Iagdhüters als in der Luft schwebende Gestalten, Papety in schillern¬
den Farben den Glückstraum, genau nach dem Systeme Fourier's. Dagegen
stellt Barth6>cap Glaize in realistisch derben Formen und körperlicher
Farbe die vom Schicksal heimgesuchten großen Männer aller Zeiten unter den
Namen „1e Mori" am Pranger dar und neuerdings das als altes Weib perloni-
ficirte Elend, wie es blühende Mädchen dem Verführer in die Arme treibt;
Leloir läßt seine nackten Figuren, um ihnen ein erhöhtes Interesse zu geben,
den Klettermast hinaufsteigen, das oben hängende Geld zu erlangen, wobei
sie denn jämmerlich zu Grunde gehen: die Allegorie des Börsenspiels. Andere
suchen die nebelhaftesten Gebilde schauriger Volksmährchen festzuhalten, deren
Reiz gerade im wollenartigen Verschweben besteht. In ähnlicher Weise greift
Octave Penguilly l'Haridon, dem es übrigens an gestaltender Phantasie
nicht fehlt, in das Gebiet der Poesie über, wenn er seine Figuren in eine
seltsame phantastische Situation setzt, um den Beschauer zu ergreifenden Ge¬
danken anzuregen (Tod eines armen Teufels in einer Spielhölle. Tod des
Judas). Ein ganz anderer, aber noch schlimmerer Fall ist es mitFranyois
Biard, der mit einem nicht unbedeutenden, aber rohen Talente in die Domaine
der Journalliteratur eingreift, sei es, daß er sich Jllustrationswitze aus dem
niederen Volksleben oder abentheuerliche Scenen ans seinen weiten Reisen
(Sklavenhandel, Europäer in Urwäldern u. tgi. mehr) zum Borwurf nimmt.

Im Gegensatz zu derlei Verirrungen geht eine andere Klasse von Malern
durch die Wahl anziehender Motive und eine stimmungsvolle Behandlung auf
eine solche poetische Wirkung aus, die den Gesetzen der bildenden Kunst nicht
widerstreitet und den Reiz des Malerischen durch den Hauch einer über das
Bild ausgegossenen Empfindung erhöht. Die Stoffe sind meistens wieder dem
italienischen Leben entnommen. Der bedeutendste ist Ernest Hubert (Schüler
von Delaroche). dessen Malaria einen großen Erfolg hatte: eine römische
Familie entflieht auf der Barke die Tiber hinab der Ansteckung. Die schönen,
zum Theil vom Leiden schon leise angehauchten Gestalten, der stille Zug der
Wehmuth, ihre seelenvolle Beziehung zu einander, der schwüle unheimliche
Luftton, w dem Erde, Menschen und Wasser schweben und schwimmen: das


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[0264] Faust in oder oder fünf Bildern mit dem ganzen Apparat des gothischen Mittel¬ alters hart und scharf nach dem hierzu schlecht gewählten Vorbilde der van Eyk'- sehen Schule dargestellt. Eine Verquickung moderner Poesie mit alterthümeln- der Anschauung, die nur zu sehr beweist, wie rathlos die Kunst im Leeren hcrumtappt. — Eine ähnliche Verkennung der eigentlichen Aufgabe der Malerei findet sich in verschiedenen Versuchen, einerseits bloßen Träumen der Phantasie, andrer¬ seits einer abstracten und kleinbürgerlichen Moral eine bildliche Form zu geben. Cölestin Nanteuil malte mit koloristischen Effect die Erinnerungen eines alten Iagdhüters als in der Luft schwebende Gestalten, Papety in schillern¬ den Farben den Glückstraum, genau nach dem Systeme Fourier's. Dagegen stellt Barth6>cap Glaize in realistisch derben Formen und körperlicher Farbe die vom Schicksal heimgesuchten großen Männer aller Zeiten unter den Namen „1e Mori" am Pranger dar und neuerdings das als altes Weib perloni- ficirte Elend, wie es blühende Mädchen dem Verführer in die Arme treibt; Leloir läßt seine nackten Figuren, um ihnen ein erhöhtes Interesse zu geben, den Klettermast hinaufsteigen, das oben hängende Geld zu erlangen, wobei sie denn jämmerlich zu Grunde gehen: die Allegorie des Börsenspiels. Andere suchen die nebelhaftesten Gebilde schauriger Volksmährchen festzuhalten, deren Reiz gerade im wollenartigen Verschweben besteht. In ähnlicher Weise greift Octave Penguilly l'Haridon, dem es übrigens an gestaltender Phantasie nicht fehlt, in das Gebiet der Poesie über, wenn er seine Figuren in eine seltsame phantastische Situation setzt, um den Beschauer zu ergreifenden Ge¬ danken anzuregen (Tod eines armen Teufels in einer Spielhölle. Tod des Judas). Ein ganz anderer, aber noch schlimmerer Fall ist es mitFranyois Biard, der mit einem nicht unbedeutenden, aber rohen Talente in die Domaine der Journalliteratur eingreift, sei es, daß er sich Jllustrationswitze aus dem niederen Volksleben oder abentheuerliche Scenen ans seinen weiten Reisen (Sklavenhandel, Europäer in Urwäldern u. tgi. mehr) zum Borwurf nimmt. Im Gegensatz zu derlei Verirrungen geht eine andere Klasse von Malern durch die Wahl anziehender Motive und eine stimmungsvolle Behandlung auf eine solche poetische Wirkung aus, die den Gesetzen der bildenden Kunst nicht widerstreitet und den Reiz des Malerischen durch den Hauch einer über das Bild ausgegossenen Empfindung erhöht. Die Stoffe sind meistens wieder dem italienischen Leben entnommen. Der bedeutendste ist Ernest Hubert (Schüler von Delaroche). dessen Malaria einen großen Erfolg hatte: eine römische Familie entflieht auf der Barke die Tiber hinab der Ansteckung. Die schönen, zum Theil vom Leiden schon leise angehauchten Gestalten, der stille Zug der Wehmuth, ihre seelenvolle Beziehung zu einander, der schwüle unheimliche Luftton, w dem Erde, Menschen und Wasser schweben und schwimmen: das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/264>, abgerufen am 23.07.2024.