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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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Kunst zugleich die Bewegung eines inneren geistigen Aufschwungs auszudrücken
hatte, die drückende, erlahmende Ungunst der modernen Cultursormen. Selbst
der Aufruhr des Volkes ließ sich nicht recht malerisch an, weil dasselbe im
Ausbruch wilder Leidenschaften wie im rohen Widerstreite gegen das wesent¬
liche Element des Zeitalters, die Bildung des Geistes, zu kämpfen schien.
Aber noch schlimmer wurde die Sache, als die neue Regierung im Gefühl ih¬
rer Volksthümlichkeit die breite Prosa ihrer halb bürgerlichen halb königlichen
Existenz, alle Acte ihrer Jnstallirung und die abstracten Einrichtungen einer
neuen Friedensära durch die historische Kunst gleichsam registriren ließ. Vor¬
nehmlich waren es die obengenannten Akademiker, in deren Hände diese
ehrenvollen Aufträge kamen (Lariviöre, Vinchon. Heim. Gosse), und es läßt
sich denken, wie die portraitartigen Figuren, im officiellen Costüm und in der
knappen Beziehung ceremonieller Verhandlungen festgehalten, in der Steifheit
einer theatralischen Würde sich ausnehmen. Ein jüngerer Nachfolger aus der
David'schen Schule Dssir6 Court, dessen erstes Werk (Tod Cäsar's, 1827)
sein nicht gewöhnliches Talent gezeigt hatte, ist in derartigen Bildern geradezu
zu Grunde gegangen. Eine spätere Zeit wird staunen, daß es der unsrigen
beifiel, die Armuth und Verkehrtheit ihrer ästhetischen Erscheinung sich durch
die Kunst selber bescheinigen zu lassen.

Hatte Louis Philipp mit diesen Bestellungen der historischen Kunst
wenig Vorschub geleistet, so wußte er sie durch die Gründung des Museums
von Versailles um so tiefer anzuregen. Er kannte seine Zeit und seine
Nation. Diese, welche sich groß und sicher in dem Zustande einer geordneten
Freiheit fühlte, richtete gern den Blick auf den äußeren Glanz und die innere
Entwicklung ihrer Geschichte: sie schien das Höchste erreicht zu haben und sah
in der Vergangenheit ihr allmäliges Emporklimmen. Was Frankreich an
früheren historischen Bildern Gutes besaß, wurde vereinigt und da die großen
Momente der französischen Geschickte von ihrem Beginn an in fortlaufender
Reihe dargestellt werden sollten, alle älteren und jüngeren Kräfte für diese
große Aufgabe beschäftigt. Und nun erst trugen die historischen Forschungen
der zwanziger Jahre ihre Früchte. Die romantische, wechselvolle, thatenreiche
Zeit der Merowinger und der Kreuzzüge war aufgedeckt. Dem Maler stand
die Zauberwelt des ritterlichen Lebens offen. Daran schloß sich die heitere,
reiche Pracht, der Glanz der Renaissance; die neue Zeit, vertreten durch die
in hundert Kämpfen siegreiche Weltherrschaft Napoleon's, stand den früheren
Perioden ebenbürtig zur Seite. Ein lebendiges Interesse für diese ganze
Vergangenheit war geweckt, ein tieferes Verständniß aufgeschlossen, das dem
Künstler unentbehrliche Detail der Cultursormen aus dem Dunkel der Jahr¬
hunderte hervorgeholt. Und indem der Maler aus der Fülle dieser Stoffe
einen zur Behandlung herausnahm, fühlte er sich von vornherein von der


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Kunst zugleich die Bewegung eines inneren geistigen Aufschwungs auszudrücken
hatte, die drückende, erlahmende Ungunst der modernen Cultursormen. Selbst
der Aufruhr des Volkes ließ sich nicht recht malerisch an, weil dasselbe im
Ausbruch wilder Leidenschaften wie im rohen Widerstreite gegen das wesent¬
liche Element des Zeitalters, die Bildung des Geistes, zu kämpfen schien.
Aber noch schlimmer wurde die Sache, als die neue Regierung im Gefühl ih¬
rer Volksthümlichkeit die breite Prosa ihrer halb bürgerlichen halb königlichen
Existenz, alle Acte ihrer Jnstallirung und die abstracten Einrichtungen einer
neuen Friedensära durch die historische Kunst gleichsam registriren ließ. Vor¬
nehmlich waren es die obengenannten Akademiker, in deren Hände diese
ehrenvollen Aufträge kamen (Lariviöre, Vinchon. Heim. Gosse), und es läßt
sich denken, wie die portraitartigen Figuren, im officiellen Costüm und in der
knappen Beziehung ceremonieller Verhandlungen festgehalten, in der Steifheit
einer theatralischen Würde sich ausnehmen. Ein jüngerer Nachfolger aus der
David'schen Schule Dssir6 Court, dessen erstes Werk (Tod Cäsar's, 1827)
sein nicht gewöhnliches Talent gezeigt hatte, ist in derartigen Bildern geradezu
zu Grunde gegangen. Eine spätere Zeit wird staunen, daß es der unsrigen
beifiel, die Armuth und Verkehrtheit ihrer ästhetischen Erscheinung sich durch
die Kunst selber bescheinigen zu lassen.

Hatte Louis Philipp mit diesen Bestellungen der historischen Kunst
wenig Vorschub geleistet, so wußte er sie durch die Gründung des Museums
von Versailles um so tiefer anzuregen. Er kannte seine Zeit und seine
Nation. Diese, welche sich groß und sicher in dem Zustande einer geordneten
Freiheit fühlte, richtete gern den Blick auf den äußeren Glanz und die innere
Entwicklung ihrer Geschichte: sie schien das Höchste erreicht zu haben und sah
in der Vergangenheit ihr allmäliges Emporklimmen. Was Frankreich an
früheren historischen Bildern Gutes besaß, wurde vereinigt und da die großen
Momente der französischen Geschickte von ihrem Beginn an in fortlaufender
Reihe dargestellt werden sollten, alle älteren und jüngeren Kräfte für diese
große Aufgabe beschäftigt. Und nun erst trugen die historischen Forschungen
der zwanziger Jahre ihre Früchte. Die romantische, wechselvolle, thatenreiche
Zeit der Merowinger und der Kreuzzüge war aufgedeckt. Dem Maler stand
die Zauberwelt des ritterlichen Lebens offen. Daran schloß sich die heitere,
reiche Pracht, der Glanz der Renaissance; die neue Zeit, vertreten durch die
in hundert Kämpfen siegreiche Weltherrschaft Napoleon's, stand den früheren
Perioden ebenbürtig zur Seite. Ein lebendiges Interesse für diese ganze
Vergangenheit war geweckt, ein tieferes Verständniß aufgeschlossen, das dem
Künstler unentbehrliche Detail der Cultursormen aus dem Dunkel der Jahr¬
hunderte hervorgeholt. Und indem der Maler aus der Fülle dieser Stoffe
einen zur Behandlung herausnahm, fühlte er sich von vornherein von der


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[0237] Kunst zugleich die Bewegung eines inneren geistigen Aufschwungs auszudrücken hatte, die drückende, erlahmende Ungunst der modernen Cultursormen. Selbst der Aufruhr des Volkes ließ sich nicht recht malerisch an, weil dasselbe im Ausbruch wilder Leidenschaften wie im rohen Widerstreite gegen das wesent¬ liche Element des Zeitalters, die Bildung des Geistes, zu kämpfen schien. Aber noch schlimmer wurde die Sache, als die neue Regierung im Gefühl ih¬ rer Volksthümlichkeit die breite Prosa ihrer halb bürgerlichen halb königlichen Existenz, alle Acte ihrer Jnstallirung und die abstracten Einrichtungen einer neuen Friedensära durch die historische Kunst gleichsam registriren ließ. Vor¬ nehmlich waren es die obengenannten Akademiker, in deren Hände diese ehrenvollen Aufträge kamen (Lariviöre, Vinchon. Heim. Gosse), und es läßt sich denken, wie die portraitartigen Figuren, im officiellen Costüm und in der knappen Beziehung ceremonieller Verhandlungen festgehalten, in der Steifheit einer theatralischen Würde sich ausnehmen. Ein jüngerer Nachfolger aus der David'schen Schule Dssir6 Court, dessen erstes Werk (Tod Cäsar's, 1827) sein nicht gewöhnliches Talent gezeigt hatte, ist in derartigen Bildern geradezu zu Grunde gegangen. Eine spätere Zeit wird staunen, daß es der unsrigen beifiel, die Armuth und Verkehrtheit ihrer ästhetischen Erscheinung sich durch die Kunst selber bescheinigen zu lassen. Hatte Louis Philipp mit diesen Bestellungen der historischen Kunst wenig Vorschub geleistet, so wußte er sie durch die Gründung des Museums von Versailles um so tiefer anzuregen. Er kannte seine Zeit und seine Nation. Diese, welche sich groß und sicher in dem Zustande einer geordneten Freiheit fühlte, richtete gern den Blick auf den äußeren Glanz und die innere Entwicklung ihrer Geschichte: sie schien das Höchste erreicht zu haben und sah in der Vergangenheit ihr allmäliges Emporklimmen. Was Frankreich an früheren historischen Bildern Gutes besaß, wurde vereinigt und da die großen Momente der französischen Geschickte von ihrem Beginn an in fortlaufender Reihe dargestellt werden sollten, alle älteren und jüngeren Kräfte für diese große Aufgabe beschäftigt. Und nun erst trugen die historischen Forschungen der zwanziger Jahre ihre Früchte. Die romantische, wechselvolle, thatenreiche Zeit der Merowinger und der Kreuzzüge war aufgedeckt. Dem Maler stand die Zauberwelt des ritterlichen Lebens offen. Daran schloß sich die heitere, reiche Pracht, der Glanz der Renaissance; die neue Zeit, vertreten durch die in hundert Kämpfen siegreiche Weltherrschaft Napoleon's, stand den früheren Perioden ebenbürtig zur Seite. Ein lebendiges Interesse für diese ganze Vergangenheit war geweckt, ein tieferes Verständniß aufgeschlossen, das dem Künstler unentbehrliche Detail der Cultursormen aus dem Dunkel der Jahr¬ hunderte hervorgeholt. Und indem der Maler aus der Fülle dieser Stoffe einen zur Behandlung herausnahm, fühlte er sich von vornherein von der 29*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/237>, abgerufen am 23.07.2024.