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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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zurückging. Die Lyoner Schule hatte die Anregung gegeben. Zugleich lag
es in der Natur der Sache, daß die restaurirten Bourbonen die frühere Ge¬
schichte Frankreichs, an welche sie wieder anknüpften, in ihrem Glanz und
ihrer Bedeutung wollten anerkannt sehen; es galt zu zeigen, daß die Revolution
und das Kaiserreich den Zusammenhang mit der Vergangenheit nicht durch¬
schnitten hätten. Dazu kam die geschichtliche Denkweise der Zeit überhaupt.
Und nun arbeiteten sich in wunderbarem Einklange Kunst und Literatur in die
Hände. Augustin Thierry, dem die historische Forschung in Frankreich ihre
fruchtbarste Anregung verdankt, hatte sein Interesse für die Geschichte des
Mittelalters von Chateaubrmnds Märtyrern und W. Scott's Ivanhoe empfan¬
gen (Briefe über die französische Geschichte im vourner trarMis v. 1820 und
Histoire no ig, eovciuöte as l'^nZIet.izi'i'ö xar- Iss Noi-rnairäs 182S). Seine
Anschauungsweise war epochemachend. Er suchte em lebendiges Bild der ver¬
schiedenen Perioden zu geben, indem er in seiner Darstellung durch ein
charakteristisches Hervorheben des Details und durch ein tieferes Eindringen
in die vergangene Denk- und Lebensart den Ton und die Localfarbe des
Zeitalters zu treffen wußte. Auf dem von ihm betretenen Wege ging Guizot
in seinen Borlesungen über die Civilisation weiter (1828--29). Die Geschichte
des Mittelnlters trat in seiner eingehenden Ausführung zu einer fast plastischen
Deutlichkeit heraus. Man kann sich denken, wie diese historischen Forschungen,
welche die Bergangenheit bis in ihr äußeres Detail wieder aufbauten und
zugleich in der Geschichte der Monarchie die kräftige Entwicklung des natio¬
nalen Lebens aufzeigten, den geschichtlichen Sinn belebten und mit der Kunst
in anregende Wechselwirkung traten.

Zugleich war die Regierung fortwährend auf die Verherrlichung der Geschichte
ihres Hauses bedacht. So ließ sie zunächst im Louvre bedeutende Momente aus der
französischen Culturentwicklung darstellen, und der Herzog Philipp von Orleans
vereinigte im Palais Royal eine Anzahl von Gemälden, welche die Geschichte
semsr Vorfahren in einer fortlaufenden Reihe behandeln. Zwar wurden auch
hierzu wieder die älteren Meister, die Nachfolger der David'schen Richtung, in
Anspruch genommen (Drolling. Langlois. Bouchot, Fragonard, Rouget, Alaux,
Heim. Vinchon. Gosse. Blondel, Lariviere. u. s. f.); aber diese, an das reale
Leben der Geschichte gewiesen, suchten nun auch um so mehr die bewegte
Fülle und Bestimmtheit der Wirklichkeit in ihre Bilder zu bringen. Und dann
versäumte die Regierung nicht, auch die jüngeren Talente zu beschäftigen, die
Mehr oder minder von der romantischen Kunst die ergreifende, farbenglühende,
natürlich wahre Darstellungsweise sich aneigneten. Hierher gehören -Eugene
Deo6ria, von dem schon früher die Rede gewesen (Geburt Heinrichs IV.),
Charles Stender, der sich zwar von der Gespreiztheit einer melodrama¬
tischen Manier nicht ganz befreite, aber bedeutungsvolle geschichtliche Motive


Grenzboten IV. 1861. 29

zurückging. Die Lyoner Schule hatte die Anregung gegeben. Zugleich lag
es in der Natur der Sache, daß die restaurirten Bourbonen die frühere Ge¬
schichte Frankreichs, an welche sie wieder anknüpften, in ihrem Glanz und
ihrer Bedeutung wollten anerkannt sehen; es galt zu zeigen, daß die Revolution
und das Kaiserreich den Zusammenhang mit der Vergangenheit nicht durch¬
schnitten hätten. Dazu kam die geschichtliche Denkweise der Zeit überhaupt.
Und nun arbeiteten sich in wunderbarem Einklange Kunst und Literatur in die
Hände. Augustin Thierry, dem die historische Forschung in Frankreich ihre
fruchtbarste Anregung verdankt, hatte sein Interesse für die Geschichte des
Mittelalters von Chateaubrmnds Märtyrern und W. Scott's Ivanhoe empfan¬
gen (Briefe über die französische Geschichte im vourner trarMis v. 1820 und
Histoire no ig, eovciuöte as l'^nZIet.izi'i'ö xar- Iss Noi-rnairäs 182S). Seine
Anschauungsweise war epochemachend. Er suchte em lebendiges Bild der ver¬
schiedenen Perioden zu geben, indem er in seiner Darstellung durch ein
charakteristisches Hervorheben des Details und durch ein tieferes Eindringen
in die vergangene Denk- und Lebensart den Ton und die Localfarbe des
Zeitalters zu treffen wußte. Auf dem von ihm betretenen Wege ging Guizot
in seinen Borlesungen über die Civilisation weiter (1828—29). Die Geschichte
des Mittelnlters trat in seiner eingehenden Ausführung zu einer fast plastischen
Deutlichkeit heraus. Man kann sich denken, wie diese historischen Forschungen,
welche die Bergangenheit bis in ihr äußeres Detail wieder aufbauten und
zugleich in der Geschichte der Monarchie die kräftige Entwicklung des natio¬
nalen Lebens aufzeigten, den geschichtlichen Sinn belebten und mit der Kunst
in anregende Wechselwirkung traten.

Zugleich war die Regierung fortwährend auf die Verherrlichung der Geschichte
ihres Hauses bedacht. So ließ sie zunächst im Louvre bedeutende Momente aus der
französischen Culturentwicklung darstellen, und der Herzog Philipp von Orleans
vereinigte im Palais Royal eine Anzahl von Gemälden, welche die Geschichte
semsr Vorfahren in einer fortlaufenden Reihe behandeln. Zwar wurden auch
hierzu wieder die älteren Meister, die Nachfolger der David'schen Richtung, in
Anspruch genommen (Drolling. Langlois. Bouchot, Fragonard, Rouget, Alaux,
Heim. Vinchon. Gosse. Blondel, Lariviere. u. s. f.); aber diese, an das reale
Leben der Geschichte gewiesen, suchten nun auch um so mehr die bewegte
Fülle und Bestimmtheit der Wirklichkeit in ihre Bilder zu bringen. Und dann
versäumte die Regierung nicht, auch die jüngeren Talente zu beschäftigen, die
Mehr oder minder von der romantischen Kunst die ergreifende, farbenglühende,
natürlich wahre Darstellungsweise sich aneigneten. Hierher gehören -Eugene
Deo6ria, von dem schon früher die Rede gewesen (Geburt Heinrichs IV.),
Charles Stender, der sich zwar von der Gespreiztheit einer melodrama¬
tischen Manier nicht ganz befreite, aber bedeutungsvolle geschichtliche Motive


Grenzboten IV. 1861. 29
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[0235] zurückging. Die Lyoner Schule hatte die Anregung gegeben. Zugleich lag es in der Natur der Sache, daß die restaurirten Bourbonen die frühere Ge¬ schichte Frankreichs, an welche sie wieder anknüpften, in ihrem Glanz und ihrer Bedeutung wollten anerkannt sehen; es galt zu zeigen, daß die Revolution und das Kaiserreich den Zusammenhang mit der Vergangenheit nicht durch¬ schnitten hätten. Dazu kam die geschichtliche Denkweise der Zeit überhaupt. Und nun arbeiteten sich in wunderbarem Einklange Kunst und Literatur in die Hände. Augustin Thierry, dem die historische Forschung in Frankreich ihre fruchtbarste Anregung verdankt, hatte sein Interesse für die Geschichte des Mittelalters von Chateaubrmnds Märtyrern und W. Scott's Ivanhoe empfan¬ gen (Briefe über die französische Geschichte im vourner trarMis v. 1820 und Histoire no ig, eovciuöte as l'^nZIet.izi'i'ö xar- Iss Noi-rnairäs 182S). Seine Anschauungsweise war epochemachend. Er suchte em lebendiges Bild der ver¬ schiedenen Perioden zu geben, indem er in seiner Darstellung durch ein charakteristisches Hervorheben des Details und durch ein tieferes Eindringen in die vergangene Denk- und Lebensart den Ton und die Localfarbe des Zeitalters zu treffen wußte. Auf dem von ihm betretenen Wege ging Guizot in seinen Borlesungen über die Civilisation weiter (1828—29). Die Geschichte des Mittelnlters trat in seiner eingehenden Ausführung zu einer fast plastischen Deutlichkeit heraus. Man kann sich denken, wie diese historischen Forschungen, welche die Bergangenheit bis in ihr äußeres Detail wieder aufbauten und zugleich in der Geschichte der Monarchie die kräftige Entwicklung des natio¬ nalen Lebens aufzeigten, den geschichtlichen Sinn belebten und mit der Kunst in anregende Wechselwirkung traten. Zugleich war die Regierung fortwährend auf die Verherrlichung der Geschichte ihres Hauses bedacht. So ließ sie zunächst im Louvre bedeutende Momente aus der französischen Culturentwicklung darstellen, und der Herzog Philipp von Orleans vereinigte im Palais Royal eine Anzahl von Gemälden, welche die Geschichte semsr Vorfahren in einer fortlaufenden Reihe behandeln. Zwar wurden auch hierzu wieder die älteren Meister, die Nachfolger der David'schen Richtung, in Anspruch genommen (Drolling. Langlois. Bouchot, Fragonard, Rouget, Alaux, Heim. Vinchon. Gosse. Blondel, Lariviere. u. s. f.); aber diese, an das reale Leben der Geschichte gewiesen, suchten nun auch um so mehr die bewegte Fülle und Bestimmtheit der Wirklichkeit in ihre Bilder zu bringen. Und dann versäumte die Regierung nicht, auch die jüngeren Talente zu beschäftigen, die Mehr oder minder von der romantischen Kunst die ergreifende, farbenglühende, natürlich wahre Darstellungsweise sich aneigneten. Hierher gehören -Eugene Deo6ria, von dem schon früher die Rede gewesen (Geburt Heinrichs IV.), Charles Stender, der sich zwar von der Gespreiztheit einer melodrama¬ tischen Manier nicht ganz befreite, aber bedeutungsvolle geschichtliche Motive Grenzboten IV. 1861. 29

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/235>, abgerufen am 23.07.2024.