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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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Wohlgefallen und Nachdruck hervorgehoben wird. Indessen haben wir diese
ehrenwerthe Zurückhaltung um so weniger zu beklagen, da in den meisten
Fallen, wenn man einigermaßen zwischen den Zeilen zu lesen versteht, in
den Andeutungen sich ein hinreichendes Material zur Begründung eines selbst¬
ständigen Urtheils findet. -- Übrigens wollen wir hier noch darauf aufmerk¬
sam machen, daß Louis Blume's Darstellung des innern Parteigetriebes in
den hohem Regionen des Staatslebens, so übertrieben und carrikirt sie viel¬
fach ist, doch durch Guizot's Angaben und Andeutungen eine theilweise Be¬
stätigung findet. Offenbar hat Louis Biene tiefe Blicke in die Differenzen
der Staatslenker, in die Reibungen zwischen Hof und Ministern gethan. Je
mehr die verderbliche Zersplitterung der Parteien, die jede Consolidirung der
Verhältnisse unmöglich machte, zunahm, desto mehr wuchs auch natürlich die
Indiscretion der feindlich einander gegenüberstehenden Staatsmänner und
Parteiführer, desto rücksichtsloser enthüllte sie Verhältnisse, welche besser ver¬
borgen geblieben^ wären und gaben so den Gegnern aller monarchischen Staats¬
ordnung die furchtbarsten Waffen zur Untergrabung des constitutionellen Thro¬
nes in die Hand.

Diese Zersplitterung der Parteien war aber eine der hauptsächlichsten
Ursachen, welche einer Consolidirung der Julimonarchie hinderlich gewesen' sind.
Guizot klagt mehrfach über den Mangel einer zuverlässigen, der Negierung,
die in ihr ihre Stütze suchte, ergebenen Partei. In den Kammern sieht er das
größte Hinderniß für die Befestigung der Staatsgewalt. Die Gerechtigkeit
dieses Vorwurfes ist zuzugeben; jede Ministerkrisis unter Ludwig Philipp liefert
den Beweis dasür. Die tiefere Ursache dieser Erscheinung, in deren Ueberwindung
die erste Lebensaufgabe einer jeden jugendlichen Verfassung besteht, liegt aber
darin, daß in Frankreich die socialen Verhältnisse in der Nation zu Spaltungen
geführt haben, zu denen die Parteikämpfe im Parlamente in gar keinen oder
wenigstens sehr geringen unmittelbaren Beziehungen standen. Denn während
>n den Kammern kleinliche Kämpfe um Ministerportefeüilles mit kleinlichen
Mitteln gekämpft wurden, consolidirte sich in der Nation eine Partei, die nur
das eine Ziel verfolgte, über Kö-nig und Kammern hinwegzuschreiten und in
der Gründung einer demokratischen Republik die Heilung aller wirklichen und
eingebildeten Schäden der Gesellschaft zu suchen.

Man lebte noch unter der Einwirkung jener furchtbaren Erschütterung,
die mit einem mächtigen Stoße den Bau eines Jahrtausends niedergerissen
hatte. Das dauernde Resultat der Revolution von 1789 war zunächst ein
negatives gewesen, die Zertrümmerung des Feudalsystems. Dies große Er¬
gebniß war durch Napoleon's energische Organisation zu einem unwiderruf¬
lichen geworden. Rechtsgleichheit. Aufhebung aller Privilegien, Freiheit der
Personen und des Eigenthums waren Güter, die der Nation um so weniger


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Wohlgefallen und Nachdruck hervorgehoben wird. Indessen haben wir diese
ehrenwerthe Zurückhaltung um so weniger zu beklagen, da in den meisten
Fallen, wenn man einigermaßen zwischen den Zeilen zu lesen versteht, in
den Andeutungen sich ein hinreichendes Material zur Begründung eines selbst¬
ständigen Urtheils findet. — Übrigens wollen wir hier noch darauf aufmerk¬
sam machen, daß Louis Blume's Darstellung des innern Parteigetriebes in
den hohem Regionen des Staatslebens, so übertrieben und carrikirt sie viel¬
fach ist, doch durch Guizot's Angaben und Andeutungen eine theilweise Be¬
stätigung findet. Offenbar hat Louis Biene tiefe Blicke in die Differenzen
der Staatslenker, in die Reibungen zwischen Hof und Ministern gethan. Je
mehr die verderbliche Zersplitterung der Parteien, die jede Consolidirung der
Verhältnisse unmöglich machte, zunahm, desto mehr wuchs auch natürlich die
Indiscretion der feindlich einander gegenüberstehenden Staatsmänner und
Parteiführer, desto rücksichtsloser enthüllte sie Verhältnisse, welche besser ver¬
borgen geblieben^ wären und gaben so den Gegnern aller monarchischen Staats¬
ordnung die furchtbarsten Waffen zur Untergrabung des constitutionellen Thro¬
nes in die Hand.

Diese Zersplitterung der Parteien war aber eine der hauptsächlichsten
Ursachen, welche einer Consolidirung der Julimonarchie hinderlich gewesen' sind.
Guizot klagt mehrfach über den Mangel einer zuverlässigen, der Negierung,
die in ihr ihre Stütze suchte, ergebenen Partei. In den Kammern sieht er das
größte Hinderniß für die Befestigung der Staatsgewalt. Die Gerechtigkeit
dieses Vorwurfes ist zuzugeben; jede Ministerkrisis unter Ludwig Philipp liefert
den Beweis dasür. Die tiefere Ursache dieser Erscheinung, in deren Ueberwindung
die erste Lebensaufgabe einer jeden jugendlichen Verfassung besteht, liegt aber
darin, daß in Frankreich die socialen Verhältnisse in der Nation zu Spaltungen
geführt haben, zu denen die Parteikämpfe im Parlamente in gar keinen oder
wenigstens sehr geringen unmittelbaren Beziehungen standen. Denn während
>n den Kammern kleinliche Kämpfe um Ministerportefeüilles mit kleinlichen
Mitteln gekämpft wurden, consolidirte sich in der Nation eine Partei, die nur
das eine Ziel verfolgte, über Kö-nig und Kammern hinwegzuschreiten und in
der Gründung einer demokratischen Republik die Heilung aller wirklichen und
eingebildeten Schäden der Gesellschaft zu suchen.

Man lebte noch unter der Einwirkung jener furchtbaren Erschütterung,
die mit einem mächtigen Stoße den Bau eines Jahrtausends niedergerissen
hatte. Das dauernde Resultat der Revolution von 1789 war zunächst ein
negatives gewesen, die Zertrümmerung des Feudalsystems. Dies große Er¬
gebniß war durch Napoleon's energische Organisation zu einem unwiderruf¬
lichen geworden. Rechtsgleichheit. Aufhebung aller Privilegien, Freiheit der
Personen und des Eigenthums waren Güter, die der Nation um so weniger


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[0221] Wohlgefallen und Nachdruck hervorgehoben wird. Indessen haben wir diese ehrenwerthe Zurückhaltung um so weniger zu beklagen, da in den meisten Fallen, wenn man einigermaßen zwischen den Zeilen zu lesen versteht, in den Andeutungen sich ein hinreichendes Material zur Begründung eines selbst¬ ständigen Urtheils findet. — Übrigens wollen wir hier noch darauf aufmerk¬ sam machen, daß Louis Blume's Darstellung des innern Parteigetriebes in den hohem Regionen des Staatslebens, so übertrieben und carrikirt sie viel¬ fach ist, doch durch Guizot's Angaben und Andeutungen eine theilweise Be¬ stätigung findet. Offenbar hat Louis Biene tiefe Blicke in die Differenzen der Staatslenker, in die Reibungen zwischen Hof und Ministern gethan. Je mehr die verderbliche Zersplitterung der Parteien, die jede Consolidirung der Verhältnisse unmöglich machte, zunahm, desto mehr wuchs auch natürlich die Indiscretion der feindlich einander gegenüberstehenden Staatsmänner und Parteiführer, desto rücksichtsloser enthüllte sie Verhältnisse, welche besser ver¬ borgen geblieben^ wären und gaben so den Gegnern aller monarchischen Staats¬ ordnung die furchtbarsten Waffen zur Untergrabung des constitutionellen Thro¬ nes in die Hand. Diese Zersplitterung der Parteien war aber eine der hauptsächlichsten Ursachen, welche einer Consolidirung der Julimonarchie hinderlich gewesen' sind. Guizot klagt mehrfach über den Mangel einer zuverlässigen, der Negierung, die in ihr ihre Stütze suchte, ergebenen Partei. In den Kammern sieht er das größte Hinderniß für die Befestigung der Staatsgewalt. Die Gerechtigkeit dieses Vorwurfes ist zuzugeben; jede Ministerkrisis unter Ludwig Philipp liefert den Beweis dasür. Die tiefere Ursache dieser Erscheinung, in deren Ueberwindung die erste Lebensaufgabe einer jeden jugendlichen Verfassung besteht, liegt aber darin, daß in Frankreich die socialen Verhältnisse in der Nation zu Spaltungen geführt haben, zu denen die Parteikämpfe im Parlamente in gar keinen oder wenigstens sehr geringen unmittelbaren Beziehungen standen. Denn während >n den Kammern kleinliche Kämpfe um Ministerportefeüilles mit kleinlichen Mitteln gekämpft wurden, consolidirte sich in der Nation eine Partei, die nur das eine Ziel verfolgte, über Kö-nig und Kammern hinwegzuschreiten und in der Gründung einer demokratischen Republik die Heilung aller wirklichen und eingebildeten Schäden der Gesellschaft zu suchen. Man lebte noch unter der Einwirkung jener furchtbaren Erschütterung, die mit einem mächtigen Stoße den Bau eines Jahrtausends niedergerissen hatte. Das dauernde Resultat der Revolution von 1789 war zunächst ein negatives gewesen, die Zertrümmerung des Feudalsystems. Dies große Er¬ gebniß war durch Napoleon's energische Organisation zu einem unwiderruf¬ lichen geworden. Rechtsgleichheit. Aufhebung aller Privilegien, Freiheit der Personen und des Eigenthums waren Güter, die der Nation um so weniger Z7*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/221>, abgerufen am 23.07.2024.