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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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die Stoffe schon halb zubereitet entgegen bringen. Das Colorit soll einerseits
den Bildern den Reiz und Zauber geben, den man nun einmal von aller
Kunst erwartet, und andrerseits die Phantasiegebilde in die volle satte Erschei¬
nung der Wirklichkeit tauchen. Aber indem die Pracht und Gluth der Farbe
als solche hervortreten soll, auch bei Motiven, bei denen der Ausdruck des
inneren Lebens Hauptsache ist. so fehlt die klare Harmonie zwischen dem Stoffe,
und seiner malerischen Erscheinung, und diese, als ein selbständiges Spiel sich
vordrängend, trägt nicht mehr dazu bei. die Empfindung des Daseins stärker
und inniger hervorzuheben. Umgekehrt wird in den Gestalten und Gruppen
des Paul Veronese und Rubens durch den Saft und Schmelz der Farbe der
Eindruck der Lebensfülle nur noch erhöht.

Indessen war doch durch die Ausbildung des Eolorits in der modernen
französischenMnst ein wesentliches Element zu seinem Rechte gekommen, und
hierin wenigstens hatte die romantische Schule die Malerei gefördert. Es
fand sich bald ein bedeutendes Talent, das im künstlerischen Sinne, ohne durch
die Motive einen besonderen Reiz auf die Phantasie des Beschauers ausüben
zu wollen, die malerische Erscheinung der Dinge, das Spiel der Licht- und
Farbenwirkung in seiner vollsten Lebendigkeit wiederzugeben versuchte: Ga¬
briele Decamps. Ein Zeichen für die Blüthe der französischen Malerei,
daß sie die Gegensätze früherer Kunstperioden -- iM freilich in geringerem
Maßstabe -- in sich vereinigt?: vertrat Ingres die Eigenthümlichkeit der ita¬
lienischen Kunst, so zeigt sich in Decamvs das holländische Element.

Zählt Decamvs insofern zu den Romantikern, als es auch ihm nicht um
eine stylvolle Behandlung, sondern um eine frappante Darstellung der wirk¬
lichen Erscheinungen in der Form wie in der Farbe zu thun ist: so hat er
doch durch die Eigenthümlichkeit seines Talentes manche ihrer Berirrungen
vermieden. Er blieb fast durchweg, was die Wahl der Vorwürfe betrifft, in
den Grenzen des Malerischen und hielt sich an die gattungsmäßigen Stoffe,
an das Genre. Es war sicher ein Irrthum des Künstlers, daß er es beklagte,
durch seinen Lebensgang, der ihn genöthigt, bei kleinen Staffeleibildern zu
bleiben, von seinem eigentlichen Berufe, der doch die Historienmalerer sei, ab¬
gehalten zu sein; seine Zeichnungen zu der biblischen Geschichte des Samson
gehören nicht zu seinen besten Sachen. Er hatte eine entschiedene Anlage zu
den Darstellungen der kleinen Wirklichkeit des Lebens, und mit glücklicher
Anschauung griff er zu den malerischen Stoffen, nicht in das trockene farblose
Leben der höheren Stände, sondern zu dem bunten Treiben der niederen
Volksklassen und des Morgenlandes. Auch an der komischen Auffassung fehlte
es ihm nicht (der Affe als Maler, die Affen als Kunstkenner, das berühmte
Aquarellbild : la sortis cle 1'6co1ö turque, die drei Esel); seine Thierstücke zei-
gen eine feine Beobachtung des Thierlebens, welche mit dem treuen Charak-


die Stoffe schon halb zubereitet entgegen bringen. Das Colorit soll einerseits
den Bildern den Reiz und Zauber geben, den man nun einmal von aller
Kunst erwartet, und andrerseits die Phantasiegebilde in die volle satte Erschei¬
nung der Wirklichkeit tauchen. Aber indem die Pracht und Gluth der Farbe
als solche hervortreten soll, auch bei Motiven, bei denen der Ausdruck des
inneren Lebens Hauptsache ist. so fehlt die klare Harmonie zwischen dem Stoffe,
und seiner malerischen Erscheinung, und diese, als ein selbständiges Spiel sich
vordrängend, trägt nicht mehr dazu bei. die Empfindung des Daseins stärker
und inniger hervorzuheben. Umgekehrt wird in den Gestalten und Gruppen
des Paul Veronese und Rubens durch den Saft und Schmelz der Farbe der
Eindruck der Lebensfülle nur noch erhöht.

Indessen war doch durch die Ausbildung des Eolorits in der modernen
französischenMnst ein wesentliches Element zu seinem Rechte gekommen, und
hierin wenigstens hatte die romantische Schule die Malerei gefördert. Es
fand sich bald ein bedeutendes Talent, das im künstlerischen Sinne, ohne durch
die Motive einen besonderen Reiz auf die Phantasie des Beschauers ausüben
zu wollen, die malerische Erscheinung der Dinge, das Spiel der Licht- und
Farbenwirkung in seiner vollsten Lebendigkeit wiederzugeben versuchte: Ga¬
briele Decamps. Ein Zeichen für die Blüthe der französischen Malerei,
daß sie die Gegensätze früherer Kunstperioden — iM freilich in geringerem
Maßstabe — in sich vereinigt?: vertrat Ingres die Eigenthümlichkeit der ita¬
lienischen Kunst, so zeigt sich in Decamvs das holländische Element.

Zählt Decamvs insofern zu den Romantikern, als es auch ihm nicht um
eine stylvolle Behandlung, sondern um eine frappante Darstellung der wirk¬
lichen Erscheinungen in der Form wie in der Farbe zu thun ist: so hat er
doch durch die Eigenthümlichkeit seines Talentes manche ihrer Berirrungen
vermieden. Er blieb fast durchweg, was die Wahl der Vorwürfe betrifft, in
den Grenzen des Malerischen und hielt sich an die gattungsmäßigen Stoffe,
an das Genre. Es war sicher ein Irrthum des Künstlers, daß er es beklagte,
durch seinen Lebensgang, der ihn genöthigt, bei kleinen Staffeleibildern zu
bleiben, von seinem eigentlichen Berufe, der doch die Historienmalerer sei, ab¬
gehalten zu sein; seine Zeichnungen zu der biblischen Geschichte des Samson
gehören nicht zu seinen besten Sachen. Er hatte eine entschiedene Anlage zu
den Darstellungen der kleinen Wirklichkeit des Lebens, und mit glücklicher
Anschauung griff er zu den malerischen Stoffen, nicht in das trockene farblose
Leben der höheren Stände, sondern zu dem bunten Treiben der niederen
Volksklassen und des Morgenlandes. Auch an der komischen Auffassung fehlte
es ihm nicht (der Affe als Maler, die Affen als Kunstkenner, das berühmte
Aquarellbild : la sortis cle 1'6co1ö turque, die drei Esel); seine Thierstücke zei-
gen eine feine Beobachtung des Thierlebens, welche mit dem treuen Charak-


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[0191] die Stoffe schon halb zubereitet entgegen bringen. Das Colorit soll einerseits den Bildern den Reiz und Zauber geben, den man nun einmal von aller Kunst erwartet, und andrerseits die Phantasiegebilde in die volle satte Erschei¬ nung der Wirklichkeit tauchen. Aber indem die Pracht und Gluth der Farbe als solche hervortreten soll, auch bei Motiven, bei denen der Ausdruck des inneren Lebens Hauptsache ist. so fehlt die klare Harmonie zwischen dem Stoffe, und seiner malerischen Erscheinung, und diese, als ein selbständiges Spiel sich vordrängend, trägt nicht mehr dazu bei. die Empfindung des Daseins stärker und inniger hervorzuheben. Umgekehrt wird in den Gestalten und Gruppen des Paul Veronese und Rubens durch den Saft und Schmelz der Farbe der Eindruck der Lebensfülle nur noch erhöht. Indessen war doch durch die Ausbildung des Eolorits in der modernen französischenMnst ein wesentliches Element zu seinem Rechte gekommen, und hierin wenigstens hatte die romantische Schule die Malerei gefördert. Es fand sich bald ein bedeutendes Talent, das im künstlerischen Sinne, ohne durch die Motive einen besonderen Reiz auf die Phantasie des Beschauers ausüben zu wollen, die malerische Erscheinung der Dinge, das Spiel der Licht- und Farbenwirkung in seiner vollsten Lebendigkeit wiederzugeben versuchte: Ga¬ briele Decamps. Ein Zeichen für die Blüthe der französischen Malerei, daß sie die Gegensätze früherer Kunstperioden — iM freilich in geringerem Maßstabe — in sich vereinigt?: vertrat Ingres die Eigenthümlichkeit der ita¬ lienischen Kunst, so zeigt sich in Decamvs das holländische Element. Zählt Decamvs insofern zu den Romantikern, als es auch ihm nicht um eine stylvolle Behandlung, sondern um eine frappante Darstellung der wirk¬ lichen Erscheinungen in der Form wie in der Farbe zu thun ist: so hat er doch durch die Eigenthümlichkeit seines Talentes manche ihrer Berirrungen vermieden. Er blieb fast durchweg, was die Wahl der Vorwürfe betrifft, in den Grenzen des Malerischen und hielt sich an die gattungsmäßigen Stoffe, an das Genre. Es war sicher ein Irrthum des Künstlers, daß er es beklagte, durch seinen Lebensgang, der ihn genöthigt, bei kleinen Staffeleibildern zu bleiben, von seinem eigentlichen Berufe, der doch die Historienmalerer sei, ab¬ gehalten zu sein; seine Zeichnungen zu der biblischen Geschichte des Samson gehören nicht zu seinen besten Sachen. Er hatte eine entschiedene Anlage zu den Darstellungen der kleinen Wirklichkeit des Lebens, und mit glücklicher Anschauung griff er zu den malerischen Stoffen, nicht in das trockene farblose Leben der höheren Stände, sondern zu dem bunten Treiben der niederen Volksklassen und des Morgenlandes. Auch an der komischen Auffassung fehlte es ihm nicht (der Affe als Maler, die Affen als Kunstkenner, das berühmte Aquarellbild : la sortis cle 1'6co1ö turque, die drei Esel); seine Thierstücke zei- gen eine feine Beobachtung des Thierlebens, welche mit dem treuen Charak-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/191>, abgerufen am 29.12.2024.