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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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trotz des ersten frappanten Eindruckes die bei allen Bildern gleiche Einförmig¬
keit der Wirkung.

Was die Behandlung anbelangt, so stand sie natürlich im bewußten
Gegensatz zur stylvollen Anschauung. Besteht diese in der lebendigen Durch¬
dringung der künstlerischen Individualität mit dem Stoffe, in welchem dieser
von allen trübenden Zufällen gereinigt zur eigenthümlichen. und doch vollen¬
deten Erscheinung heraustritt: so will die romantische Darstellungsweise gerade
umgekehrt die absonderliche Auffassung des Künstlers so wiedergeben, daß sie
den schlagenden Eindruck der unmittelbaren Wirklichkeit macht. Form und
Bewegung sind absichtlich, im Gegensatz zum Ideal, dem zufälligen Momente
abgelauscht, und nicht auf die ruhige klare Wirkung ist es abgesehen, welche
die aus sich herausgebildete Erscheinung macht, sondern auf den zündenden
Gesammt-Effect, der wie ein unbestimmter, aber durchdringender Ton die
Stimmung aus dem Bilde in den Beschauer überleitet. Daher die Vernach¬
lässigung der Form und Modellirung und die Bedeutung, die das Colorit
gewinnt. Etwas von der nebelhaften Formlosigkeit der romantischen Lyriker
ist auch in dieser Malerei; das musikalische Verklingen des Gefühles zeigt sich
hier in dem immer eigenthümlich gehaltenen Gesammtton, der wie ein Schleier
über das Bild ausgebreitet ist und aus dem die Farben der Dinge magisch
hervorleuchten sollen, wie einzelne Töne aus der Tiefe der Seele. Und eben
weil das wirkungsvolle Spiel des Colorits die Hauptsache ist, wird die Form
nur um so gleichgültiger. Was liegt daran, wenn die einzelne Gestalt wie
aus grobem Holz roh geschnitzt ist. wenn sie nur den'Eindruck des in seiner
Flüchtigkeit genial festgehaltenen Lebens macht? -- Wie die Auffassung des
Motivs, so soll auch die Behandlung den Beschauer ergreifen. Diese ver¬
schmäht die glatte, glänzende, vertriebene Ausführung, welche die Erscheinung
künstlerisch zu vollenden sucht; der markige, körperhafte, undurchsichtige Auf¬
trag soll den materiellen Schein der Wirklichkeit geben und zugleich die geist¬
reiche Hand des Künstlers verrathen, die flüchtige Ausführung, hinter der doch
ein gutes Stück Anstrengung steckt, von dem kühnen Schwung der Phantasie
und der Gewandtheit des Pinsels Zeugniß ablegen.

Es fehlt uns der Raum auf die zahlreichen späteren Gemälde Delacroix's
einzugehen: sie liefern manchen interessanten Beitrag zur romantischen Kunst¬
weise. Eine besondere Beachtung verdienen indeß seine monumentalen Werke:
sie sind wohl seine bedeutendste Leistung. Sieht man im Museum von Ver¬
sailles zwischen den Fabrikbildern der David'schen Nachzügler seine Schlacht
von Taillcbvurg und seine Einnahme von Constantinopel, so begreift man
wohl den durchschlagenden Erfolg, den der Maler gehabt hat. Hier ist doch
ein kräftiges, eigenthümliches Talent, welches seinem Stoffe eine frische Lebens-
fülle und den bewegten Zug, den satten Farbenschein der Wirklichkeit zu geben


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trotz des ersten frappanten Eindruckes die bei allen Bildern gleiche Einförmig¬
keit der Wirkung.

Was die Behandlung anbelangt, so stand sie natürlich im bewußten
Gegensatz zur stylvollen Anschauung. Besteht diese in der lebendigen Durch¬
dringung der künstlerischen Individualität mit dem Stoffe, in welchem dieser
von allen trübenden Zufällen gereinigt zur eigenthümlichen. und doch vollen¬
deten Erscheinung heraustritt: so will die romantische Darstellungsweise gerade
umgekehrt die absonderliche Auffassung des Künstlers so wiedergeben, daß sie
den schlagenden Eindruck der unmittelbaren Wirklichkeit macht. Form und
Bewegung sind absichtlich, im Gegensatz zum Ideal, dem zufälligen Momente
abgelauscht, und nicht auf die ruhige klare Wirkung ist es abgesehen, welche
die aus sich herausgebildete Erscheinung macht, sondern auf den zündenden
Gesammt-Effect, der wie ein unbestimmter, aber durchdringender Ton die
Stimmung aus dem Bilde in den Beschauer überleitet. Daher die Vernach¬
lässigung der Form und Modellirung und die Bedeutung, die das Colorit
gewinnt. Etwas von der nebelhaften Formlosigkeit der romantischen Lyriker
ist auch in dieser Malerei; das musikalische Verklingen des Gefühles zeigt sich
hier in dem immer eigenthümlich gehaltenen Gesammtton, der wie ein Schleier
über das Bild ausgebreitet ist und aus dem die Farben der Dinge magisch
hervorleuchten sollen, wie einzelne Töne aus der Tiefe der Seele. Und eben
weil das wirkungsvolle Spiel des Colorits die Hauptsache ist, wird die Form
nur um so gleichgültiger. Was liegt daran, wenn die einzelne Gestalt wie
aus grobem Holz roh geschnitzt ist. wenn sie nur den'Eindruck des in seiner
Flüchtigkeit genial festgehaltenen Lebens macht? — Wie die Auffassung des
Motivs, so soll auch die Behandlung den Beschauer ergreifen. Diese ver¬
schmäht die glatte, glänzende, vertriebene Ausführung, welche die Erscheinung
künstlerisch zu vollenden sucht; der markige, körperhafte, undurchsichtige Auf¬
trag soll den materiellen Schein der Wirklichkeit geben und zugleich die geist¬
reiche Hand des Künstlers verrathen, die flüchtige Ausführung, hinter der doch
ein gutes Stück Anstrengung steckt, von dem kühnen Schwung der Phantasie
und der Gewandtheit des Pinsels Zeugniß ablegen.

Es fehlt uns der Raum auf die zahlreichen späteren Gemälde Delacroix's
einzugehen: sie liefern manchen interessanten Beitrag zur romantischen Kunst¬
weise. Eine besondere Beachtung verdienen indeß seine monumentalen Werke:
sie sind wohl seine bedeutendste Leistung. Sieht man im Museum von Ver¬
sailles zwischen den Fabrikbildern der David'schen Nachzügler seine Schlacht
von Taillcbvurg und seine Einnahme von Constantinopel, so begreift man
wohl den durchschlagenden Erfolg, den der Maler gehabt hat. Hier ist doch
ein kräftiges, eigenthümliches Talent, welches seinem Stoffe eine frische Lebens-
fülle und den bewegten Zug, den satten Farbenschein der Wirklichkeit zu geben


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[0189] trotz des ersten frappanten Eindruckes die bei allen Bildern gleiche Einförmig¬ keit der Wirkung. Was die Behandlung anbelangt, so stand sie natürlich im bewußten Gegensatz zur stylvollen Anschauung. Besteht diese in der lebendigen Durch¬ dringung der künstlerischen Individualität mit dem Stoffe, in welchem dieser von allen trübenden Zufällen gereinigt zur eigenthümlichen. und doch vollen¬ deten Erscheinung heraustritt: so will die romantische Darstellungsweise gerade umgekehrt die absonderliche Auffassung des Künstlers so wiedergeben, daß sie den schlagenden Eindruck der unmittelbaren Wirklichkeit macht. Form und Bewegung sind absichtlich, im Gegensatz zum Ideal, dem zufälligen Momente abgelauscht, und nicht auf die ruhige klare Wirkung ist es abgesehen, welche die aus sich herausgebildete Erscheinung macht, sondern auf den zündenden Gesammt-Effect, der wie ein unbestimmter, aber durchdringender Ton die Stimmung aus dem Bilde in den Beschauer überleitet. Daher die Vernach¬ lässigung der Form und Modellirung und die Bedeutung, die das Colorit gewinnt. Etwas von der nebelhaften Formlosigkeit der romantischen Lyriker ist auch in dieser Malerei; das musikalische Verklingen des Gefühles zeigt sich hier in dem immer eigenthümlich gehaltenen Gesammtton, der wie ein Schleier über das Bild ausgebreitet ist und aus dem die Farben der Dinge magisch hervorleuchten sollen, wie einzelne Töne aus der Tiefe der Seele. Und eben weil das wirkungsvolle Spiel des Colorits die Hauptsache ist, wird die Form nur um so gleichgültiger. Was liegt daran, wenn die einzelne Gestalt wie aus grobem Holz roh geschnitzt ist. wenn sie nur den'Eindruck des in seiner Flüchtigkeit genial festgehaltenen Lebens macht? — Wie die Auffassung des Motivs, so soll auch die Behandlung den Beschauer ergreifen. Diese ver¬ schmäht die glatte, glänzende, vertriebene Ausführung, welche die Erscheinung künstlerisch zu vollenden sucht; der markige, körperhafte, undurchsichtige Auf¬ trag soll den materiellen Schein der Wirklichkeit geben und zugleich die geist¬ reiche Hand des Künstlers verrathen, die flüchtige Ausführung, hinter der doch ein gutes Stück Anstrengung steckt, von dem kühnen Schwung der Phantasie und der Gewandtheit des Pinsels Zeugniß ablegen. Es fehlt uns der Raum auf die zahlreichen späteren Gemälde Delacroix's einzugehen: sie liefern manchen interessanten Beitrag zur romantischen Kunst¬ weise. Eine besondere Beachtung verdienen indeß seine monumentalen Werke: sie sind wohl seine bedeutendste Leistung. Sieht man im Museum von Ver¬ sailles zwischen den Fabrikbildern der David'schen Nachzügler seine Schlacht von Taillcbvurg und seine Einnahme von Constantinopel, so begreift man wohl den durchschlagenden Erfolg, den der Maler gehabt hat. Hier ist doch ein kräftiges, eigenthümliches Talent, welches seinem Stoffe eine frische Lebens- fülle und den bewegten Zug, den satten Farbenschein der Wirklichkeit zu geben 23*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/189>, abgerufen am 25.08.2024.