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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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blasen, und da sich diese Maler nicht wie Flandrin an der Kunst, sondern an
der religiösen Vorstellung, zu begeistern suchten, haben ihre Werke eben so wenig
als die Bilder der deutschen Nazarener die echte Wärme und Tiefe des Aus¬
drucks, und auch ihren Gestalten fehlt die Kraft und Wahrheit des Daseins.

War so die Jngres'sche Schule der naheliegenden Gefahr, in der künst¬
lichen Rückversetzung zu einer ausgelebten Anschauung gleichsam zu erstarren,
nicht entgangen-, so widerstand sie andrerseits der Versuchung nicht, das Ideale
in der Darstellung des Gedankenhaften anzustreben. Gewöhnlich fällt
ausschließlich uns Deutschen die Ehre des Vorwurfes zu. rein poetische und
philosophische Ideen mit dem Fleisch und Blut der bildenden Kunst bekleiden
zu wollen; aber fällt einmal der Franzose in das Feld des abgezogenen Ge¬
dankens, so ist ihm nichts zu abstract, das er nicht in das Leben oder die
Kunst einzuführen versuchte. Paul Chenavard. der in allen Zweigen der
Kunst und des Wissens eine gute Bildung durchgemacht hat und alle Bestre¬
bungen der modernen Malerei, neue eigenthümliche Werke zu liefern, gründlich
verachtet, setzte sich das kühne Ziel, in einer Reihe von über 50 Cartons die
Entwickelung der Weltgeschichte darzustellen. Die zu Grunde liegenden Ideen
entnahm er -- so weit er dieselbe verstand -- der Hegel'schen Philosophie,
für die Ausführung war ihm Raphael Vorbild. Die Republik des Jahres 1843
war diesem Plane günstig: das Pantheon wurde bestimmt, dieses Product
des l9. Jahrhunderts aufzunehmen. Es entstanden, eine Anzahl von Cartons,
deren vortreffliche Zeichnung von einer gediegenen Kenntniß der Form zeugte
und denen eine gewisse Tiefe der Auffassung und eine Fähigkeit klarer Anord¬
nung nicht abzusprechen ist. Aber das Kaiserreich, das selber Geschichte machte,
glaubte dieser Philosophie der Geschichte entbehren zu können, der Plan kam
nicht zur Ausführung. Für die bildende Kunst kein Unglück: in einem solchen
Verhältnisse zu den Stoffen der Weltgeschichte wird sie immer der dienstbare
und überdies unzulängliche Dolmetscher des Gedankens sein, und so ist es dem
Pantheon erspart geblieben, gleich dem Treppenhause des Berliner Museums
Zeugniß dafür abzulegen, daß dem 19. Jahrhundert nur zu oft der Sinn für
die selbständige Würde und Bedeutung der malerischen Erscheinung abhanden
gekommen ist. -- Eine ähnliche Richtung schlug Louis Janmot ein (Alle¬
gorien im Rathhause von Lyon), nur daß dieser in der Darstellung poetisch¬
sentimentaler Ideen nach einem neuen Reiz für die Kunst suchte. Er gab ein
Gedicht der menschlichen Seele in einer Reihe von Cartons (18 im Jahre 1855,
8 weitere im Salon von 1361). in denen er den verschiedenen Stimmungen
und Schicksalen des Seelenlebens in idealen gefälligen Gestalten Ausdruck zu
geben sich bemühte: eine nähere Kritik ist wohl überflüssig.

Man sieht: die von Ingres neu eingeschlagene ideale Richtung fand in
ihrer Zeit keinen rechten Boden, und die Schüler, die nicht einfach an der


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blasen, und da sich diese Maler nicht wie Flandrin an der Kunst, sondern an
der religiösen Vorstellung, zu begeistern suchten, haben ihre Werke eben so wenig
als die Bilder der deutschen Nazarener die echte Wärme und Tiefe des Aus¬
drucks, und auch ihren Gestalten fehlt die Kraft und Wahrheit des Daseins.

War so die Jngres'sche Schule der naheliegenden Gefahr, in der künst¬
lichen Rückversetzung zu einer ausgelebten Anschauung gleichsam zu erstarren,
nicht entgangen-, so widerstand sie andrerseits der Versuchung nicht, das Ideale
in der Darstellung des Gedankenhaften anzustreben. Gewöhnlich fällt
ausschließlich uns Deutschen die Ehre des Vorwurfes zu. rein poetische und
philosophische Ideen mit dem Fleisch und Blut der bildenden Kunst bekleiden
zu wollen; aber fällt einmal der Franzose in das Feld des abgezogenen Ge¬
dankens, so ist ihm nichts zu abstract, das er nicht in das Leben oder die
Kunst einzuführen versuchte. Paul Chenavard. der in allen Zweigen der
Kunst und des Wissens eine gute Bildung durchgemacht hat und alle Bestre¬
bungen der modernen Malerei, neue eigenthümliche Werke zu liefern, gründlich
verachtet, setzte sich das kühne Ziel, in einer Reihe von über 50 Cartons die
Entwickelung der Weltgeschichte darzustellen. Die zu Grunde liegenden Ideen
entnahm er — so weit er dieselbe verstand — der Hegel'schen Philosophie,
für die Ausführung war ihm Raphael Vorbild. Die Republik des Jahres 1843
war diesem Plane günstig: das Pantheon wurde bestimmt, dieses Product
des l9. Jahrhunderts aufzunehmen. Es entstanden, eine Anzahl von Cartons,
deren vortreffliche Zeichnung von einer gediegenen Kenntniß der Form zeugte
und denen eine gewisse Tiefe der Auffassung und eine Fähigkeit klarer Anord¬
nung nicht abzusprechen ist. Aber das Kaiserreich, das selber Geschichte machte,
glaubte dieser Philosophie der Geschichte entbehren zu können, der Plan kam
nicht zur Ausführung. Für die bildende Kunst kein Unglück: in einem solchen
Verhältnisse zu den Stoffen der Weltgeschichte wird sie immer der dienstbare
und überdies unzulängliche Dolmetscher des Gedankens sein, und so ist es dem
Pantheon erspart geblieben, gleich dem Treppenhause des Berliner Museums
Zeugniß dafür abzulegen, daß dem 19. Jahrhundert nur zu oft der Sinn für
die selbständige Würde und Bedeutung der malerischen Erscheinung abhanden
gekommen ist. — Eine ähnliche Richtung schlug Louis Janmot ein (Alle¬
gorien im Rathhause von Lyon), nur daß dieser in der Darstellung poetisch¬
sentimentaler Ideen nach einem neuen Reiz für die Kunst suchte. Er gab ein
Gedicht der menschlichen Seele in einer Reihe von Cartons (18 im Jahre 1855,
8 weitere im Salon von 1361). in denen er den verschiedenen Stimmungen
und Schicksalen des Seelenlebens in idealen gefälligen Gestalten Ausdruck zu
geben sich bemühte: eine nähere Kritik ist wohl überflüssig.

Man sieht: die von Ingres neu eingeschlagene ideale Richtung fand in
ihrer Zeit keinen rechten Boden, und die Schüler, die nicht einfach an der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/181>, abgerufen am 23.07.2024.