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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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Städte des kleinen Phöniciens, das in schmalem Küstenstriche von kaum
30 Meilen nur eine Breite von 3 Meilen zwischen dem Mittelmeere und dem
Libanongebirge innehatte: waren durch ihre für die Schifffahrt äußerst günstige
Lage zu ungewöhnlichem Verkehr nach außen und, rückwirkend, in sich selbst
berufen, so daß ihr Seehandel mit einem bedeutenden Landhandel ihnen früh¬
zeitig große Berühmtheit verlieh.

Es sind bekannte Erzählungen, daß bei der großen Geschicklichkeit der
Phönicier im Schiffsbau und in der Schifffahrt bereits ums Jahr 1700 vor
Chr. die Königin Semiramis von Assyrien sich phönicischer Schiffsbauer zu
Ausrüstung einer Flotte aus dem Indus bedient habe und daß (Herodot IV,
42) König Necho von Aegypten um 600 vor Chr. phönicische Seeleute in
Dienst genommen, die vom arabischen Meerbusen aus Afrika umschifft, nach
drei Jahren durch die Säulen des Hercules, die jetzige Meerenge von Gibral¬
tar, wieder heimkehrend. Mag nun an der Wahrheit dieser Berichte auch ge¬
zweifelt und mag selbst das ganze Leben der Semiramis in Frage gestellt wer¬
den: so geht daraus sicherlich doch so viel hervor, daß man die Tüchtigkeit
des kleinen Volkes schon frühzeitig für ausgemacht erachtete. Es wird daher
nicht Wunder nehmen, wenn ferner berichtet wird, daß schon sehr bald der
Reichthum des südlichen Spanien an edlen Metallen von den Phöniciern er¬
forscht und -- wenn nicht schon früher -- bereits um 1100 vor Chr. die
Colonisirung der Landschaft Tartessis von ihnen unternommen wurde, gleich¬
wie sie auf der Nordküste von Afrika, aus den griechischen Inseln, in Italien,
Sicilien u. ". Handelsniederlassungen und Colonien gegründet, zumal die Lage
des eigenen Landes eine Gebietserweiterung in Vorderasien ihnen nicht ge¬
stattete. Auch erscheint mit Rücksicht auf ihre persönliche Lage es ganz natür¬
lich, wenn, wie uns weiter erzählt wird, die Phönicier über ihren Verkehr mit
fremden Ländern ein märchenhaftes Dunkel voller Schrecknisse und Gefahren
zu verbreiten gesucht, um andere Völkerschaften von gleichen Unternehmungen
und von Störungen der ihrigen abzuhalten.

Daß auch die Phönicier-es waren, die das Glas erfunden und den herr¬
schen Farbstoff der Purpurschnecke zuerst angewendet, auch sie, zum mindesten
für den Occident, für Erfinder und Verbreiter der Buchstabenschrift gelten, in¬
dem es wenigstens Thatsache ist. daß die Griechen die Buchstabenschrift lange
nur "phönicische Zeichen" genannt: ist wichtig genug, um zur Vervollständigung
des Ganzen hier mit erwähnt zu werden. Nicht minder waren die Sidonier
eifrige Forscher in der Sternkunde und Zahlenlehre, was bei ihrer Thätigkeit
zur See und im Handel anders wol kaum zu erwarten, und sollen auch sie
es gewesen sein, weiche am ersten wirkliche, Münzen geführt.

Einem solchen Volke mußte es aber wol gelingen, seine Hauptstädte zu
Mittelpunkten einer Art Weltverkehrs zu machen, wie dies nach Allem, was


Städte des kleinen Phöniciens, das in schmalem Küstenstriche von kaum
30 Meilen nur eine Breite von 3 Meilen zwischen dem Mittelmeere und dem
Libanongebirge innehatte: waren durch ihre für die Schifffahrt äußerst günstige
Lage zu ungewöhnlichem Verkehr nach außen und, rückwirkend, in sich selbst
berufen, so daß ihr Seehandel mit einem bedeutenden Landhandel ihnen früh¬
zeitig große Berühmtheit verlieh.

Es sind bekannte Erzählungen, daß bei der großen Geschicklichkeit der
Phönicier im Schiffsbau und in der Schifffahrt bereits ums Jahr 1700 vor
Chr. die Königin Semiramis von Assyrien sich phönicischer Schiffsbauer zu
Ausrüstung einer Flotte aus dem Indus bedient habe und daß (Herodot IV,
42) König Necho von Aegypten um 600 vor Chr. phönicische Seeleute in
Dienst genommen, die vom arabischen Meerbusen aus Afrika umschifft, nach
drei Jahren durch die Säulen des Hercules, die jetzige Meerenge von Gibral¬
tar, wieder heimkehrend. Mag nun an der Wahrheit dieser Berichte auch ge¬
zweifelt und mag selbst das ganze Leben der Semiramis in Frage gestellt wer¬
den: so geht daraus sicherlich doch so viel hervor, daß man die Tüchtigkeit
des kleinen Volkes schon frühzeitig für ausgemacht erachtete. Es wird daher
nicht Wunder nehmen, wenn ferner berichtet wird, daß schon sehr bald der
Reichthum des südlichen Spanien an edlen Metallen von den Phöniciern er¬
forscht und — wenn nicht schon früher — bereits um 1100 vor Chr. die
Colonisirung der Landschaft Tartessis von ihnen unternommen wurde, gleich¬
wie sie auf der Nordküste von Afrika, aus den griechischen Inseln, in Italien,
Sicilien u. «. Handelsniederlassungen und Colonien gegründet, zumal die Lage
des eigenen Landes eine Gebietserweiterung in Vorderasien ihnen nicht ge¬
stattete. Auch erscheint mit Rücksicht auf ihre persönliche Lage es ganz natür¬
lich, wenn, wie uns weiter erzählt wird, die Phönicier über ihren Verkehr mit
fremden Ländern ein märchenhaftes Dunkel voller Schrecknisse und Gefahren
zu verbreiten gesucht, um andere Völkerschaften von gleichen Unternehmungen
und von Störungen der ihrigen abzuhalten.

Daß auch die Phönicier-es waren, die das Glas erfunden und den herr¬
schen Farbstoff der Purpurschnecke zuerst angewendet, auch sie, zum mindesten
für den Occident, für Erfinder und Verbreiter der Buchstabenschrift gelten, in¬
dem es wenigstens Thatsache ist. daß die Griechen die Buchstabenschrift lange
nur „phönicische Zeichen" genannt: ist wichtig genug, um zur Vervollständigung
des Ganzen hier mit erwähnt zu werden. Nicht minder waren die Sidonier
eifrige Forscher in der Sternkunde und Zahlenlehre, was bei ihrer Thätigkeit
zur See und im Handel anders wol kaum zu erwarten, und sollen auch sie
es gewesen sein, weiche am ersten wirkliche, Münzen geführt.

Einem solchen Volke mußte es aber wol gelingen, seine Hauptstädte zu
Mittelpunkten einer Art Weltverkehrs zu machen, wie dies nach Allem, was


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[0162] Städte des kleinen Phöniciens, das in schmalem Küstenstriche von kaum 30 Meilen nur eine Breite von 3 Meilen zwischen dem Mittelmeere und dem Libanongebirge innehatte: waren durch ihre für die Schifffahrt äußerst günstige Lage zu ungewöhnlichem Verkehr nach außen und, rückwirkend, in sich selbst berufen, so daß ihr Seehandel mit einem bedeutenden Landhandel ihnen früh¬ zeitig große Berühmtheit verlieh. Es sind bekannte Erzählungen, daß bei der großen Geschicklichkeit der Phönicier im Schiffsbau und in der Schifffahrt bereits ums Jahr 1700 vor Chr. die Königin Semiramis von Assyrien sich phönicischer Schiffsbauer zu Ausrüstung einer Flotte aus dem Indus bedient habe und daß (Herodot IV, 42) König Necho von Aegypten um 600 vor Chr. phönicische Seeleute in Dienst genommen, die vom arabischen Meerbusen aus Afrika umschifft, nach drei Jahren durch die Säulen des Hercules, die jetzige Meerenge von Gibral¬ tar, wieder heimkehrend. Mag nun an der Wahrheit dieser Berichte auch ge¬ zweifelt und mag selbst das ganze Leben der Semiramis in Frage gestellt wer¬ den: so geht daraus sicherlich doch so viel hervor, daß man die Tüchtigkeit des kleinen Volkes schon frühzeitig für ausgemacht erachtete. Es wird daher nicht Wunder nehmen, wenn ferner berichtet wird, daß schon sehr bald der Reichthum des südlichen Spanien an edlen Metallen von den Phöniciern er¬ forscht und — wenn nicht schon früher — bereits um 1100 vor Chr. die Colonisirung der Landschaft Tartessis von ihnen unternommen wurde, gleich¬ wie sie auf der Nordküste von Afrika, aus den griechischen Inseln, in Italien, Sicilien u. «. Handelsniederlassungen und Colonien gegründet, zumal die Lage des eigenen Landes eine Gebietserweiterung in Vorderasien ihnen nicht ge¬ stattete. Auch erscheint mit Rücksicht auf ihre persönliche Lage es ganz natür¬ lich, wenn, wie uns weiter erzählt wird, die Phönicier über ihren Verkehr mit fremden Ländern ein märchenhaftes Dunkel voller Schrecknisse und Gefahren zu verbreiten gesucht, um andere Völkerschaften von gleichen Unternehmungen und von Störungen der ihrigen abzuhalten. Daß auch die Phönicier-es waren, die das Glas erfunden und den herr¬ schen Farbstoff der Purpurschnecke zuerst angewendet, auch sie, zum mindesten für den Occident, für Erfinder und Verbreiter der Buchstabenschrift gelten, in¬ dem es wenigstens Thatsache ist. daß die Griechen die Buchstabenschrift lange nur „phönicische Zeichen" genannt: ist wichtig genug, um zur Vervollständigung des Ganzen hier mit erwähnt zu werden. Nicht minder waren die Sidonier eifrige Forscher in der Sternkunde und Zahlenlehre, was bei ihrer Thätigkeit zur See und im Handel anders wol kaum zu erwarten, und sollen auch sie es gewesen sein, weiche am ersten wirkliche, Münzen geführt. Einem solchen Volke mußte es aber wol gelingen, seine Hauptstädte zu Mittelpunkten einer Art Weltverkehrs zu machen, wie dies nach Allem, was

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/162>, abgerufen am 23.07.2024.